["Johannes der Täufer in der Wildnis", Hieronymus Bosch (um 1482)]
Als
nun der ganze Leib der Natur in der Räumlichkeit dieser Welt
gleichwie im harten Tode erstarret war und doch das Leben darinnen
verborgen war, so bewegete Gott den ganzen Leib der Natur dieser Welt
am vierten Tage und gebar aus der Natur aus dem aufgegangenen Lichte
die Sternen. Denn das Rad der Geburt Gottes bewegete sich wieder, wie
es von Ewigkeit getan hatte. [Jakob
Böhme »Aurora oder Morgenröte im Aufgang« (1612)]
Einer
staunte darüber, wie leicht er den Weg der Ewigkeit ging; er raste
ihn nämlich abwärts. [Franz
Kafka »Die
Zürauer Aphorismen«
(1917/18)]
Der
Begriff der Ewigkeit ist für uns unfaßbar, weil wir zu ihrer
Beurteilung nur die Zeit haben, welche ein endlicher Begriff ist. Ob
wir zu der Ewigkeit eine Minute oder eine Million Jahrhunderte
hinzutun oder davon hinwegtun, ist gleichgültig, denn es bleibt
immer Ewigkeit. [Otto
von Corvin »Der
Pfaffenspiegel«
(1845)]
["Hl. Johannes der Evangelist", Jacopo da Pontormo (1525)]
Präpositionalpredigten (Pfarrersprech)
Gott
sei vor dir,
wenn du den Weg nicht weißt, Gott sei neben dir,
wenn du unsicher bist, Gott sei über dir,
wenn du Schutz brauchst, Gott sei in dir,
wenn du dich fürchtest. Gott sei um dich
wie ein Mantel, der dich wärmt und umhüllt.
Einen
Mantel, Herrgott nochmal, zieht doch heutzutage kein Mensch mehr an.
Versuch bloß auch mal einer im Mantel ins Auto
einzusteigen! Das Auto steht in der geheizten Garage, meins
jedenfalls, oder du heizt es dir vor, wenn's denn partout nochmal
draußen stehen musste. Wozu gibt's intelligente Technik? Wer den
lieben Gott schon braucht, weil's kalt ist, was macht der denn,
wenn's wirklich mal'n Problem gibt?
Schutz
braucht man, das ist Alltag. Ich sag nur Datensicherheit, überhaupt
Sicherheit. Das A und O: rechtzeitig drum kümmern und dran bleiben.
Versicherung, zum Teil ja auch unvermeidlich, Beispiel Auto,
oder Kredit. Meine Meinung: hinter dir muss etwas stehen,
nicht über dir. Das tun sie noch genug, die Versicherungsfritzen,
regelrechte Akrobaten vom Kleingedruckten.
Ich
sag', auskennen muss man sich. Unsicher sind besser die andern.
Alles ein Poker. Die Wimper soll mir erst noch wachsen, wo
ich damit zucke!
Und
vorne, mal ehrlich, bin ich am liebsten selber. Der Weg entsteht beim
Gehen. Oder gleich Google Maps. Was anderes haben die andern auch
nicht. Was heißt da, den Weg nicht wissen? Wege weiß man, oder es
sind keine.
Alliterationspredigt
(Pfarrersprech II)
Mögen
die Regentropfen sanft auf dein Haupt fallen. Möge der weiche Wind
deinen Geist beleben. Möge der sanfte Sonnenschein dein Herz
erleuchten. Mögen die Lasten des Tages leicht auf dir liegen.
Wer
nicht schwer heben kann, der soll verdammt nochmal die Finger von
allem lassen, was besser jüngere Leute schleppen. Die wissen noch
gar nichts von einem Rücken und sollen sich gern wichtig machen mit
etwas so Lächerlichem wie Körperkraft! Bloß Ablenkung von dem, was
wirklich schwer ist!
Und
dann vor allem Licht, und zwar gutes! Wenn man ein Problem überhaupt
erst mal sieht, ist es meist schon keins mehr. Das hebt die Stimmung!
Komm mir einer mit "Depressionen"! Der Grund ist: der kann
nichts. Wer was kann, der ist nicht mies drauf, warum auch? Was
anderes ist Ärger. Es gibt ja kaum jemanden, über den man sich
nicht ärgert. Schon dass einem ständig einer im Weg steht! Aber,
sag ich, Arsch zusammenkneifen und durch die Zähne pfeifen: Hab'
Sonne im Herzen.
Wind,
auch so'n Problem. Draußen kannst du praktisch nichts hinlegen, was
nicht demnächst irgendwie rumflattert. Schon Zeitunglesen draußen
ist eigentlich eine Qual. Und regnen tut's ja sowieso fast immer.
Die
Denunzianten (Der Erzählung erster Teil)
Wer
sich die Sache mit der Parkzeitbegrenzung auf dem Parkplatz auf einem
Abrissgrundstück überlegt hatte, war nicht bekannt. Eigentlich
wurde der Parkplatz an dieser beliebigen Stelle der Durchgangsstraße
in the middle of nowhere des recht abgeliebten Dorfes auch gar nicht
gebraucht. Hier parkte der eine oder andere Anwohner oder auch ein
Besucher, meistens gar keiner. Das Schild Parken mit Parkscheibe fand
höchstens als Kuriosum Beachtung, und natürlich kannte jeder die
Geschichte vom Leiter der Ortspolizeibehörde, der hier auf dem
Nachhauseweg am Abend vom Amt einen Abstecher gemacht hatte um
Parkscheiben zu kontrollieren. Ein einzelnes Auto hatte dagestanden,
nicht bloß, wie man sich denken kann, mit abgelaufener, sondern
überhaupt ohne Parkscheibe. Prompt, da es noch nicht 19 Uhr war,
wurde Anzeige erstattet. Dafür entschädigte aber der Lacher, der
jedes Mal erfolgte, wenn der Verkehrssünder davon erzählte, zumal
alle im Dorf den Polizeiamtsleiter kannten, über den auch noch
weitere kuriose Geschichten zirkulierten.
Bei
solchen Gelegenheiten wurde auch darüber spekuliert, was sonst noch
so zur Anzeige gebracht werden könnte, verboten waren schließlich
die alltäglichsten Dinge, im Grunde machte man sich auf Schritt und
Tritt strafbar, sündigte jedenfalls, wenn man auch nicht zur Beichte
musste, dafür wurde man geblitzt, und was schlimmer war als Beten,
zur Kasse gebeten, fünfzehn Euro hier, 25 da, das konnte ins Geld
gehen. Manche waren aber auch glühende Verfechter des fest
installierten Radars, zwecks Verkehrsberuhigung, wozu übrigens jeder
Bürger durch "vorschriftsmäßiges" Parken vor seinem Haus
seinen Beitrag leisten konnte. Ruhenden Verkehr gab es schließlich
ein Mehrfaches im Vergleich zum fließenden. Eigentlich waren
stehende Autos geradezu das Gegenteil von Autos überhaupt.
Die
beiden Hinzbergers, Rentnerin und Rentner nach vierzigjähriger
Berufstätigkeit, leisteten ihren Beitrag sowohl zum fließenden als
auch zum ruhenden Verkehr, indem ihnen das Auto ein überaus
angenehmer Aufenthaltsort war, mochte es sanft brummend und
schaukelnd rollen, oder auch stehen. Ein Dach überm Kopf hatte man
jedenfalls, man saß darin abgeschottet, windgeschützt und trocken
und konnte den Ausblick nach Belieben variieren, anders als vom
häuslichen Fenster aus, wo sich dem Blick bloß die immer gleiche
Nachbarschaft bot.
Dort
in der Nachbarschaft hatte in letzter Zeit der soziale Druck doch
spürbare Formen angenommen. Die Hinzbergers hatten erkennbar
bombastisch ihr Haus in einem Neubaugebiet errichten lassen. Die
weiter entstehenden Allerweltseinfamilienhäuser, blieben
schuldenbedingt hinter dem zurück, was das Rentnerehepaar sich
verdientermaßen mit seinem Schmuckstück leistete.
Als
solchen, die eher am Platz waren, zollte man den beiden Ergrauten den
üblichen Respekt, hörte auch mit dem amerikanisch toleranten halb
fragenden ok? die fachmännischen Statements Herrn Hinzbergers an,
der im Beruf irgendeine Art Ingenieur gewesen sei, das Genauere hatte
man sich nicht gemerkt. Der eine oder andere Bauarbeiter fragte sich
indessen, was den alten Mann eigentlich anderer Leute Baustellen
angingen, versuchte aber anfangs noch wegzuhören und sonstwie
auszuweichen. Dann mussten aber doch auch Widerworte gefallen sein,
mehr oder weniger feinfühlende Äußerungen der Ungeduld und des
Missfallens, noch dazu hinweg über Sprachbarrieren, weit über die
hinaus, des Italienischen nämlich, die man aus seiner eigenen Zeit
ja kannte und zurechtzukommen wusste, man musste besonders laut
sprechen, duzen und Infinitive verwenden. Die Frechheit anstatt zu
verstehen sich einem Kollegen in einer völlig unbekannten Sprache
zuzuwenden, schlug dann doch dem Fass den Boden aus.
Ein
vorläufiger Höhepunkt des sich in dieser Weise entwickelnden und
nach und nach festsetzenden Dissenses zwischen Nachbar und Bauleuten
wurde erreicht, als Herr Hinzberger den vergleichsweise ahnungs-,
darüber hinaus aber auch arglosen Bauherren Baumängel und
Schlampereien erklärte, diese bezüglich des Hauses einerseits
ängstigend, andererseits aber auch in Verlegenheit bringend. Mit dem
umgänglichen Anführer des Trupps und Vertreter der Firma, mit der
sie den Vertrag abgeschlossen hatten, pflegen sie den modern
gewordenen kumpelhaften Ton ungefährer Altersgenossenschaft.
Attributpredigt
(Pfarrersprech III)
Mögest
du warme Worte an einem kalten Abend haben, Vollmond in einer dunklen
Nacht und eine sanfte Straße auf dem Weg nach Hause.
Also
Thema Heizung: für mich ganz klar, daheim will ich nicht frieren,
und ich meine, wirklich nicht frieren!
Auch
Licht; was heißt hier Strom sparen? Der Strom wird doch billiger, je
mehr man verbraucht, einfaches Marktgesetz. Strom sparen ist also
rein verschenktes Geld. Tja, bei Dunkelheit mit kaltem Hintern woll'n
die Grünen überwintern.
Da
ist natürlich auch nichts mit Straßenbau.
Allessegen
(Pfarrersprech IV)
Mögen
alle deine Himmel blau sein, mögen alle deine Träume wahr werden,
mögen alle deine Freunde wahrhaft wahre Freunde und alle deine
Freuden vollkommen sein, mögen Glück und Lachen alle deine Tage
ausfüllen, heute und immerzu ja, mögen sich alle deine Träume
erfüllen.
Sagen
wir mal: Immer schön Wetter kann einem auch auf den Zwirn gehen. Und
von den meisten Träumen, mal ehrlich, ist man doch froh, dass es
Gott sei Dank bloß geträumt war. Gerade, was man beispielsweise
auch ausgerechnet von Freunden träumt. Vollkommener Stuss, wenn man
mich fragt. Wo kämen wir auch hin! Mit den Träumen ist es so wie
mit kleinen Kindern, die nicht wissen, wann man besser den Mund hält.
Der Erwachsene denkt sich seinen Teil und kommt trotzdem auf seine
Kosten. Dazu muss man sich auch nicht den lieben langen Tag den Bauch
halten vor Lachen. Es soll sich ja schon einmal ein ganzes Volk
totgelacht haben, drunten in Afrika, oder so. Überhaupt der südliche
Mensch, der reinste Kindergarten!
Mögliches
und allzu Mögliches
Möge
dein Magen mögen, was die Waagen wögen oder nur immer zu wiegen
wagen!
["Spielendes Kind", Hieronymus Bosch (um 1500)]
Blumenpredigt
(Pfarrersprech V)
Mögen
aus jedem Samen, den du säst, wunderschöne Blumen werden, auf dass
sich die Farben der Blüten in deinen Augen spiegeln und sie dir ein
Lächeln auf dein Gesicht zaubern.
Grinsen,
auch so eine amerikanische Sitte, am besten vor sonst noch einem
fotogenen Hintergrund. Dabei denkt kein Mensch an Käse, wenn
"cheese" gesagt wird. Die Leute sollen aussehen, wie sie
aussehen, Ernst ist nichts Böses! Farben sind normal und dienen der
Orientierung, im Normalfall. Das ist auch bei Blumen so. Übrigens
blüht alles, bloß das meiste stellt man sich nicht in die Vase.
Irre
Nervensägen (Pfarrersprech VI)
Wenn
du strauchelst, weil dir die Arbeit zu schwer wird, möge die Erde
tanzen, um dir das Gleichgewicht wiederzugeben.
Zu
schwere Arbeit, meiner Ansicht nach ganz klarer Fall für die
Gewerkschaft. Oder falsches Arbeiten, zum Beispiel ohne das richtige
Werkzeug. Das ist sogar bei Büroarbeit nicht anders. Eine Arbeit,
die zu schwer wird, ist einfach falsch angepackt. Wenn dann auch noch
alles zu wackeln anfangen würde, ja dann gut Nacht!
Wundersegen
(Pfarrersprech VII)
Mögest
du dir die Zeit nehmen, die stillen Wunder zu feiern, die in der
lauten Welt keine Bewunderer haben.
Zeit
haben beispielsweise Pfarrer ja. Ich will nicht behaupten,
schließlich ist nur sonntags Kirche, denn beerdigt wird ja auch die
Woche über.
In
richtigen Berufen hat man gerade keine Zeit. Wo du nicht sofort bist,
da waren schon drei andere. Wer stille Wunder feiert, der wird sein
blaues Wunder erleben, bei dem ist nämlich bald Feierabend.
Lärmschutz
ist wichtig und ja auch vorgeschrieben. Richtig mal die Wände
wackeln lassen, das braucht der Mensch aber auch. Die Stones. ACDC.
Gott sei Dank ist die Welt laut. Wo Betrieb ist, da ist auch Krach.
Jeder freut sich aufs Wochenende, aber doch nicht zum Trübsalblasen.
Parallelpredigt
(Pfarrersprech VIII)
Nimm
dir Zeit zum Träumen, das ist der Weg zu den Sternen. Nimm dir Zeit
zum Nachdenken, das ist die Quelle der Klarheit. Nimm dir Zeit zum
Leben, das ist der Reichtum des Lebens. Nimm dir Zeit zum
Freundlichsein, Gott sei neben dir, wenn du unsicher bist, das ist
das Tor zum Glück.
Absichtlich
zu Träumen ist wie Lachen auf Kommando. Nach den Sternen schaut ja
auch der Hans-guck-in-die-Luft.
Nachdenken
allerdings geht auf Kommando und sogar mit dem Blick nach oben, oder
besser nach innen. Aber aufgepasst, da fängt auch bald die Spinnerei
an. Also besser genau hinsehen!
Wer
etwas fertigbringt, der hat auch Zeit und somit gute Laune, ganz ohne
künstliche Freundlichkeit. Ewiges Grinsen aus Unsicherheit kann mir
gestohlen bleiben!
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