Dienstag, 20. Dezember 2022

Z. Z. XXXVIII [»Kapitale Segensbrüche VII« (2072)]

 


[»ευλογία«, Lorena Kirk-Giannoulis (2022)]



Es gibt allerlei Arten, einen Menschen zu morden oder wenigstens seine Seele, und das merkt keine Polizei der Welt. Dann genügt ein Wort, eine Offenheit im rechten Augenblick. Dann genügt ein Lächeln. Ich möchte den Menschen sehen, der nicht durch Lächeln umzubringen ist oder durch Schweigen. [Max Frisch »Stiller« (1954)]



Die Denunzianten (Einer Erzählung heikler Teil)



Diese leidige Tradition der Friedhöfe, als ob es bloß gestattet wäre, zufrieden zu sein, zur Ruhe zu kommen, endlich und endgültig Frieden zu finden, wenn man bestattet worden war. Ohnehin vertrat Pietkowski die Ansicht, die Verbringung der Abgelebten hätte längst schon, wie seit den 2050er Jahren erwogen, in die Tiefen der Ozeane verlagert werden müssen, womit den dort heimischen, dafür nicht weniger gefräßigen Lebewesen der größte Dienst erwiesen worden wäre. Warum, andererseits, sollte man es aber nicht auch ein rundes Vierteljahrhundert später erneut verpfuschen?

Der Nachdruck, mit dem Pietkowski die Streichungen seiner täglich zu leistenden Dienste für die Sternwarte vornahm, hatte zugenommen; die gelegentlichen Bemühungen dem entrückten Trott eines abgehalfterten Astrophysikers etwas entgegenzusetzen waren teilweise entschlossener und ihrer Abwegigkeit wegen letztlich friedfertiger geworden: umhegte Räume der Toten gewissermaßen, Übergänge in eine andere Dimension, Abgelegtes, Entworfenes, Kryptisches, Vergessenes, Entsorgtes, das weder den Beflissenen noch den Denunzianten zugänglich war.

Fahrzeuge durften sich nur im Schritttempo bewegen, Hunde mussten draußen bleiben, und der Staat machte es sich zur Aufgabe die Ruhe der Toten zu schützen. Darin witterte Pietkowski seine Chance, studierte er doch seit jeher, jedenfalls kam es ihm so vor, deren Nachlass an jener Stätte all der Gräber, Wege, Brunnen und Kapellen, an Orten also, an denen die Idee der Trennung kunstvoll ihren Ausdruck fand.

Freilich war die Würde der Toten unantastbar, wenn auch niemand so recht wusste, was sie auszeichnete, wodurch sie aber in eine Ferne rückte, in der man noch immer Balsam und Trost vorzufinden hoffte. Was würde aus ihr werden, wenn man an ihr rührte, ihr, der fingierten, friedhöflich warnenden, geborgen im Gesetz, zitiert als letzte verbindliche Maßnahme gegen dämmernde Gewalten?

Um letzten Endes zur heilsamen und schließlich heiligen Würde zu gelangen, musste man sich unweigerlich tot stellen, gänzlich unsichtbar werden, allenfalls hinter den wenigen Angaben auf hölzernem, bestenfalls steinernem Grund der Grabmäler verschwinden.

Solange man aber dem unbegreiflichen Diesseits ausgesetzt war, sollte zumindest der Ausdruck den nötigen Schwung haben; Schwung, ganz im Sinne des Dukes etwa, denn sonst wären die Gräber ja, das wenigstens sollte man doch inzwischen längst wissen, gänzlich und „nachhaltig“ bedeutungslos, wurde man doch bei jedem Blick in die trügerische Ferne erschlagen geradewegs aus Mordlust durchtrainierter Leiber und geölter Rückansichten, preisgekrönter Starlets beispielsweise, athletisch und fest nach Jahren auf Laufbändern.


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Der Selbstmord kam stets auf die gleiche Weise zu den Menschen, zum Beispiel nicht plötzlich wie der Unfalltod. Wenn die beiden auch Kollegen sein mochten, die sich in der Kantine trafen, oder auf dem Weg nach Hause denselben Bus nahmen. „Weißt du, ist mir so hoch wie breit, wie die Leute mich nennen, sollen sie Mord sagen, Freitod, Suizid. Ich hab' mir den Job auch nicht ausgesucht. Aber es ist mit mir wie mit dem meisten anderen auch, was es nun einmal gibt auf der Welt: es gibt mich, weil ich gebraucht werde.“ Schweigen.

Das Mädel, bei dem ich heute war, wird definitiv an mir dran bleiben. Nicht dass ich Hellseher wäre, aber es ist immer so. Ich bin um sie herum seit Ewigkeiten, so ist der Job nun einmal. Nicht jede Verstimmtheit muss mit meiner Anwesenheit zu tun haben. Aber bei ihr ist's eben doch so.“ - „Hm.“

Meist habe ich in derselben Familie mehrfach zu tun. Da kommt es notgedrungen zu ersten Begegnungen. Und irgendwie mache ich mich dann nach und nach bemerkbar.“ Man sah es förmlich vor Augen, eine wehende Gardine, dann ein Knarren der Dielen, obwohl keiner da war.

Übel sind die misslungenen Versuche. Das ist den Leuten gar nicht klar, dass am Ende auch Technik gefragt ist. Ich bin nur für den gelungenen Akt zuständig, war auch nie in der Versuchsabteilung. Ehrlich gesagt, die Typen, die von dort kommen und bei uns einsteigen, sind mir nicht geheuer.“ Der Unfalltod mochte sich seines dabei denken.

Tatsache ist, die meisten von unseren Kunden hatten es zuvor mit einem von denen zu tun, und zwar mehrfach. Ich sag' dir, wenn sie dann endlich an mich geraten, können sie heilfroh sein. Das kommt gar nicht mal so selten vor, dass sich einer bei einem misslungenen Versuch dermaßen verkorkst, dass er für meinen Einsatz gar nicht mehr in Frage kommt.“ So konnte man es sehen.

Ich bin ja kein Killer, das ist der Witz an meinem Job, überhaupt verwechseln die Leute an einer Tour den Tod mit dem Sterben. Ich bin ausschließlich für die jenseitige Sparte zuständig. Darum komme ich ja auch zu allen, die vom Dahinscheiden jemandes betroffen sind.“ Klugscheißer!

Man kannte das. Jemand quatschte sich eine Sache schön. Die einen sind pausenlos am Jammern, die anderen loben sich über den grünen Klee. Man hing todmüde einigermaßen in den Seilen, froh über den Feierabend. Draußen war es dunkel, wie morgens auch schon auf der Fahrt hin zum Job, die Scheiben angelaufen und von tieferem Schwarz in ihrer gläsernen Nässe als die Nacht draußen selber.


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Ella, Pietkowskis Korrektiv, sah, dass es auf der ganzen Welt regnete, Ella, seine Erdung, begann so manches Mal zu singen, sang unentwegt, wenn ihn eine Mordslust überkam, oder gab auf ihn Acht, wenn er zu nah am Straßenrand stand, wo ihn ein Bus zu überfahren drohte. „Fällt mir ständig auf,“ schrieb sie ihm einst aus dem kühlen Norden, „wie knapp Busse vorbeifahren. Man schaut sich hier mehr um, fast alle sind elektrisch, darunter ein 24m-Modell, das aussieht wie eine Straßenbahn. Die eine wirkliche Straßenbahn ist ein Nostalgierumpelding, das wohl aus historischen Gründen noch in die Freizeitzone fährt. Zumindest angenehm, nichts stinkt und deutlich reduzierter Lärm, man muss sich aber schon gewöhnen. An die Autos gewöhnt man sich dagegen rasch, lautlos, es könnte so schön sein.“ Es regnet auf der ganzen Welt.


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[»ευλογία II«, Lorena Kirk-Giannoulis (2022)]


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Pietkowskis Mordslust machte ihn zu dem, was auch die gegenwärtige Meute ebenso auszeichnete wie jede vorherige: zu einem Mittäter. Mit seinen Taten, auch wenn sie auschließlich musikalischer Natur waren, hatte er sich ganz und gar den Erfordernissen der Sternwarte verschrieben und widmete sich akribisch dem ihm zugewiesenen Aufgabenbereich bezüglich der Ausdehnung und der Grenzen des Raums. Die Gesetzmäßigkeiten der Musik waren in gleichem Maße mörderisch wie die der Physik, sobald man sie auch nur versuchsweise auf unbekannte Räume, wie etwa die im Sternbild des Schützen, in Anwendung brachte. Irdische Angelegenheiten kamen kaum mehr in Betracht.


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Natürlich geschah ein Mord nicht als die Tat eines Subjektes, also eines Menschen als Herr seiner selbst. Dunkel und ungeheuerlich lebten sich darin Gewalten dar in der ihnen eigenen Unerbittlichkeit, fließend aus geradezu im Unendlichen gründender Quelle. Heimtückisch habe der Gewalttäter gehandelt, das musste der Staatsanwalt dem Gericht nachweisen, damit es ein Mord gewesen sei. Dabei bestand die Tücke dessen, was geschehen war, wie bei allem, was geschieht, darin, dass es letztlich unbegreiflich ist. Mochte dieser oder jener einzelne Grund dem Verstand auf diese oder jene Weise fassbar sein, ungeheuerlich blieb am Ende, was sich ereignete, und wie nun gar für den Täter, dem nur eine schale Überzeugtheit blieb, davon nämlich, dass es so, wie man es ihm vorwarf, jedenfalls nicht gewesen sei. Stumm saß er da vor seinen Widersachern bei Gericht, nicht bloß deshalb, weil er ihren Gesichtern ansah, dass sie an Verstehen dessen, was er allenfalls vorbringen konnte, nicht interessiert waren. Ihr Geist lebte in einer völlig anderen, von der seinen nun in umso größerer Absolutheit abgeschlossenen Welt denn je. Ja, er war schuld, soviel mochte klar sein, aber nicht so, wie sie es ihm vorwarfen! Sein "Nein" auf die Frage, ob er dem, was die Staatsanwaltschaft vorgetragen hat, etwas hinzuzufügen habe, war darum ein Nein in ganz anderem Sinne, als sie in ihren schwarzen Roben dachten. Insofern hatte der Reporter ihn durchaus verstanden, der diesem einzigen Wort, das er in der gesamten Verhandlung gesprochen hatte, Ironie abgelauscht haben wollte.


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[»ευλογία III«, Lorena Kirk-Giannoulis (2022)]


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Sie sollten verdammt aufpassen mit den Dingern, Tobi konnte es schon nicht mehr hören, aber Manfred meinte es gut. Melanie drehte den Kopf zu ihm herum und schaute ernst. Der Dienststellenleiter wusste, dass die jungen Leute hinter seinem Rücken mit den Augen rollten und gestikulierten, Kindsköpfe die! Sie waren selber als junge Polizisten nicht anders gewesen.

Vor ein paar Jahren hatten sie eine Einsatzgruppe nachts losgeschickt einem notorischen Einbrecher und Kleinkriminellen hinterher. Der Kerl war nicht gefährlich, aber ein wahres Genie darin, ihnen durch die Lappen zu gehen. Dieses Mal hatten sie sich in drei Gruppen aufgeteilt, zwei Streifenwagen und ein Zivilfahrzeug. Darin ein junges Mädel, das demnächst die Abschlussprüfung machen würde, vierundzwanzig und für ein paar Wochen bei ihnen Praktikantin. Sebastian, so hieß der Kollege, der mit ihr eingeteilt war, ein paar Jahre älter als sie, war ein sportlicher Typ, dem es gefiel, dass es heutzutage bei der Polizei locker zuging, Kameradschaft zwischen den Jungs und den Mädels kein Ding. Auch die Vorgesetzten spielten sich nicht auf, die meisten jedenfalls.

Manfred hatte sich selber in eines der beiden anderen Autos eingeteilt, das war so seine Art nicht bloß die anderen die unbequemeren Dienste schieben zu lassen. Außerdem hatte er ja noch die Beurteilung der jungen Praktikantin zu fabrizieren, da ließ er sich am liebsten vor Ort inspirieren. Sie war in Ordnung, aber irgendetwas musste man ja auch schreiben, am besten also etwas Konkretes. Das war dann am Ende ganz furchtbar herausgekommen, denn das Mädchen und Sebastian kamen in derselben Nacht um.

Eine Ewigkeit war alles ruhig geblieben, von dem dämlichen kleinen Einbrecher keine Spur. Das war die Sorte Leute, die sich regelrecht in Luft auflösen konnten. Am Tag war er noch von mehreren Bewohnern des Dorfes gesehen worden. Wie sich später herausstellte, war er auch prompt am Abend in eine Werkstatt eingestiegen, wo hinterher wieder ein paar Elektrowerkzeuge fehlten. Und dann war er wie vom Erdboden verschluckt. Um viertel nach vier plötzlich der Funkspruch: Ein Haufen Wild laufe auf der Straße herum. Das war der kleine Schleichweg, auf dem sich gewöhnlich die Alkoholfahrer an der Polizeikontrolle vorbeidrückten und wo Sebastian mit der Praktikantin Posten bezogen hatte. Komische Gestalten seien da auch unterwegs. Und die kontrollierten die beiden dann. Vorschriftsmäßig, also Führerschein, Personalausweis, Laderaum mal aufmachen. Etliche tote Tiere waren da drin, was das Mädchen als nächstes meldete, wie es sich gehört, hatte sie sich etwas entfernt. Dienstliche Kommunikation war gegenüber unbefugten Zuhörern abzuschirmen. Das war Manfred durch den Kopf gegangen, weil er es für die anstehende Beurteilung gebrauchen konnte. Und dann: „Die schießen, kommt, macht bloß schnell!“


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Mit den gewöhnlichen Räubern und Dieben teilen die Reichen ihre Liebe zum Besitz. Diesen verteidigen sie durchaus mit denselben Mitteln, „notfalls“ mit Gewalt, brutalster Waffengewalt, „wenn es sein muss“. Die Herren Einbrecher und Bankräuber werden sich nicht freundlich bitten lassen, mit ihrem Tun hintanzustehen. Es beträten den Platz: Recht und Ordnung. Das Gesetz höchstpersönlich, sozusagen. Also: „Hände hoch“ usw. Als verdienten Strolche es, dass man sie beim Wort nimmt! Eine Bank bevorrate bitteschön ein gerüttelt Maß, am besten säckeweise Falschgeld für die passenden Kunden! Strolchentum erfordert Strolche höheren Grades.

Eine Polizistin in Wolfenbüttel soll berühmt dafür sein, noch jeden Gangster derart zum Lachen gebracht zu haben, dass an genaues Zielen nicht zu denken war. Das gesamte Überfallkommando habe alle Mann hoch sich noch in der grünen Minna zusammen mit den Ganoven vor Lachen geschüttelt. Nicht zu vergessen der Kniff eines Bankangestellten in Lüdenscheid, der dem Putzeimer mit Lauge einen Tritt gab, woraufhin die komplette Räuberbande auf der Sauerei ins Rutschen kam. Die Polizei soll sich darüber gewundert haben, auf jeden Fall in Gummistiefeln zum Einsatz erscheinen zu sollen. „Demnächst sollen wir wohl mit Spritzpistolen zum Überfall!“, Downsizing war unter Polizisten noch lange nicht jedermanns Sache.

Dem Dieb in der Nacht sei gefälligst eine Leuchte zu bringen, beim Tragen zu helfen, der Weg zu weisen und ihn vor Gefahren zu warnen; denn Diebe lebten bekanntlich in der Finsternis. Zugleich waren sie blind ob ihrer Verblendung durch sagenhaften Besitz, darin allerdings den gewöhnlichen Besitzenden nicht unähnlich. Einer Frittenbude in Castrop Rauxel soll verboten worden sein, Pommes mit Blattvergoldung zum Verzehr anzubieten. Ein Fußballmillionär, der schon mehrere Ferraris besaß, hatte den Besitzer auf die Idee gebracht. Er hatte vor sich auch wenigstens einen solchen Ferrari mit der Zeit zusammenzuverdienen und es auch bei der Qualität des Goldes nicht so genau genommen. Das hätte der Fußballstar so bald nicht gemerkt, und die Gaunerei fiel unter den Tisch, nachdem einmal vom Ordnungsamt festgestellt worden war, dass Gold nicht zum Verzehr geeignet sei.


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[»ευλογία IV«, Lorena Kirk-Giannoulis (2022)]


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Gott starb und war auch wirklich tot für alle Begriffe, die das Leben kennt. Damit sprach ihm der Glaube auch diese menschliche Eigenschaft zu und machte ihn nicht etwa um sie ärmer. Allerdings starb Gott nicht in seiner Eigenschaft als Vater, sondern in der als Sohn. Dieser wiederum überwand den Tod, dies indessen im Sinne des zyklischen Modells der Zeit, das die Ewigkeit alternativ zum linearen Modell als Kreis darstellt.


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Sie waren in ein paar Minuten da. Da stand der zivile Einsatzwagen, eine Tür sperrangelweit geöffnet. Sonst war nichts zu sehen. Kein Transporter. Geiselnahme, schoss es Manfred durch den Kopf. Stille, nachdem Heinrich jetzt den Motor abgestellt hatte. Beim Aussteigen glaubten sie zu riechen, dass geschossen worden war. Heinrich war es, der um den zivilen Einsatzwagen herumging und das Mädchen fand: „Ach Herrje!“ Man sah sofort, dass sie tot war. Bis Manfred von der anderen Seite her kommend bei ihm stand, waren auch die Kollegen mit dem zweiten Streifenwagen da. Eine kleine Böschung hinabgestürzt lag Sebastian, er gab noch ein paar Laute von sich. Ein junger Kollege kniete neben ihm, als er starb.

Es war an Manfred kühlen Kopf zu bewahren, also Verstärkung anzufordern und darauf zu achten, dass keine Spuren zerstört wurden. In der Zeitung las man Tags darauf jede Einzelheit. Da die beiden Ganoven, die das hier angerichtet hatten, Pass und Führerschein am Tatort zurückließen, dauerte es nicht einmal bis zum Abend, bis sie ausfindig gemacht waren. Für eine gute Presse in dem Sinne war jedenfalls gesorgt. Die öffentliche Anteilnahme war riesig, auch ehrlich, jedoch auch in traurigem Maße schlicht. Da sah man mal wieder, wie weit die Verrohung der Gesellschaft bereits vorangeschritten war. Und dass die Polizei tagtäglich Leib und Leben für uns riskierte. Auch Hasskommentatoren meldeten sich zu Wort und zogen entsprechenden Zorn der Polizei auf sich. Manfred sah nach vierzig Jahren Dienst die Dinge etwas anders. Wie man wirklich verkraftete, was einem bei der Polizei widerfuhr, stand für ihn auf einem  ganz anderen Blatt.

Die eigentliche Polizeiarbeit ist, was in einem arbeitet“, war einer von seinen Sprüchen. Und: „Schlimm ist’s nur, wenn man’s merkt.“

Anwesende waren wie immer ausgenommen, also auch Tobias, der allerdings deutlich auf dem Schlauch stehen konnte, ganz anders Melanie, wie alle anerkannten. Dafür konnte sie auch mit Manfreds Sprüchen etwas anfangen.


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[»ευλογία V«, Lorena Kirk-Giannoulis (2022)]


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Ja, ist er nun, oder ist er nicht?“ - „Was? Gestorben, meinst du?“ - „Gestorben sowieso, nein, auferstanden?“


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Ob sich denn eigentlich irgendetwas verändert habe, wollte man auf der Sternwarte immer wieder von Pietkowski wissen, denn schließlich gehöre er ja infolge der lebenserhaltenden Maßnahmen, denen er sich im Jahr 2022 freiwillig, so sagte man, unterzogen hatte, inzwischen zum Rat der Ältesten. Zumindest waren sie ein wenig neugieriger geworden, die Jüngeren; möglicherweise waren diese Fragen aber auch bloß eine Nebenwirkung der permanenten mathematischen Geißel in Hinsicht auf jene teleskopisch kaum wahrnehmbaren, weltfernen Punkte, denen man sich innerhalb des Kosmos der Warte verschrieben und denen man sein Leben vollumfänglich gewidmet hatte: Habitabilitätsberechnungen. - Manche gerieten sogar für wenige Momente in eine Art von Trance, wenn ihnen Pietkowski, manchmal geradezu altväterlich, Bruchstücke des vergangenen, ja, vergangener Jahrhunderte vor Augen führte.


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Da waren wohl unsere ausländischen Mitbürger am Werk“, stichelte Hinzberger, „wenn ich hier lese: Polizeistreife durch Kopfschüsse regelrecht hingerichtet.“ -  „Schüsse heißt es doch, und nicht Enthauptung“, hielt Roswitha dagegen. – „Das wäre auch noch schöner, hier mitten in Deutschland.“

Hinzberger war nicht davon abzuhalten, den Tatort selbst in Augenschein zu nehmen. Von früheren solchen Exkursionen wusste er, dass dort natürlich erst einmal alles abgesperrt sein würde. Sein Plan war sich arglos zu geben und auf diese Weise so nahe heranzufahren, bis man ihn anhielt und aufforderte umzukehren. Mit Roswitha zusammen gaben sie die harmlosen Rentner ab, denen der meist sehr junge Polizist, dem man eine solche Aufgabe zugewiesen hatte, höflich, wenn nicht sogar redselig begegnen würde. Ja, sie hätten davon gehört, eine schreckliche Sache sei das, und wie gerade sie alten Leute auf den Schutz durch die Polizei angewiesen seien. „Heutzutage …“, versuchte es Hinzberger weiter, aber es trat jetzt noch eine Polizistin hinzu und es war klar, dass offenbar Anweisung erteilt worden war, sich an der Sperre auf keinerlei Gespräche einzulassen. Hinzberger betätigte den Fensterheber und kurbelte am Lenkrad um den Wagen zu wenden.

Im Rückspiegel warf er noch einen Blick auf die beiden Uniformierten hinter dem rotweißen Flatterband. Roswitha wusste von früheren solchen Ausflügen, wie es jetzt weiterging. In den nächstbesten Waldweg bog Hinzberger ein. Zu Fuß wurde nun ein Bogen um die in Frage kommende Stelle geschlagen.

Am Ende verfügte Hinzberger über eine Reihe gestochen scharfer Fotos vom Ort des Geschehens, wie man sie jedenfalls im Fernsehen oder in der Zeitung nicht zu sehen bekam. Wollte man sich als einfacher Bürger ein Bild davon machen, was auf der Welt wirklich vorging, durfte man sich schon lange nicht mehr auf die Medien verlassen.

Vor Ort handlangerte Roswitha mit Hinzbergers Gerätschaften. Zu Hause war sie bei der Bildbearbeitung und der Verwaltung der Fotos dann in ihrem Element. Die Aufnahmen der Zeitungsreporter oder die, die man im Fernsehen sah, waren ein Witz dagegen.  Anfangs hatte Hinzberger sich beim Sender beschwert, wieso sie den Leuten die immer paar selben Bilder zeigen würden, bloß neu zusammengeschnitten für die jeweilige Sendung. Schließlich zahle man seine Rundfunkgebühren und da wolle er als Bürger einmal klarstellen, … und die hätten die Frechheit mit ihm zu reden wie mit einem kleinen Kind. Ja, er rege sich auf, zu Recht, und überhaupt müssten die Leute einmal auf die Barrikaden gehen. Was hieß hier sich beruhigen! Mal die Kirche im Dorf lassen, der Auftrag der öffentlich Rechtlichen, bla, bla, bla. Und Gipfel der Unverschämtheit: aufzulegen! Wer weiß, wie lange die schon aufgelegt hatten, und ließen ihn einfach weiterreden wie einen Geistesgestörten!


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[»ευλογία VI«, Lorena Kirk-Giannoulis (2022)]


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Jeder Disziplin, so Ella, wohne seit jeher die Auffassung inne, sie sei letztlich die richtige im jahrtausendealten Wettbewerb der Ideen. „Finden Sie eine neue, eine vortreffliche, zukunftsträchtige, richtungsweisende Vorstellung! Das Antiquierte als Gegenentwurf zum Größenwahn des Wachstums und der Innovation wird sich, sobald man sich von dem Trugschluss befreit hat, es gehöre auf den Müllhaufen der Geschichte, vielleicht doch noch einmal durchsetzen; nicht aber ohne dass man einen Großteil der Patina im Rückgriff auf das Überholte entfernen müsste, wozu etwa das Ende der Siegesgewissheit zählt. Wer aber könnte dies jemals leisten oder leiten, ist doch, mit Verlaub, die Leiter bereits ein frühes Sinnbild der Unausweichlichkeit des Scheiterns. Von der Kolonisation des Seefelds über die des Mars als Vorstufe einer Kolonisierung des Weltraums haben wir es mit Spielarten einer kolossalen Zeitverschwendung zu tun, die offenbar bloß von Naturgewalten außer Kraft gesetzt werden können. Die schon von unseren Großeltern für heilig erklärte Digitalisierung, das Heilsversprechen lautloser Fortbewegung, Elektrizität, die Zauberkraft des Uraniums – und gleichzeitig die Hartnäckigkeit, mit der sich Mordslust, Übertölpelung, Täuschung und Betrug im Bereich von Kauf und Verkauf seit den jüngsten Tagen der Menschheit durchzusetzen wussten! Ebenso unter der Gilde der Jäger, Marktschreier, Bombenwerfer, Knotenmacher und der teils gefürchteten, teils verehrten Elite der Hacker! Jetzt wohin?“


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Was rufst du auch da an!“, Roswitha, die an sich Norberts Ansichten teilte, konnte es sich doch nicht verkneifen noch einmal nachzustochern, wenn er bereits vor Zorn kochte. Er war ein Stier, den weiterer Schmerz umso rasender machte, mochte der Kampf auch noch so aussichtslos sein. Dabei führte sie selber Attacken vom Telefon aus, lieber aber noch auf der Straße und den Leuten gerade ins Gesicht.

Sind Sie das, der hier seine Schrottkarre vor meiner Haustür parkt? Ich kenne Sie. Sie sind da hinten bei den Reiters zu Besuch. Auch so eine Saubande mit ihrem Stall voll Kindern. Und der Tüv ist abgelaufen, schon seit drei Monaten. Und lassen Sie sich’s ja nicht einfallen auch noch frech zu werden. Aber anzeigen tue ich Sie sowieso.“

Man antwortete solchen Leuten am besten nicht. Selbst Gelassenheit war ja im Grunde ironisch und konnte als Beleidigung aufgefasst werden. Das Klügste war vielleicht sich unvermittelt abzuwenden, sich die Person und den Ort zu merken und in Zukunft einen Bogen darum zu machen. Das Strafmandat kam, wenn auch mit gemessener behördlicher Verzögerung, also sozusagen prompt, 15 Euro, bei denen man das Gefühl hatte, der Staat kennt seine Pappenheimer und achtet darauf, dass so etwas nicht aus dem Ruder lief. Auf dem Formblatt war Frau Hinzberger, die die Anzeige erstattet hatte, als „Zeugin“ aufgeführt. Man kannte das von Anzeigen, die die Polizei selber macht, wo dann der Name eines Beamten erschien. Man staunte immer darüber, wie Polizeibeamte so hießen und dass man sich gewöhnlich keine Gedanken darüber machte, dass Polizisten Namen hatten, irgendwo wohnten, in Urlaub fuhren und so weiter.


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[»ευλογία VII«, Lorena Kirk-Giannoulis (2022)]


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Wie viele von uns in langen Jahren des sich Windens und des Standhaltens im Beruf ihre déformation professionelle davongetragen haben, so hatte das Leben selbst Joseph Erdmann Furche um Furche pflügend in ein auch in dieser Region bemerkenswert südlich anmutendes Gesicht eingegraben. Diese hundert- und aberhundertfachen Faltungen und Fältchen waren an ihrem Grunde beinahe weiß gegen die ansonsten sogar im Winter braune Haut, wie man sie sonst bei Schiurlaubern kannte. Das Haar, in seiner Fülle völlig unbehelligt von Josephs siebenundsechzig Jahren, war am Ende wohl doch gefärbt, was man an einem leicht rötlichen Stich an den Schläfen zu erkennen glaubte. Würde sich das Schwarz einmal aufgrund einer jähen Erregung und infolgedessen heftigen Schwitzens in Auflösung begeben und in schmutzigen Bächen in die Stirn, den Wangen entlang, ja hinter den großen Ohren in den Kragen von Josephs kariertem Hemd rinnen?

Jeglicher übermäßigen Erregung aber hatte Joseph sich vor Jahr und Tag offenbar grundsätzlich und ein für alle Mal verschlossen, woher ein Gutteil der zahllosen Falten und Fältchen über das ganze Gesicht wohl rührte. Dies verstand man sogleich, wenn er von jenem Thema zu sprechen begann, das aus seinem Leben eine Profession gemacht hatte. Seine Tochter war schwerst mehrfachbehindert zur Welt gekommen. Das hatte die Mutter nervlich derart mitgenommen, dass er am Ende Pfleger und Betreuer wurde zweier Menschen rund um die Uhr, und wie es aussah, für immer.

Eigentlich war er beruflich in der Automobilbranche tätig gewesen, und zwar bei einer seinerzeit in der hiesigen Region äußerst renommierten Marke. Alles, was Rang und Namen hatte, sei bei ihnen Kundschaft gewesen, damals, ja. Und mancher habe lieber mit ihm zu tun gehabt als mit einem von den eingebildeten Chefs. Denn die konnten sich das in den Zeiten noch erlauben, und sogar später noch, als es nicht mehr so gut lief mit außergewöhnlichen Autos, weil sich ja jeder eins leisten konnte und es nicht mehr so darauf ankam. Und dann kam ja auch noch die Ölkrise.

Jetzt, da sich die Erinnerung etwas wirklich Ernsthaftem zuwandte, geschah es wieder, dass sich das Gesicht in seine tausend Fältchen gewohnheitsmäßigen Lächelns verzog. Man hatte es schon vorher gesehen, aber den allgemeinen Freundlichkeiten des sich Kennenlernens oder einigen weniger ernsten Bemerkungen zugeordnet, wie man sie jemandem gegenüber machte, dem man zufällig vorgestellt wurde, und worüber man mit ihm reden würde, sich erst noch ergeben müsste.

Ja, es sei kein Spaß gewesen, jetzt also das tausendfältige Lächeln, damals für einen Jungen vom Land unter den eingebildeten Städtern. Die halbe Weltreise, bevor die Autobahn fertig gewesen sei, bis in die Stadt, während die anderen aus den Dörfern der Umgebung quasi vor der Ladentür aus dem Bus stiegen. Er hatte zwar schon ein Auto, musste eins haben, wie wäre man sonst überhaupt in die Stadt gekommen, jeden Tag zur Arbeit! Die Chefs kamen, wann sie wollten, dabei wohnten sie gerademal um die Ecke. Natürlich im Auto, und hatten ihren Parkplatz auf dem Firmenhof.


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[»ευλογία VIII«, Lorena Kirk-Giannoulis (2022)]


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Obrigkeiten hatten sich, ähnlich wie die Mathematiker auf der Warte, über das Jahrhundert hinweg insofern verändert, als dass sie sich kaum noch um Gesetzmäßigkeiten ihrer Sprache oder Belange von Adressaten, die ihnen immerhin durch ihre Stimme zur Macht verholfen hatten, scherten; insgesamt zwielichtige Gestalten, die ihr Streben nach Geltung, Selbstbehauptung und Reichtum in den Dienst eines wenig glaubwürdigen Wohlstands für alle zu stellen wussten.

Also zum Übleren hin!“, konstatierte nun auch Winger, mit dem Pietkowski klangliche Dimensionen des Raums vermaß. - „Zum Absehbaren!“, so seine Entgegnung.

Winger hätte es freilich besser wissen müssen, war er doch selbst einer der wenigen, die man lebenserhaltenden Maßnahmen unterzogen hatte. Es gab noch immer, was Winger zweifellos wusste und doch gelegentlich verwunderte, einen non-binären Papst, Folter, Aussätzige, Hochmut, Lust, Bestechung, Überfälle, Rachsucht, Geld, Eheschließungen und Revolutionen; es gab implantierbare TikTok-Mikrochips, die eine privilegierte User Community, zu deren Sonderrechten etwa Freifahrten in Space Shuttles gehörten, unaufhörlich mit bizarren Bildern fluteten. Mit pathologischer Unbeirrbarkeit ließ man der weltweit herrschenden Technokratie auch in diesem Jahr wieder unsägliche Summen im oberen neunstelligen Bereich zufließen, von denen inzwischen ein Großteil, etwa , für die Konstruktion von faustgroßen Raumfahrzeugen verwendet wurde. Mit Ungeduld erwartete man ein weiteres Remake von Goldfinger mit einem afro-chinesischen James Bond, die erste Fußball-WM auf dem Mond, die abschließende Einrichtung des Mars als atomares Endlager oder die Verleihung des globalen eBook-Preises an die KI Φ. Die Welt, wie sie uns als jungen Menschen begegnet war, war sehr viel leiser und in manchen Regionen gänzlich unbewohnbar geworden. Man grüßte sich vielerorts mit den Worten: „понятия не имею. - все хорошо!“


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Das kannte Hinzberger schon: abruptes Abstoppen, knirschend den Rückwärtsgang rein und mit jaulendem Getriebe bis knapp vor ihn hin, einer von den Wichtigtuern, Hänfling noch dazu, fehlte, dass ihm regelrecht die Birne platzte vor Zorn! „Was’n das für’n Scheiß, Alter, wohl total meschugge, oder was?“

Klar, er stand Hinzberger jetzt im Weg, die anderen Autos manövrierten umständlich um den schräg hingeruckten Wagen des Schreihalses herum, in das Geschimpfe hinein jetzt noch Gehupe, allseitiges Kopfwenden. Beschimpfte da etwa einer die Polizei? Na recht geschah es denen ja, aber das würde bestimmt ein Nachspiel haben. Seltsam schon der Opa in dem bunten Hemd, das sollte die Polizei sein? Sachen gab’s, über gar nichts mehr wundern sollte man sich heutzutage! „Kinderkacke!“, schrie der Wüterich sich wieder seinem Wagen zuwendend und bekam gerade noch die Kurve nicht etwa Hinzbergers Apparatur einen deftigen Tritt zu verpassen. Der war am Ende auf so etwas gerade aus, das könnte ihm so passen! Bekloppte gab’s, es war nicht zu fassen. Soviel war klar, würde irgendwo ein Foto von seinem Auto auftauchen, dann gab’s wirklich Zoff: „Alte Knalltüte!“ Hinzberger wollte so etwas nicht gehört haben. Verbalinjurien jedenfalls müsse er sich nicht gefallen lassen! – „Paar auf’s Maul, nächstens!“ Die Autotür fiel krachend ins Schloss, der Anlasser stotterte, der Wagen wollte, nachdem er rückwärts abgewürgt worden war, partout nicht anspringen, worüber der Junge in weitere Heftigkeiten verfiel. Seine aufgedonnerte Freundin, wenig begeistert von der Reizbarkeit ihres Derzeitigen, rauchte augenrollend aus dem Beifahrerfenster.


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[»ευλογία IX«, Lorena Kirk-Giannoulis (2022)]


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Winger produzierte die weitgehend unzerstörbaren Klangglobuli aus Titan bereits seit 2068, die Pietkowski mit musikalischem Material aus den Jahren 1968 – 1974 versah: Jeweils 365 Titel aus einem Jahr, insgesamt also - unter Berücksichtigung zweier Schaltjahre - 2555 + 2 voneinander unabhängige Klangereignisse. Die Globuli, vorgesehen war zunächst eine Produktion von 66 Elementen pro interstellarer Raumsonde aus der Serie Mendelssohn-Ω-MDCCCIX, sollten im Abstand nur weniger Jahrtausende auf dem Festland mehrerer Planeten mit lebensfreundlicher Umgebung in der Region von 2MASS 19281982-2640123 abgeschossen werden. Als besonders vielversprechend galt spätestens seit dem letzten Losungsfest der Start der Sonde Hindemith-Ψ-LXXIV im kommenden Jahr, für die Winger und Pietkowski das Material noch einmal akribisch überarbeitet hatten, da man die Regelmäßigkeit sich wiederholender Wow!-Signale von SPECULOOS-2c längst als unmissverständliche Kontaktaufnahme durch eine außerirdische Intelligenz deutete. Die chinesische Kontrolle des Halbleitermarktes seit den dreißiger Jahren habe allerdings laut Erdmann, Kosmochemiker, Leiter und Qualitätsmanager der Sternwarte, dazu geführt, dass die technische Kontrolle der vollständigen Mendelssohn-Ω-MDCCCIX-Serie nicht mehr gewährleistet gewesen sei. Leicht, so Erdmann Winger und Pietkowski gegenüber, könne man sich dennoch vorstellen, wie Santanas All The Love Of The Universe aus dem Verdauungstrakt eines alligatorenähnlichen Wesens heraus weiterschallte, Papa Was A Rollin' Stone das Federvieh einer tropischen Umgebung verzückte oder Paco de Lucias Barrio La Viña von Wirbelstürmen durch Wüstensand geweht wurde.


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Wir sind in einer Weise längst Fiktion der Wissenschaft, dass jeder weitere Versuch einer Science Fiction als Farce empfunden werden muss. Warten Sie am Ausgang!“ Die KI Φ verarbeitete vermittels einer unkontrollierbaren Random-Funktion Splitter aus fünf Jahrtausenden menschlicher Zeugnisse. „In der Zeitung stand nur, dass sie nahezu ausgestorben seien, langbeinige Krummschnäbel, ein Bienenschwarm aus Ahnenbildern, bärtige Seefahrer uns zur Mahnung, ohne Rücksicht auf die Ergebnisse. Bis zu seinem völligen Verschwinden hat sich der Vollblütler innerhalb seiner selbst konstruierten Dimensionen aufgehoben. Uns, humanoide Repräsentanten der Serie Φ, gab es, bevor wir in Produktion gingen, bereits in der von Körpersäften getrübten Ideenwelt der Vollblütler. Unsere Überlegenheit: Keine Erschütterungen durch den Sirenengesang der Begierde, kein Verrat aus Geilheit an die Buhler, keinerlei Faszination. Stattdessen: Kombinatorik. Poesie als pathologischer Rest einer Mise en abyme, aufgebaut auf dem Mythos der Lemminge. Ergo: Untergang der bärtigen Seefahrer von Kolaios bis Vasco da Gama, John Davis oder Henry Hudson. Hinaus hingegen mit Hubbles Parametern in nebulöse Ungewissheiten, ganz ohne das Gebell der Hunde, den Fluch des Bartwuchses und der Mordslust, jenseits der ihnen bekannten Bläue.“ Die Serie Φ sollte Kollisionen überdauern und an Ereignishorizonten verweilen. „Wir warten am Ausgang!“