Samstag, 2. Februar 2019

The Gas Station (Variationen) [= S / W 5.4]





[A Martian Rock Called "Rocknest 3"]






5. 4 Marathon



Man förderte den Durchschnitt. Rohlfs fror. Binnen kürzester Zeit hatte er Schweißperlen auf der Stirn und seine Haare waren nass. Selbst der Richterin, dachte Rohlfs, sollte zur rechten Zeit ein angemessener Standpunkt mitgeteilt werden. Die Auseinandersetzung hinsichtlich der semitischen Nase mit der Nachbarschaft hatte sich, ausgelöst von angemessenen Abwehrmaßnahmen, in einen grotesken Kleinkrieg verwandelt.

Es ist richtig, Frau Vorsitzende, dass wir von Beginn der Bauphase der Statue mit der vermeintlichen Hilfsbereitschaft des Klägers konfrontiert waren, Frau Vorsitzende. Insbesondere Herrn Manfred Hornauer gegenüber haben wir unsere Dankbarkeit hierfür wiederholt zum Ausdruck gebracht. Als problematisch empfanden wir indes schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt die Penetranz, mit der uns die Ehegattin des Klägers gegen die umliegende Nachbarschaft aufzubringen versuchte und es stellte sich rasch heraus, dass offenbar eine mehr oder weniger offene Feindseligkeit zwischen allen hiesigen Nachbarn und Frau Hornauer besteht, was uns als neu Hinzuziehenden zunächst nicht nachvollziehbar war.

Uns wurde zu verstehen gegeben, mit welchen Nachbarn man aus welchen Gründen reden dürfe und mit welchen nicht, wobei in diesem Zusammenhang meist recht derbe Charakterisierungen geäußert wurden. Dies führte dazu, dass wir uns im Verlauf der Bauphase der Statue in zunehmendem Maße beschlagnahmt fühlten und kaum noch wagten den Kontakt zu anderen Nachbarn zu suchen. Vielmehr wurde uns der Eindruck vermittelt, dass wir uns zu rechtfertigen hätten, wenn wir uns einen Wortwechsel mit den “dummen” oder “bösen” Nachbarn erlaubt hatten. Es ist richtig, dass es im Verlauf der Bauphase zu massiven Schwierigkeiten mit Handwerkern, insbesondere mit den für unsere Statue beauftragten Steinmetzen gekommen ist, die inzwischen gerichtlich ausgetragen werden müssen. Andererseits sahen wir die unzähligen Einmischungen von Seiten der Nachbarschaft auch aufgrund o.g. Schwierigkeiten längst schon nicht mehr als hilfreich an. Uns wurde gewissermaßen vorgeschrieben, was wir der Belegschaft anzuweisen hätten und vor allen Dingen in welchem Ton. Mit solchen Leuten müsse man laut Herrn Dipl. Ing. Hornauer “in Fraktur reden”, was unserem Stil und Umgangston indes nicht entspricht. So erlaubte sich der Kläger wiederholt Mitgliedern der Belegschaft in unserer Abwesenheit auf rüdeste Art und Weise Anweisungen zu erteilen und noch dazu unter Gewaltandrohung zu maßregeln: “Dir müsst' man aufs Maul hauen! Mach' die Baustelle sauber, du faule Sau!” Das begünstigte den Baufortschritt freilich nicht. Darüber hinaus baten wir mehrmals darum die Belegschaft der Steinmetzfirma nicht mit Kaffee und kalten Getränken zu verköstigen, da deren Arbeitsverhalten ohnehin nicht anders als katastrophal zu bezeichnen war. Es gab sogar eine Einladung zum gemeinsamen Gulaschessen von Seiten Frau Hornauers an die Geschäftsführer der Steinmetzfirma zu einem Zeitpunkt als uns bereits bewusst war, dass die Arbeiten nicht ordnungsgemäß ausgeführt wurden, was uns außerordentlich verärgerte.

Die Bevormundungen und Maßregelungen von Frau Hornauer, sehr geehrte Frau Vorsitzende, missfielen dem Verfasser dieses Schreibens bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt und mündeten in das in dem Schreiben der Anwälte angedeutete Streitgespräch. Beweggrund hierfür war ursprünglich erneut unsere Dankbarkeit für die Hilfsbereitschaft zum Ausdruck zu bringen, andererseits jedoch die Bitte den Baufortschritt künftig den Bauherren zu überlassen. Hierauf reagierte Frau Hornauer auf äußerst provokativ-spöttische Art und Weise und bediente sich dabei einer unangemessen vulgären Ausdrucksweise: “Sie glauben wohl, weil Sie beim Amt für Verteidigungslasten tätig sind, wissen Sie alles besser und wollen, dass man Ihnen alles in Ihren Arsch hineinschiebt!” Naturgemäß war dies Anlass dazu der Nachbarin wiederholt und in angemessenem Ton mitzuteilen, sie möge nicht in diesem Tonfall reden, was sie mit höhnischem Lachen kommentierte. Mehrmals betonte sie, sie könne schließlich die Mutter des Verfassers jenes Schreibens sein. Dies erfuhr die sehr laute und deutliche Erwiderung, dass die Nachbarin, auch wenn sie seine Großmutter sei, kein Recht dazu habe, sich in diesem Ton zu äußern, woraufhin das Gespräch abgebrochen wurde. Bereits am Abend nach dem Streitgespräch teilte die Nachbarin erstmals telefonisch mit, sie erwarte eine schriftliche Entschuldigung für das Fehlverhalten des Verfassers. Selbstverständlich wurde diese Erwartung “in den Wind geschossen”.

Bei der nächsten Begegnung kam es zu einem weiteren Wortwechsel, in dem die Nachbarin äußerte ihr Ehegatte habe einen Zusammenbruch erlitten, den der Verfasser zu verantworten habe. Schlichtende Worte von Seiten des Verfassers dieses Schreibens wurden nicht angenommen, vielmehr teilte die Nachbarin mit, dass sie “in den nächsten zwanzig Jahren” kein Wort mehr mit ihm wechseln wolle, zumal er ein “zynischer Macho” sei. Es war ihr wichtig zu betonen, dass die Kinder des Unterzeichneten ihr leidtäten. Naturgemäß wurden diese Äußerungen weder ernst genommen noch kommentiert, da sie weit unter der Würde des Verfassers dieses Schreibens liegen. Vermutlich gibt es in der zivilisierten Welt nur wenige Menschen, die sich von einer, streng genommen, wildfremden Person auf derartige Weise anreden lassen möchten. Hieraus resultierte naturgemäß und nachvollziehbarerweise die “kalte Schulter” der Ehegattin des Klägers gegenüber.

Bezüglich der Strom- und Wasserkosten ist lediglich zu sagen, dass diese mit mehreren Schubkarren Muttererde bzw. Baugrund bereits hinreichend vergütet wurden. Auch insgesamt zehn Pakete Kaffee wurden der Familie Hornauer zur Verfügung gestellt, wobei die nachbarschaftliche Hilfsbereitschaft mehrmals explizit als “Selbstverständlichkeit” betont wurde, sodass wir hierfür erneut unsere Dankbarkeit zum Ausdruck bringen möchten. Es sei jedoch betont, dass die erwähnten Holzzerkleinerungsarbeiten sowie all die anderen Hilfeleistungen aus eigenem Antrieb Herrn Hornauers erfolgt sind. Die Nachbarin beschwichtigte die Verlegenheit, in die uns diese Gesten immer wieder brachten, mit der Äußerung, so habe sie wenigstens ein wenig Ruhe vor ihrem Mann.

Im vergangenen halben Jahr kam es allerdings zu wiederholten Denunziationen beim Ordnungsamt der Gemeinde, da wir Verschmutzungen des Gemeindewegs zu verantworten hätten, Anzeigen bei der örtlichen Polizei sowie einem infamen Anruf bei meinem Vorgesetzten, Herrn Dr. Jeremias Reich. In diesem Anruf wurden eine Reihe äußerst abstruser Vorwürfe und Verleumdungen bezüglich der Fürsorge für unsere Kinder geäußert sowie die absurde Bitte den Abriss der Freiheitsstatue umgehend zu veranlassen. Zu Einzelheiten bezüglich dieses sonderbaren Telefongesprächs wird sich Herr Dr. Reich Ihnen gegenüber, Frau Vorsitzende, auf Nachfrage gewiss selbst äußern. Indes beteuerten auch Mitglieder der örtlichen Behörden sowie der Polizei uns gegenüber wiederholt, dass die Familie Hornauer im Umkreis längst als “Querulanten und Denunzianten” bekannt sei. Schließlich wisse jeder in einem nicht unbeträchtlichen Umkreis, dass die Familie Hornauer “sehr unglücklich” sei und ihr einziges Vergnügen darin bestehe ihre Nächsten zu überwachen und zu bestrafen.

Es sei der Ehegattin des Klägers außerdem in Erinnerung gerufen, dass sie in unserer Abwesenheit unser Haus betrat um uns vor Mitarbeitern der Steinmetzfirma schamlos zu diffamieren, woraufhin sie mehrmals vom Geschäftsführer der Firma gebeten wurde das Haus zu verlassen. Auch diverse Anrufe bei Baucontainerfirmen sollen in diesem Zusammenhang nicht in Vergessenheit geraten, die unter dem Vorwand zustande kamen unser Baucontainer stünde auf dem öffentlichen Gemeindeweg, obwohl uns das Einverständnis der Gemeinde hierfür wiederholt zugesagt worden war. In der Zwischenzeit haben wir ein herzliches Verhältnis zu allen Nachbarn des Wohngebiets und es hat sich herausgestellt, dass viele der hier wohnenden Menschen sich ebenfalls sehr stark von der Verhaltensweise der Ehegattin Hornauers belästigt fühlen. Viele Anwohner mussten auch in ihrer Bauphase zahlreiche Anzeigen und Maßregelungen erdulden und würden es nach eigener Aussage als Befreiung betrachten von der Gegenwart einer solchen Nachbarschaft erlöst zu werden, deren einzige Beschäftigung die Denunziation anständiger Mitmenschen zu sein scheint und die Hilfsbereitschaft offenbar damit verwechseln, jemanden in Beschlag zu nehmen. Zahlreiche Zeugenaussagen diesbezüglich werden bei Bedarf selbstverständlich nachgereicht.

Der Verfasser dieses Schreibens hält aus den genannten Gründen lediglich eine ironische Umgangsweise - “Auch noch mit Mehrwertsteuer!” - für angemessen, da ein Gespräch auf vernünftiger Basis nicht möglich zu sein scheint. Hinzu kommt, dass die Einforderung der vermeintlichen Schulden in Gegenwart eines Arbeitskollegen geäußert wurde, der sich ebenfalls über den Tonfall der Nachbarin empörte und sich von ihr angegriffen fühlte. Schulden bzw. Schuldgefühle sind folglich mehr als fehl am Platze und aus nachvollziehbaren Gründen nunmehr vollkommen ausgeschlossen.

Nach seinem Dafürhalten war die Aufforderung, dass Hornauer sich um seine Angelegenheiten kümmern möge sogar in höchstem Maße angemessen. Offenbar hatte er die Nase als einen Angriff auf die deutsch-amerikanische Freundschaft aufgefasst. Ihm, Rohlfs, Antisemitismus zum Vorwurf zu machen, war letztlich absurd, da er die Statue im Gegenteil als Zeichen der Ehrerbietung aufgestellt hatte. Glücklicherweise stärkte der namhafte Fußballathlet, wie lautete sein Name nur, ihm immer wieder den Rücken im Nahkampf mit dem pensionierten Diplomingenieur, dem im Eifer des Gefechts eine trübeitrige Flüssigkeit aus dem fehlerhaft eingesetzten Hörgerät troff. Oft hinter dem sicheren Schutz der Gartenmauern oder Tujahecken, erklärte Hornauer ihm zuletzt nahezu tagtäglich den Krieg. Im Vorübergehen unterstützte der Athlet mit Einwürfen und gezielten Distanzschüssen Rohlfs im Nachbarschaftsgemetzel. "Nur keine Verklärung der heimatlichen Schollen!", attackierte er den verblüfften Hornauer auf bewusst kryptische Weise, sodass jener zumeist leise in sich hinein fluchend rasch den Rückzug in sein Musterhaus antrat. Vermutlich hätte der Fußballbund den Athleten längst suspendiert, wenn man den Denunziationen Hornauers, deren Häufigkeit und boshafte Banalität sie vor langem schon entkräftet hatten, noch Glauben schenkte. Andererseits begrüßte das Amt selbstverständlich die wiederholten Anschuldigungen Hornauers als erschwerende Beweggründe für seine zügige Entlassung. "Wie weit erstreckt sich das Weltall?", fragte sich Rohlfs fröstelnd und rieb sich die Oberarme. Er wollte sein Schicksal in die Hand nehmen.

"Schreiben Sie nur, schreiben Sie nur, Rohlfs. Ebenso werde ich weiterhin nach erfolgreichem Abschluss des tagtäglichen Trainings über Sie schreiben. Verwundert Sie dies? Glauben Sie bloß nicht wir Athleten seien nicht in der Lage jede Einzelheit festzuhalten. Der Ausnahmezustand ist unsere Berufung, Rohlfs. Das atemberaubende Ausmaß der allerhöchsten Entlohnung ist unsere Verzückung. Nach einer Saison in Singapur folgt bestenfalls noch eine Spielzeit in Dubai und glauben Sie mir, Rohlfs, die Reise auf den Mars ist der Zenit eines jeden Menschenlebens. Unsere japanischen Freunde werden nicht ruhen, ehe wir die vereisten Pole gesprengt haben werden, Rohlfs. Das wird, Rohlfs, das größte Spektakel seit der Auslöschung der Dinosaurier. Was will der Mensch, Rohlfs? Aufwärts streben will er und fast den Engeln gleich sein. Gewaltige japanische Spiegel in der Erdumlaufbahn, Rohlfs. In nur etwas weniger als sieben Jahren wird es Vegetation geben und die Völkerwanderung beginnt. Es werden prominente Gäste an Bord der Raumschiffe sein. Börsenmilliardäre, Athleten, Helden, gesunde Männer und Frauen, Rohlfs, mit strahlend weißem Gebiss. Techniker, Programmierer sowie das Showgeschäft, Rohlfs. Wir werden es brauchen dort oben, Rohlfs! Musik, Rohlfs! Reine Musik! Freie Musik, Rohlfs! Die pentatonischen Labyrinthe lassen wir den armen Irren hier auf Erden zurück. Hier unten wird es rein gar nichts mehr geben außer dem Gekreuzigten. Tabula rasa. Alle Dateien werden gelöscht werden. Eine lösbare Aufgabe, mein Lieber! Vielleicht kann ich ein Wort für Sie einlegen, Rohlfs. Wir werden letztlich auch jemanden wie Sie brauchen. Sie könnten der Verfasser des ersten Marsevangeliums sein, Rohlfs." "O Fanfare des Untergangs!", ereiferte sich Rohlfs unvermittelt. "Nun, mein Lieber, auch da oben wird selbstverständlich nur das Höchste zählen. Das Schrifttum wird von neuem erfunden werden. Das Schrifttum als geistiger Raum wird von uns nach Bedarf verändert. Sie und ich, Rohlfs. Zwei oder drei achtstellige Beträge, Rohlfs. Was macht das schon aus! Mehrere Billiarden Dollar soll das Projekt verschlingen und bereits verschlungen haben, heißt es. Chinesische Investoren! Dort oben werden wir kein Geld mehr brauchen, Rohlfs! Was halten Sie davon?"

Rohlfs ließ sein Schreibgerät hastig auf dem Papier kreisen ohne den Eindruck zu vermitteln, dass er von dem ekstatischen Vortrag des Athleten abschweifen würde. Seine Anstrengung galt indes ausschließlich dem Versuch seine Spurensuche fortzusetzen, doch er durfte sich dem Athleten gegenüber unter keinen Umständen auch nur das geringste Anzeichen von Abwesenheit gestatten. "Es ist überwältigend. Unter Kuppeln. Glasscheiben. Ja, ich schreibe es auf. Das rote Gebirge, die künstlich überfluteten Krater. Der Gekreuzigte in weiter Ferne." "Die Ruhe müssen Sie bewahren, Rohlfs. Das Leben unter den Kuppeln wird Ihnen gut tun. Sie werden von gesunden Menschen umgeben sein, welche nichts als Wachstum genießen wollen. Wachstum, Rohlfs! Nichts als Wachstum, wo Sie nur hinschauen! Naturkatastrophen im Stundentakt. Stürme, Rohlfs, vor deren Gewalt Sie nur die japanischen Glaskuppeln schützen, deren Härte jedem Meteoriteneinschlag standhalten. Energie, Rohlfs, wo Sie nur hinschauen, Energie! Kunst, Rohlfs! Kunst!" "Ins Blaue. Unterhalb von uns. Oberhalb Phobos und Deimos. Wir schwenken die Fahnen!" "Tja, lieber Rohlfs, Fahnenschwenker hin oder her - aber auch dies hier zeigt wieder wie real doch die Verschwörung gegen den gesunden Menschenverstand ist. Und während die meisten von uns glauben, dass sie gut informiert sind, wenn sie wissen, wie die Eintracht am letzten Wochenende gespielt hat, wird anderweitig ihre Zukunft verkauft. Wir wollen uns Leben erbeuten und Ruhm, Rohlfs. Bewahren Sie die Ruhe und hören Sie auf mit Ihrem larmoyanten Weltschmerz. Konsultieren Sie einen guten Zahnarzt und lassen Sie sich schleunigst Ihre Amalgamplomben entfernen. Ihre Reizbarkeit und Unruhe, Rohlfs, der Metallgeschmack in Ihrem Mund, die Appetitlosigkeit! Sehen Sie nur, wie Sie von einem Bein auf das andere treten. Mein Zahnarzt wird wahre Wunder an Ihnen vollbringen. Astronauten brauchen gesunde Zähne. Unterlassen Sie vor allen Dingen diese jämmerlichen Petitionen, Rohlfs! Erdgasförderung gefährdet unser Grundwasser. Internet-Petitionen gegen hydraulische Frakturierung, die Pferdesteuer, die Erhöhung der Parteienförderung, die Zensur von Pornographie und den digitalen Weihnachtsbaum. Rohlfs, wachen Sie auf! Niemand wird sich um Ihren hohen Intelligenzquotienten scheren. Auf den Grad der Manipulierbarkeit wird es beim Auswahlverfahren ankommen, Rohlfs! Im Idealfall gleich null, wenn Sie verstehen, was ich meine. Nichts sonst zählt!" Der Athlet zog zischend Luft ein, als würde er unter Schmerzen um eine bedeutsame Antwort ringen. "Mir sagte jemand: Sie müssen wirklich darauf achten, dass Sie den Übergang vom professionellen Sport in diese andere Welt nicht zu sehr forcieren. Ich bin ja ein Meister darin, solche Dinge im Extrem zu betreiben. Der Weg ist noch nicht zu Ende. Es gibt keinen Grund zu sagen, dass der Aufwärtstrend nicht mehr zu erkennen sei." Vorsichtig betastete er seine aufwendig hergerichtete Frisur, was Rohlfs bei dem sich nahenden Unwetter nicht verwunderte.

"Grämen Sie sich nicht weiter über irdische Belange, Rohlfs. Die Trinkwasservorräte auf dem Mars sind unbegrenzt. Ein mehrere Milliarden Jahre altes Urgewässer vermischt mit Meteoritenstaub. Wasser, Ammoniak, Methan, Kohlendioxid und Kohlenmonoxid vermengt mit Meteoritenstaub, Rohlfs! Tja, da staunen Sie nicht schlecht, mein Lieber! Ich kenne mich aus mit solchen Dingen. Schreiben Sie nur, schreiben Sie nur, Rohlfs." Der Athlet begann, seine letzten Worte rhythmisch wiederholend, auf der Stelle zu trippeln - als wolle er einen plötzlichen Wutanfall an sich niederkämpfen. Das ewige Gejammer, weil nun einmal Späne fielen, wo gehobelt wurde. Im Sport beispielsweise, und wenn schon, hauptsächlich würden die hunderte von Polizisten, und Polizistinnen ja neuerdings auch, die meiste Zeit doch einfach das Spiel gucken. Logisch, dass ein paar Typen versuchten über die Stränge zu schlagen, wenn irgendwo richtig etwas los war. Da war die Polizei im Grunde zu zimperlich, ordentlich ein paar überbrennen, wenn die Halbstarken es wissen wollten. Man konnte allerdings seine Zweifel haben, wie die Mädels von den Bullen dabei klar kämen. Aber so war es nun einmal im wirklichen Leben! Und im Sport! Die Räume eng machen, unbequem sein und mit großer Kampfbereitschaft und Leidenschaft ran an den Gegner! Die Zweikämpfe annehmen, nicht nur auf die Abwehrarbeit konzentrieren, sondern auch nach vorne spielen! Die Zähne zeigen, Herrgottnochmal! Wie im richtigen Leben. Technik beispielsweise. Und ob da gehobelt wurde! Und Späne fielen da auch, früher hier ja auch, Luftverschmutzung beispielsweise, was ja gut war, dass das bei uns jetzt vorbei war. Klar, dass jetzt in China erst mal dicke Luft war, genau wie früher hier, nur dass sich keiner mit einem Messgerät hingestellt hat in den Qualm. Brauchte man auch gar nicht, millimeterdick hatte der Dreck auf den Autos gelegen. Ja, Autos, die sich die Arbeiter nämlich überhaupt einmal erst leisten konnten, und zwar weshalb, wegen dem Dreck! Der Dreck hat das Geld gebracht, ganz schön in den Mond hatten alle geschaut, als Schluss war mit dem Dreck! Mit der Technik ging es immer weiter, genauso wie im Sport. Der Weltrekord im Reißen, Klasse bis 56 kg, Männer, lag bei 138,5 kg. Dagegen waren sowieso immer welche, lächerliche Petitionen, sogar gegen den digitalen Weihnachtsbaum, aber am Ende wollten alle mit, ohne Rücksicht auf den Intelligenzquotienten, wenn's im großen Stil losging in Richtung Mars. Da machten dann manche große Augen, wenn es hieß, das Boot ist voll. Dabei mussten ja die Plätze knapp sein, reines Marktprinzip. Ohne Knappheit war das Ganze nichts wert, so etwas wusste doch heute jedes Kind. Man durfte nicht überziehen. Das war einem als professioneller Sportler klar, dass man den Übergang in eine andere Welt nicht forcieren durfte. Schließlich war man Meister darin Dinge im Extrem zu betreiben. Also auch mal Fünfe gerade sein lassen, aber sich nicht weiter über irdische Belange grämen. Offiziell lag der Weltrekord im Reißen nunmehr bei 138,5 kg. Die Trinkwasservorräte auf dem Mars waren unbegrenzt. Ein mehrere Milliarden Jahre altes Urgewässer vermischt mit Meteoritenstaub. Wasser, Ammoniak, Methan, Kohlendioxid und Kohlenmonoxid, wiederum vermischt mit Meteoritenstaub, das konnte im Grunde jeder recherchieren. Es war eins der Wörter, auf die Rohlfs schon mehrfach gestoßen war. Sportprofis recherchierten solche Dinge, jeder hatte heute die Möglichkeit etwas zu recherchieren. "Der Mensch ist Geschöpf des Lebens und der Welt und der ihr zugrundeliegenden, uns unbekannten Mächte, nicht selber Schöpfer. Der Versuch, über seine Möglichkeiten und Kräfte hinaus etwas aus sich zu machen, schaffend oder genießend, führt zum Untergang. Die Kirchen allein haben es wahrgenommen, dem Menschen seine bescheidene Rolle in der Schöpfung zu zeigen, ihn Demut - wie es mit einem biblischen Ausdruck heißt: Gottesfurcht - zu lehren", betonte Rohlfs lehrmeisterhaft den Zeigefinger hebend. "Freilich, die große Mehrzahl der Kinder wird, ausgerüstet mit einem guten Erbe, ihren Weg schon gehen; wenn auch als platte Optimisten, ohne Kenntnis der Tiefen und Abgründe des Lebens. Aber die, welchen Hilfe bitter nottäte, sie laufen blind in ihr Verderben."

"Rohlfs, Rohlfs, Rohlfs, wir wissen doch beide, dass Du weder Parteigänger noch Kirchgänger bist. Was plusterst Du Dich also so auf? Wir müssen die Räume eng machen, unbequem sein und mit großer Kampfbereitschaft und Leidenschaft agieren. Wir müssen die Räume eng machen und die Zweikämpfe annehmen, aber wir dürfen uns nicht nur auf die Abwehrarbeit konzentrieren, sondern müssen auch nach vorne spielen, Rohlfs. Du redest schon wie der alte Alois, von dem Du immer erzählst!" "Die alten Kirchen sind Träger dieser höchsten, wichtigsten Wahrheit geblieben. Sie lehren uns persönliche Verantwortung vor dem persönlichen - was nicht zu heißen braucht: menschenähnlichen, mit menschlichem Bewusstsein ausgerüsteten - Grund der Schöpfung. Freilich sind sie traditionsgebunden und überaltert. Ihre Formen und Sprache muten uns Heutigen kindlich an. Die Brüchigkeit ihrer geschichtlichen Grundlagen erkennt selbst der sogenannte einfache Mensch. Das ist aber gar nicht so wichtig, es kommt auf den Sinn und den Zweck der Sache an. Die Hauptsache ist der große Ernst, mit dem hier das Wichtigste, was es für uns geben kann, behandelt wird. Ich würde für meine Töchter den Übertritt in eine dieser Kirchen, am besten in die seelisch reichere katholische, empfehlen, wenn ich nicht die geistige Enge, den ungeistigen Wortglauben und den Fanatismus und Moralismus fürchtete. Um den Preis des Denkens kann man diese Schätze nicht kaufen, es ist zudem heute  gar nicht mehr möglich. Die Kirchen tragen vielfach eine ungeheure Schuld, wie ich glaube, am Brachliegen  des ihnen anvertrauten höchsten Gutes."

Der Mensch war der Mensch, von wegen Geschöpf des Lebens und der Welt und der ihr zugrundeliegenden unbekannten Mächte, Herrje. Das hatte sich noch immer gezeigt, dass erst etwas unbekannt war und darum Gegenstand der Religion. Und ob der Mensch selber Schöpfer war! Die Versuche über seine Möglichkeiten und Kräfte hinaus etwas aus sich zu machen, schaffend oder genießend, führten keineswegs zum Untergang. Als ob Wissenschaft und Technik sich darin erschöpften, wie es beispielsweise in der Bibel hieß, dass ein paar Hampelmänner um das goldene Kalb hüpften! Hätten sie das Gold beispielsweise für den Bau von elektronischer Technik verwendet, hätten sie vielleicht nicht erst tage- oder wochenlang in Wüstenhitze auf ihren Häuptling warten müssen, damit der ihnen sagte, wie es weiterging. Jeder hätte sich selber informieren können. Solange die Technik fehlte, gab es die Fritzen, die den Leuten Spinnereien ins Hirn setzten. Man sollte einmal erforschen, wieviel von dem Gold fürs goldene Kalb abgezweigt wurde, dreimal durfte man raten, von wem – und wofür: nämlich nicht für goldene Kälber oder noch so’n Quatsch, was ja nur was für Dumpfbacken war. Also für's Kirchenvolk, dem nämlich wurde seine bescheidene Rolle in der Schöpfung eingeimpft, Demut, Gottesfurcht. Und wer sich vor Gott nicht fürchtete, der hatte dazu immer noch und überhaupt die Kirche. Die musste man allerdings fürchten, und sie hatte auch die Mittel dazu, nahm sie sich von den Leuten, kein Mensch war ansonsten in einem derart teuren Verein! Marsaktien waren ein Taschengeld dagegen! Und so musste es auch sein, jedes Kind sollte sich seine Aktie kaufen können, freiwillig, versteht sich. Für wen war denn die Technik da, und überhaupt die Zukunft? Für die Kinder, und die würden am leichtesten verstehen, dass es für sie immer um die Zukunft ging, weshalb ja auch den Kindern jedwede moderne Technik leichter einging als ach so klugen Erwachsenen, je mehr Bildung, desto mehr Bedenken, weil ja die ganze sogenannte Bildung ein einziges Museum war. Platte Optimisten seien die, denen der Sinn für die Tiefen und Abgründe des Lebens fehlte. Da musste man sich bloß einmal die Eintrittspreise von wohlsituierten Kulturveranstaltungen ansehen, in denen einem Einblicke in die Tiefen und Abgründe des Lebens vermittelt wurden! Oder die Snobs, die sich dort herumdrückten, jeder Theatersitz mit mehr als hundert Piepen subventioniert, die Kirchensteuer lässt grüßen. Höchste und wichtigste Wahrheiten, als ob es so etwas gab! Man konnte eine Sache so oder so betrachten, und je nachdem kam dies oder das dabei heraus, oder gar nichts. Und natürlich musste man genau dafür die Verantwortung übernehmen, zum Beispiel für die Kosten, wenn etwa nichts dabei herauskam. Jede Menge schädliche Dinge kamen auf diese Weise zustande, die aber jedenfalls klappten, und wer sie haben wollte, der kaufte sie. Der Schöpfer machte Kasse und konnte vielleicht sogar eines Tages etwas Nützliches zustande bringen, am besten ohne dann doch noch pleite zu gehen.

Der Grund der Schöpfung, was sollte das sein, wo und wann sollte etwas sich ereignet haben, bevor es irgend ein Wo und Wann überhaupt gab? Wer stellte solche Fragen, die buchstäblich zu nichts führen konnten, außer dass beispielsweise eine Kirche die Hand dafür aufhielt, weil sie vor einem so gedachten Ort und Wesen Wache schob – im Auftrag jenes Wesens selber, der Hut konnte einem hochgehen. Weil der ominöse Gegenstand aller Kirchen dieser Welt nun einmal nirgendwo zu sehen war, hielten sich die kleinen Leute an die Vereine und machten sie zum Gegenstand ihrer Verehrung. Das geschah ja selbst im Fußball, je bekloppter da manche waren, desto fanatischere Fans waren sie, da konnte ihr Verein reihenweise die Spiele verlieren. Die cleveren Fans hatten ihren Spaß beim Spiel und kauften Aktien, was denn sonst! Nur Idioten waren Fans des Vereins, in dessen Nähe sie gerade wohnten, Macht des Schicksals, als sei daran nichts zu ändern!

Constances nervöses Klopfen vom Hauseingang her ließ Rohlfs indes aufschrecken. "Let's push the boundaries!", wollte Rohlfs dem Athleten noch nachrufen, doch vermutlich um den ersten Regentropfen zu entgehen, legte dieser nunmehr einen Sprint ein und war bereits irgendwo zwischen den umliegenden Häusern aus dem Blickfeld verschwunden, bevor Rohlfs das erste Wort aussprechen konnte.

Hastig vergrub er das Notizbuch unterhalb seines Gürtels. In der Ferne meinte Rohlfs eine Trillerpfeife zu hören. "Der Strom ist ausgefallen! Es wurden Orkanböen gemeldet!", rief Constance. "I can hear the wind blow!", rezitierte Rohlfs die ihr wohlbekannten Verse.

Constance stemmte einen Arm in die Seite und rief ihm durch das urwüchsige Trommeln des nun ausbrechenden Platzregens in gebrochener Koloratur entgegen: "Was überhaupt stehst Du mit dieser Drohne an Hornauers Mauer herum, als wolltest Du im Gewand Platos die letzten Worte des Sokrates verewigen?" "Well, you can radiate everything you are!", entgegnete er ihr singend. "Du bist unverbesserlich!", schrie ihm Constance halb verstimmt, halb belustigt durch den Regen hindurch zu und winkte ihn zu sich. "Komm nun endlich", hob sie erneut an, "komm ins Haus und sag mir alles, was Du weißt."

Rohlfs nickte eine Weile stumm vor sich hin und genoss das über seinen Körper strömende Wasser.

Der Athlet hatte zu Zeiten das Unglück der zu klein gewachsenen Männer bitter gekostet. Jetzt war ihm davon nur die gewohnheitsmäßige Unterwürfigkeit geblieben, die ihn, sehr zu seinem Zorn, in Augenblicken des Schrecks oder auch nur der Überraschung, überfiel.

Rohlfs, der ihm regelmäßig im Bad begegnete, konnte ihn normalerweise beim Betreten des Duschraumes nicht grüßen, da er Nackte grundsätzlich nicht ansprach. Sich nackt auszuziehen gehörte zu Zeiten seiner Kindheit zu  den Dingen, die unter keinen Umständen zu geschehen hatten. Niemals hätte Rohlfs etwa einen erwachsenen Menschen je nackt gesehen, seine Eltern gar zeitlebens nicht. Wie alles, was in Erziehungsdingen  vordem streng verboten war, wurde dann, wie alle übrigen, auch dieses Tabu gebrochen, so wie Regeln überhaupt, das sagte einem heute jedes Kind, dazu da seien, um gebrochen zu werden. Nacktheit war also, wie Rohlfs frotzelte, streng erlaubt.

Constance hatte eher keinen Sinn für diese Art von Humor. Dabei ging sie schon länger nicht mehr mit zum Baden, weil sie die teigigen Leiber junger wie alter Weiber, Kinder fröhlich dazwischen, natürlich auch kleine Jungen, in der Frauendusche nicht mehr anschauen wollte. Wie man sich da wusch, die feisten Röllchen im Glanz des heißen Wassers, Apfel- und sonstiges Aroma der üppig verwendeten Duschlotionen die dampfige Luft schwängernd, ächzend und schnaufend vornübergebeugt, in dem wohligen Gefühl sich im Vollzug einer grundguten Verrichtung zu befinden!

So ungefähr lauteten Constances häufige Kommentare, bevor sie unter Vorwänden die gemeinsamen Besuche des Hallenbades mit Rohlfs eingestellt hatte. Es war ihre Art auf sich selber zu achten. Rohlfs' Kritik dagegen missbilligte sie, wenn sie sie auch teilte, aber am Ende lief es darauf hinaus, dass eben ihr die Dinge, gegen die Rohlfs sich auflehnte, nicht begegneten. Natürlich wusste sie Bescheid und verstand ihn darum auch, aber wozu gegen den Strom schwimmen, als ob das irgendetwas ändern würde!

"Warum nennst du ihn eigentlich - den Athleten?" - "Er ist, abgesehen von seiner Körpergröße durchweg athletisch. Es gibt an ihm kein Gramm Fett, übrigens auch keine übertriebenen Muskeln wie bei anderen Wichtigtuern, die vor Kraft kaum laufen können."

Tatsächlich lebte der Athlet in und mit seinem Körper wie mit einem Ding. Bestenfalls, dass er sich von ihm an einen Ort tragen ließ. Dann war er auch ängstlich und schüchtern, mit jener nervösen Aufmerksamkeit im Gesicht, ob ihn etwa jemand geringschätzig anschauen möchte, oder ob jemand, den er diesbezüglich in falschem Verdacht hatte, demütig zu grüßen sei. Es war tatsächlich der Athlet, der die Dusche betreten hatte. Rohlfs, der gehört hatte, dass die Brause nur ein einziges Mal aktiviert worden war, verfolgte im Geist die weiteren Handlungen des Badegastes, und war gleich überzeugt, dass es der kleine Mann mit dem kindlichen Körper sein musste. Er hörte, wie er gleichmäßig, um nicht zu sagen methodisch atmete, dazu die schmatzenden Geräusche des sich Einseifens. So stand er auch da, Rohlfs, der vorbeiging, genau den Rücken zuwendend, wodurch der peinlichen Situation der gewöhnlichen gegenseitigen Nichtbeachtung ihre Spitze genommen war, von Kopf bis Fuß cremig weiß eingeseift und noch damit beschäftigt an der einen oder anderen Stelle nachzuseifen in schnellen und außergewöhnlich eifrigen Bewegungen. Rohlfs, von jeher an rituellen Verrichtungen auf das Entschiedenste  interessiert, verfolgte von seiner Halbkabine aus lauschend das weitere Geschehen, warf auch einmal einen scheuen Blick an der Kabinenwand vorbei auf den Kleinen und sah, wiewohl überrascht durch das Extrem dessen, was sich seinem Blick bot, dann aber doch mit dem Gefühl einer bestätigten Erwartung, wie der Athlet, splitternackt, wie er ja nach wie vor war, in die Startstellung eines Wettläufers gegangen war, fein säuberlich die Haltung der Finger korrigierend, wobei man ja immer in weitem Bogen den ganzen Arm hebt. Allein das ein vollkommenes Schauspiel, wie Rohlfs in der einzigen Sekunde feststellte, in der er das Tun seines Duschgesellen erfasste; dann aber, und zwar genau in demselben Augenblick, in dem er reflexartig noch einmal hinblickte, hob der kleine Mann ebenso theatralisch genau ein Bein, allerdings nicht um es wie zuvor die Hand an der Kante von Wand und Fußboden wieder und jetzt eben genauer mit den Zehen tastend aufzusetzen, sondern, man fasste es nicht, er streckte es weiter in genauer Linie des Rückens zur Wand hin und setzte auch den Fuß dem Bein Spannung verleihend richtig dort auf der Wand auf um so, davon war Rohlfs völlig überzeugt, den Strahl der Dusche genau auf seinen Anus gerichtet, dort Reinheit herzustellen, wo er sich offenbar aus allzu großer Reinlichkeit nicht anfassen wollte. Auch war der Athlet immer in Eile. Vielleicht reichte sein Anspruch an Gründlichkeit so weit, dass ein Weg nur dann richtig zurückgelegt sei, wenn das auf diejenige Art geschah, die keine weiteren Spielräume zuließ. So hatte der Kleine sich auch schon unter der Dusche eingeseift, das heißt, vollständige Nässe war dazu erforderlich, auch vollständige Blöße, versteht sich. Dann aber stand er nass und nackt, Rohlfs, der vorüberging, den Rücken zukehrend, und rieb sich über und über mit der seifigen Schmiere seines Duschgels ein, nicht etwa, so wie man das gewöhnlich sah, jeweils die wärmende Dusche, die ja, zum Ärger der meisten Badegäste alle paar Sekunden stoppte, mit dem fummeligen Ventil mehr oder weniger am Laufen haltend, sondern glitschig in dem Maße schaumiger werdend, wie er rieb.

In erstaunlicher Behändigkeit vollführte er dabei die erforderlichen Bewegungen, immer der Versuchung widerstehend, daraus eine Art Choreografie werden zu lassen. Da es ansonsten in der Dusche still war, sofern nicht Rohlfs' eigene Brause gerade plätscherte, hörte man das Gleiten und Schmatzen seiner Hände, auch ein leichtes Schnalzen, wenn er unverkennbar mit beiden Zeigefingern in die Ohren fuhr.

Bei einem raschen Blick, einem Reflex, dem Rohlfs nicht widerstehen konnte, staunte der immer aufs Neue, wie viel weiter der Athlet es mit seinen Verrichtungen trieb, als er vom bloßen Hören geglaubt hätte. Nun saß er doch tatsächlich, klein, wie er war, umso tiefer drunten am Fußboden in einer Art Meditationsposition, das Gesicht dem Brausenstrahl, den er endlich aktiviert hatte, entgegengereckt, und bei einem zweiten Blick, Rohlfs war zu perplex um zu glauben, was er gesehen hatte, nun mit dem Rücken dem Strahl zugekehrt, das nun allerdings so, dass der Strahl ihn genau an derjenigen Stelle der Schultern traf, die dem Wasser zugewandt war, dafür schien er ein untrügliches Gespür zu besitzen. Am Stillstehen der Brause und einigem Knacken seiner Gelenke erkannte Rohlfs, dass der kleine Mann sich erhoben haben müsse. Seine Badehose war blau und von der Art, dass der Bund etwas zu hoch saß, wie man es sonst bei züchtigen Südländern sah, dafür waren wiederum die Beine zu weit ausgeschnitten, Arnold Schwarzenegger hatte wohl solche Badehosen getragen. Ganz keck dagegen die Art, wie er die Flasche mit dem Duschgel in den Bund klemmte, so, als sei der Teil zwischen Gummi und Beinausschnitt eine Art Gurt, beim Militär trug man so ähnlich das Käppi. Mehrmals stellte Rohlfs sich vor, welche Art von Uniform der Kleine wohl außerhalb des Schwimmbades trug, wenigstens war er Mitglied des Roten Kreuzes oder des Technischen Hilfswerkes.



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