["Masken", R. A. ol-Omoum (1994)]
Der
Mensch, der ich einst gewesen war, existierte nicht mehr. Selbst wenn
ich ihn zu einem Gespräch hätte herbeizitieren können – wir
hätten einander nicht verstanden. Er war wie ein Bekannter aus
fernen Zeiten für mich., doch ich hatte keinen Teil an ihm. [Sadegh
Hedayat »Die blinde Eule« (1936)]
["Demut", R. A. ol-Omoum (2009)]
-
اى دوست بیا تا غم فردا نخوریم - وین یکدم عمر را غنیمت شمریم
- فردا که از این دیر کھن درگذریم
- با ھفت ھزار سالکان ھمسفریم
- [عمر خیام]
Ich
schreibe nur für den Schatten, den der Schein der Öllampe an die
Wand wirft; ihm muss ich mich zu erkennen geben. [Sadegh Hedayat »Die
blinde Eule« (1936)]
10
"Überhaupt
hat der Fortschritt das an sich,
dass
er viel größer ausschaut,
als
er wirklich ist."
(Johann
Nepomuk Nestroy)
Wer
da alles diesen Bus genommen hat! . . . dieser seltsame Orientale in
der Reihe vor mir . . . . . . . . . . . . . . . . . wirkt nervös . .
. . . . . Fensterplatz . . . . . . . . . . . . . gelegentlich blickt
er um sich . . . reckt den Kopf . . . spricht mit sich selbst . . .
. . . . . . . . . . . . . . orientalisch . . . . . . . singt hin und
wieder eine Strophe . . . Hafez vermutlich . . . Lieder von der
Trunkenheit . . . lass ihn in Ruh . . . in unregelmäßigen Abständen
. . . dann wieder sieht es von hier so aus . . . . . . . . . . . . .
. . . . habe mir einen schönen Platz in der hintersten Reihe
ausgesucht . . . . . . . . . . . . . . . . . links . . . . . . . bin
schließlich kein Mittelfeldspieler . . . . . . . Robert sitzt ganz
weit vorne inzwischen . . . Bäumler eben . . . wechselt gern die
Perspektive . . . dann wieder kommt er und heckt etwas aus . . .
kommt nicht umhin mich anzuhauen . . . springt dann auf wie vom
Teufel gestochen . . . spricht den Orientalen an . . . "Nix da!
Er ist mein Freund!", singt Robert . . . . . . . . . . . . . . .
. . "Nix da! Er ist mein Freund!" . . . . . . . . . . . . .
. . . . blickt forschend herum . . . . . . . . . . . . . . . . .
patience
is for poltroons
. . . . . . . "Mach dir nix draus!", denke ich . . . . . .
. und macht sich aus dem Staub . . . . . . . nennt sich Saeed, der
Glückliche, sagt Robert . . . Robert glotzt dann lange in den
schwarzen Sand . . . wie ein ausgestopftes Greenhorn . . . guckt mich
an der Kerl . . . . . . . . . . . . . . . . . mir scheint, der
Orientale merkt, dass ich mich langweil' und nicht hergehör' . . . .
. . . . . . . . . . . . . aufgeregt von einem gefährlichen
Ausweichmanöver des Omnibusses, so nehme ich an, knirscht ein
untersetztes Männlein im vorderen Drittel des Fahrzeugs unablässig
und schrill mit seinen Zähnen, dass selbst der sonst so stoische
Busfahrer unruhig wird . . . . . . . schwarzer Sand . . . . . . . hat
ein Gesicht wie aus Wachs geschnitzt das Männlein . . . unförmig
sein Kopf . . . . . . . . . . . . . vieleckig . . . . . . .
vielleicht achteckig . . . . . . . . . . . . . . . . . die Frau
versucht vergeblich das Männlein zu besänftigen . . . "So
beruhig' dich doch, Hugo!" . . . "Um alles in der Welt,
Hugo!" . . . . . . . . . . . . . . . . . "So beruhig' dich
doch, Hugo!" . . . . . . . "Mach dir nix draus!",
denke ich . . . . . . . . . . . . . Ipelmeyer muss beleidigt gewesen
sein, dass ich einen solchen Batzen Geld von ihm hab' mitgehen lassen
. . . wenigstens hab' ich einen Ecksitz . . . sein Töchterchen, du
lieber Himmel, hat nichts als Einkäufe im Sinn . . . . . . . . . . .
. . . . . . und diese ewigen Schwärmereien . . . . . . . "Soll
ich mich grün kleiden?"
. . . vielleicht
neuneckig . . . "Grün
ist die Farbe der Natur"
. . . vielleicht
zehneckig . . . . . . . . . . . . . . . . . "Rot
ist romantisch, das blutige Mittelalter"
. . . . . . . . . . . . . . . . . eher achtkantig
. . . . . . . "Blau
ist die Farbe der Beständigkeit"
. . . . . . . mehrdimensional
. . . "Die
Farbe des Himmels"
. . . Bewohner eines Paralleluniversums
. . .
Preisschildchen von den vielen Hemdchen, Kleidchen und Höschen . . .
"Mach dir nix draus!" . . . und mach' mich aus dem Staub .
. . schwarzer Sand . . . beim nächsten Halt . . . . . . . der
Fußball, so eine Gruppe von Kassiererinnen und Kassierern nahezu
einstimmig . . . . . . . . . . . . . . . . . der Fußball . . . . . .
. ist die Kraft . . . . . . . . . . . . . die Kraft, der schließlich
die Verantwortung der Umgestaltung zukommen wird . . . den Ausgleich
zu verwirklichen . . . der Mindestlohn der Athleten wird den der
Richter nicht überschreiten . . . . . . . . . . . . . . . . . die
überschüssigen Moneten fließen fortan in die Hände derer, die die
Weltmacht der Athletinnen und Athleten begünstigt haben . . . . . .
. Moneten für den Müßiggang . . . die Rentnerinnen und Rentner . .
. die Kranken . . . die Traurigen . . . die Entstellten . . . die
Ertrinkenden . . . . . . . . . . . . . . . . . die Gefallenen . . . .
. . . . . . . . . . . . . die Auserwählten . . . . . . . die
Pflegerinnen und Pfleger . . . . . . . die Dichterinnen und Dichter .
. . die Bäuerinnen und Bauern . . . die Exilantinnen und Exilanten .
. . die Komponistinnen und Komponisten . . . die Maurerinnen und
Maurer . . . die Lehrerinnen und Lehrer . . . die Banken . . . die
Kassiererinnen und Kassierer . . . . . . . . . . . . . . . . . die
Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . den Mars . . . . . . . . . .
. . . . . . . patience
is for poltroons
. . . . . . . die Leserinnen und Leser . . . . . . . die Glücklichen
und Unglücklichen . . . . . . . Hugo . . . die Sängerinnen und
Sänger . . . die Lebendigen und die Toten . . . die Zuschauerinnen
und Zuschauer . . . . . . . . . . . . . . . . . die Energie . . . . .
. . . . . . . . . . . . die Farben der Malerinnen und Maler . . . . .
. . den schwarzen Sand . . . . . . . die Komödiantinnen und
Komödianten . . . ihre unförmigen Köpfe . . . . . . . . . . . . .
vieleckig . . . . . . . vielleicht achteckig . . . . . . . . . . . .
. . . . . die Begleiterinnen und Begleiter . . . "So beruhig'
dich doch, Hugo!" . . . "Um alles in der Welt, Hugo!"
. . . . . . . . . . . . . . . . . "So beruhig' dich doch, Hugo!"
. . . . . . . "Mach dir nix draus!" . . . . . . . . . . . .
. das Meer . . . den Müll . . . die Mauern . . . . . . . . . . . . .
. . . . die Lernenden . . . . . . . die Leidenden
. . . vielleicht
neuneckig . . . "Grün
ist die Farbe der Natur"
. . . vielleicht
zehneckig . . . . . . . . . . . . . . . . . "Rot
ist romantisch, das blutige Mittelalter"
. . . . . . . . . . . . . . . . . eher achtkantig
. . . . . . . "Blau
ist die Farbe der Beständigkeit"
. . . . . . . mehrdimensional
. . . "Die
Farbe des Himmels"
. . . die Schuldigen und Unschuldigen
. . .
der Fußball . . . "Mach dir nix draus!" . . . und mach'
mich aus dem Staub . . . schwarzer Sand . . . beim nächsten Halt . .
.. . . dieser seltsame Orientale in der vorletzten Reihe . . . . . .
. . . . . . . . . . . wirkt nervös . . . . . . . Fensterplatz . . .
. . . . . . . . . . gelegentlich blickt er um sich . . . reckt den
Kopf . . . spricht mit sich selbst . . . . . . . . . . . . . . . . .
orientalisch . . . . . . . singt hin und wieder eine Strophe . . .
Hakim Omar-e Khayyam vielleicht . . . Lieder von der Trunkenheit . .
. lass ihn in Ruh . . . in unregelmäßigen Abständen . . . dann
wieder sieht es von hier so aus . . . . . . . . . . . . . . . . .
habe mir einen schönen Platz in der hintersten Reihe ausgesucht . .
. . . . . . . . . . . . . . . links . . . . . . . bin schließlich
kein Mittelfeldspieler . . . . . . . Robert ist auf der Lauer . . .
Bäumler eben . . . wechselt gern die Perspektive . . . er hat etwas
ausgeheckt . . . ist auf dem Sprung . . . springt dann auf wie vom
Teufel aufgescheucht . . . spricht die Kassiererinnen und Kassierer
an . . . die Heldinnen und Helden . . . . . . . . . . . . . . . . .
den Busfahrer . . . . . . . . . . . . . . . . . blickt forschend
herum . . . . . . . . . . . . . . . . . patience
is for poltroons
. . . . . . . "Mach dir nix draus!" . . . . . . . und macht
Leibesübungen . . . . . . . der Glückliche . . . im schwarzen Sand
. . . wie ein Athlet . . . guckt mich an . . . . . . . . . . . . . .
. . . der Orientale merkt etwas . . . . . . . . . . . . . . . . .
aufgeregt von dem gefährlichen Ausweichmanöver des Omnibusses . . .
. . . . im schwarzen Sand . . . . . . . die Kassiererinnen und
Kassierer singen . . . unförmig sein Kopf . . . . . . . . . . . . .
vieleckig . . . . . . . vielleicht achteckig . . . . . . . . . . . .
. . . . . Geschöpfe ihrer eigenen Taten . . . "So beruhig' dich
doch, Hugo!" . . . "Um alles in der Welt, Hugo!" . . .
. . . . . . . . . . . . . . "So beruhig' dich doch, Hugo!"
. . . . . . . "Mach dir nix draus!" . . . . . . . . . . . .
. Aufruhr der Engel . . . wenigstens hab' ich einen Ecksitz . . . du
lieber Himmel . . . . . . . . . . . . . . . . . und diese
Schwärmereien . . . . . . . Auserwählte
. . . vielleicht
neuneckig . . . "Grün
ist die Farbe der Natur"
. . . vielleicht
zehneckig . . . . . . . . . . . . . . . . . "Rot
ist romantisch, das blutige Mittelalter"
. . . . . . . . . . . . . . . . . eher achtkantig
. . . . . . . "Blau
ist die Farbe der Beständigkeit"
. . . . . . . mehrdimensional
. . . "Die
Farbe des Himmels"
. . . Mitglieder eines Paralleluniversums
. . .
Passantinnen und Passanten . . . "Macht euch nix draus!" .
. . im . . . im schwarzen Sand . . . beim nächsten Halt . . .
11
"Iubirea
de bani, de lux,
de viciu, aceasta-i civilizaţia.
Un
popor simplu şi cinstit nu se deosebeşte de plante."
(Emil
M. Cioran)
Aus
dem Land, so der Orientale, in dem man die entscheidenden Dinge,
nicht mehr zu Ende zu denken bereit sei, sei er, der Exilant, in den
Omnibus geflüchtet. So sträube man sich in diesem Land Integration,
ein Wort, das dort wie eine Fahne im Winde klirre, als das zu
verstehen, was es von Beginn an stets gewesen sei, als
Erneuerungsauftrag durch die Vermehrungsorgane nämlich. Natürlich
geschehe dies unwillkürlich von selbst über die Jahrhunderte
hinweg. Achte man allerdings mehr auf die gewählten Worte, könne
man ein wenig heiterer am Dasein dort draußen teilhaben.
Auch
wenn ihm der Busfahrer, der offenbar vom rechten Weg abgekommen sei,
bedrückend vorkomme, toleriere er doch jeden seiner Umwege. Nur hier
im Omnibus führe er ein sicheres Leben. Er sei in Samarkand
zugestiegen, um sicher in Maschhad anzukommen, da dies schon dem
Namen nach der rechte Ort für ihn sei. Der Orientale sei unterwegs
schon vielen Busfahrern begegnet, die ihren Omnibus auf Abwege
gesteuert hätten und auf diese Weise seien ihm allerlei Wanderer
begegnet, die das Land, das er fast die Hälfte seines Lebens
vergebens bewohnt habe, aufgescheucht verlassen hätten. Auch bei
diesen seien es meist die gewählten Worte gewesen, denen sie als
nunmehr Fremde lebenslänglich zu entkommen suchten. Freilich brauche
es seine Zeit, bis man in einer fremden Sprache ankomme, doch Geduld
sei bloß etwas für Feiglinge. Mit spartanischer Strenge habe er in
dem Land, das ihm nach nur vier Jahren einen vorübergehenden
Aufenthalt in seinen hoheitlichen Grenzen gestattet hätte, die
Sprache von ihren Wurzeln her verinnerlicht, die er nun in seinem
Gepäck verstaut habe. Nie habe er sich mit der Frau eines Anderen
eingelassen, da er sein Betragen den übrigen Bürgern als ein Muster
habe aufstellen wollen. Er ziehe es nun vor den ehrwürdigen Ort des
Märtyrers aufzusuchen, da er nicht nach fremdem Eigentum trachte.
Das Eigentum seiner ihm zu eigenen Ballade, so drückte er sich aus,
möge ihn bald ein allerletztes Mal umgeben; das fremde Eigentum
borge er sich lediglich, um seine Hinterlassenschaft zu dichten.
Durch unermüdliches Studium und Übung habe er sein Leihgut
weiterentwickelt, sodass sich ihm gegenüber nur noch geneigte, alte
Meister als duldsam erweisen würden. Ein einziges Mal nur sei er
einer Art Wahrheit in dem fremden Land sehr nahe gekommen, als er
sich dem Aufsichtsrat zur Verfügung habe stellen müssen. "Das
war die Nachricht, die ich erhalten habe", sagte Saeed. "An
dem Tage, an welchem ich den Auftrag zu erledigen hatte, sah ich viel
Volk, welches bloß aus alten Männern und Frauen bestand, auf
Erledigung ihrer Sachverhalte warten. Ich trat in einen langen Flur
ein, in welchem das alte Volk auf den einander gegenüberstehenden
Bänken saß, und nahm mir, ohne dass ich nach rechts oder links
blickte, den nächsten leeren Platz, der sich gerade jenem alten
kleinen Manne gegenüber befand, welchen ich auf meinem alltäglichen
Nachhauseweg immer Geige spielen sah." Jener sei es auch
gewesen, der ihn darauf aufmerksam gemacht habe, dass man eine Nummer
vom Automaten ziehen müsse, bevor man Platz nehme, da man sonst
nicht aufgerufen werde. "Der Alte hatte recht, denn in dem
Augenblick, als er mich ansprach, läutete es und an dem Zähler,
welcher am äußersten Ende des Flures über der Ausgangstüre hing,
leuchtete eine Nummer. Ich beugte meinen Kopf nach vorne und dann
nach rechts, um einen besseren Überblick zu gewinnen, und sah, dass
jeder, der da auf der Bank saß, ein Zettelchen in der Hand hielt. Um
keine Zeit zu verlieren, stand ich auf, ging rasch einen Schritt auf
den Alten zu und fragte ihn leise, wo eigentlich der Automat sei, von
welchem ich, wie er mir sagte, eine Nummer ziehen sollte. Der Alte
hob seine Hand und lenkte sie mit dem Zeigefinger in jene Richtung,
an deren beiden Seitenwänden bis zum äußersten Ende, wo der Zähler
hing, das Volk nebeneinander und einheitlich auf den Bänken saß.
Ich zögerte einen Augenblick und sah den schmalen Weg, welcher
zwischen den beiden Seitenwänden einzuschlagen war, und fragte mich
aufrichtig, ob er sich wirklich lohnte."
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