["Kälteschlaf", MM]
Fünf Intermezzi über »Andere Häfen« von Christopher Ecker
Die Eidechsenmenschen glauben, Geschichten wären Fallen, die den, der sie hört, oder den, der sie erzählt, hoffnungslos in sich hineinziehen und für immer in einem bodenlosen Loch jenseits des Kontinuums eines Universums fangen, das sich selbst erzählt! [Christopher Ecker, "Andere Häfen" (2017)]
Es geschah nun nichts Besonderes mehr. Die Sterne glänzten, funkelten und zitterten, nur manche schießende Schnuppe fuhr durch sie.
Endlich, nachdem die Sterne lange allein geschienen hatten und nie ein Stückchen Mond an dem Himmel zu erblicken gewesen war, geschah etwas anderes. [Adalbert Stifter, "Bergkristall" (1845/1853)]
Es geschah nun nichts Besonderes mehr. Die Sterne glänzten, funkelten und zitterten, nur manche schießende Schnuppe fuhr durch sie.
Endlich, nachdem die Sterne lange allein geschienen hatten und nie ein Stückchen Mond an dem Himmel zu erblicken gewesen war, geschah etwas anderes. [Adalbert Stifter, "Bergkristall" (1845/1853)]
I.
Am
Boden
Die
Unterlagen soweit vor mir ausgebreitet, wartete ich, dass der
Direktor hereinkam. Meine Frau hatte gemeint, es könne nichts
schaden, auch in seinem Falle nicht, aber bei einem solchen Anlass
eine Flasche Wein, das sah doch wie ein Schuldeingeständnis aus! Auf
jeden Fall würde sie als erste erfahren, und den Wein würden dann
wir, nein, das wäre nichts gewesen mit dem Wein. Schon weil der
kleinste Wink, beispielsweise, es sei, weil man trinke! Dabei kam
jeder mit solchen Dingen ins Hintertreffen, eigentlich konnte man
sagen, sie existierten bloß dazu, weil man damit jederzeit jemanden
zu Fall bringen konnte. Dass man jetzt so lange warten gelassen wurde
mit den Unterlagen, lag daran, dass man sie hatte, natürlich hatte,
wenn man eigens damit einbestellt wurde. Nicht wenigstens sie zu
haben wäre die Katastrophe, aus der man glauben mochte sich
herausreden zu können. Aber das war klar, dass der, der nicht einmal
den Schein zu wahren wusste, verloren war. Andererseits war das
Mitbringen der Unterlagen nicht viel mehr, als dass man bei der
Verkehrskontrolle die Papiere vorzuweisen hatte. Jawohl, man konnte
sie vergessen haben, ein Blick in den Polizeicomputer und die Geltung
dieser Rechtfertigung war festgestellt. Das waren also die
Unterlagen, jeder wusste, dass sie in einer langen Nachtsitzung teils
aus Notizen und zu einem bedenklicheren Teil mehr oder weniger klugen
Eingebungen folgend entstanden waren. Aber wer nicht einmal das mehr
zustande brachte, dem war nicht zu helfen. Warum schließlich wurde
einem der Termin beim Direktor mit dem entsprechenden Vorlauf
gegeben! Ja, er würde gleich kommen. Eine Stunde in seinem Zimmer zu
warten, ja man konnte einmal kurz aufstehen, aber nicht herumgehen.
Das kannte man schließlich, die Tür wurde aufgerissen, während man
hinter dem Sessel des Chefs stand, ein Familienfoto, weiter hatte man
nichts angeschaut. Ich hatte es auch bei anderen Gelegenheiten schon
gesehen. Ein paar Mal war ich jetzt schon so aufgestanden, es hatte
immer kürzer gedauert, bis sich der Krampf wieder meldete. Dann das
Aufreißen der Tür, ich erschrak doch, obwohl sitzend an meinem
Platz, der Direktor mit mehreren Kollegen. Einen Termin, ja gerne,
könne ich jederzeit haben. Nein, nicht dass er wüsste, aber gerne,
wie gesagt, können natürlich jederzeit. Ob es denn etwas
Besonderes, wegen der Unterlagen, meinte er. Nein, eigentlich nicht.
Im Augenblick natürlich, wenn ich entschuldigen wollte.
Und
wie es denn gelaufen sei, wollte meine Frau nachher wissen. Von so
einer Gelegenheit an wollte man immer etwas sorgfältiger sein mit
den Unterlagen, und überhaupt. [B. Karl Decker]
II.
Rückkehr
Der
Erste Offizier, der sich mit überwiegender Zustimmung seiner
Mitbewohner in diesen Dienstgrad emporgearbeitet hat, zeichnet sich
durch seine außerordentlichen Verdienste als Gestaltwandler in
besonderem Maße aus. Seine Aufschiebeschlaufen lassen bei
entsprechender Fachkenntnis ohne weiteres erkennen, welches Ansehen
er im Kreise des Offizierskorps genießt. Hervorzuheben seien bloß
seine Bemühungen im Bereich des internationalen Musikdienstes sowie
um die allmähliche Abschaffung des Gleichschritts. In seiner
Eigenschaft als Kappellmeister bemüht er sich um verschiedene dem
Kälteschlaf angemessene Möglichkeiten, den Unregelmäßigkeiten
jeder außerirdischen Mannschaft gerecht zu werden und somit den
herkömmlichen Gleichtaktstörungen im Weltraum entgegenzuwirken.
Seine Arrangements dienen der Belebung des Sanftmuts nach all den
zurückgelegten Lichtjahren an Bord des Forschungsschiffes, dessen
Expedition einzig und allein der Vision gewidmet ist, auf eine
vitalisierte Erde zurückzukehren. Die Besatzung des Schiffs,
allesamt hingebungsvoll an einem Instrument ihrer Wahl ausgebildet,
fühlt sich den Anordnungen des Ersten Offiziers vertrauensvoll
verpflichtet. Die ersten Anzeichen von Missgunst, jeder Mangel an
Leichtigkeit im Umgang mit dem Tonmaterial, die Verwendung
überkommener musikalischer Parameter oder die Rückbesinnung auf
feierliche Traditionen, seien sie militärischer, ziviler oder
religiöser Herkunft, führen auf allen Ebenen des Schiffs zum
sofortigen Ausschluss des Mannschaftsmitglieds durch die
Hauptschleuse. Jedes Fehlverhalten wird in einer jedem Mitglied
zugänglichen Statistik vom Bordcomputer angezeigt, der darüber
hinaus auch den Verlauf des Verhörs durch den Ersten Offizier
festhält, sodass die Beweggründe für den Ausschluss stets
transparent sind. Aller Sorgen der ehemals vertrauten Welt ist die
Besatzung enthoben; lediglich durch das Geschichtenerzählen, in
dramatischer, aber auch in musikalischer Form, sind die Mitbewohner
des Schiffes in Trugbilder und Erinnerungen an die zurückgelassene
Erde verstrickt. Erst allmählich wird sich der Erste Offizier dessen
bewusst, dass die »Gejagte
Form«
seiner Aufführungspraxis zunehmend stiller wird und seine Stimme ihm
abhanden zu kommen droht. Endlich bemerkt er, dass die irdische
Redensart von der totgeschlagenen Zeit zwischen den Perlen
geprügelter Worte eine hervorragende ist. Fast, so denkt er, berührt
sie – ja, das ist es! - eine Art von stillschweigendem Konsens. Die
geneigte Leserschaft ahnt, dass es auch in diesem Fall der Kapitän
als Erster Offizier sein würde, der als Letzter das Schiff verließ,
ganz gleich, in welchem Zustand es sich inzwischen befinden mag.
[Liana Helas]
III.
Dosen
Was
die wenigsten Cineasten wissen, ist, dass man im Prager Filmarchiv
(NFA) höchstwahrscheinlich Fragmente einer Fortsetzung des
Science-Fiction-Streifens gefunden habe, um den sich in Kreisen
einiger weniger deutscher Freunde dieses Genres geradezu Legenden
ranken, da der Film sozusagen versehentlich nur ein einziges Mal im
deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde, woraufhin er auf Druck der
tschechischen Regierung umgehend aus dem Verkehr gezogen wurde.
Zunächst sei aufgefallen, so der NFA-Chef, dass sich nach wie vor
auf mehreren Filmdosen das wenig aussagekräftige Etikett
»plechovky«,
tschechisch für »Dosen«,
befinde und man nunmehr unermüdlich daran arbeite, die unzähligen
Schnipsel, die sich inmitten von rund 150 Millionen Meter Filmband
verbergen, als ein Gesamtkunstwerk zu identifizieren. Es wird
vermutet, dass es den Produzenten des Films auf diesem Wege gelungen
sei, den Streifen unmittelbar nach dem Prager Frühling vor der
Zensur zu retten. Zum jetzigen Zeitpunkt habe das Team von 130
hochprofessionellen Mitarbeitern nicht weniger als dreizehn Minuten
des kuriosen Werks rekonstruieren können. Im Zentrum der
langjährigen Arbeit der Archivare stehe allerdings noch immer die
äußerst aufwendige und umfassende Digitalisierung herausragender
tschechischer Filme, von denen »Drei
Haselnüsse für Aschenbrödel«
gewiss der bekannteste sei. Da es in den öffentlichen wie auch
privaten Haushalten an Geld fehle, könne die Suche nach dem
mysteriösen Schatz zumindest so lange nur ein Nebenprodukt der
Archivare, Kuratoren und Restauratoren sein, bis auch im Ausland das
Interesse an der verschollenen Weltraumodyssee wachse.
Das
bisher erschlossene Material steht laut Augenzeugenberichten
eindeutig im Zusammenhang mit dem ebenfalls verschollenen Streifen
über die Mannschaft Captain Donkins, die auf einem von Echsenwesen
besiedelten Planeten Dosenwurfbuden errichtet. Des Weiteren geht man
davon aus, dass sich der auf einem der ungefähr 30.000 Filmposter
befindliche Titel »Příběhy
jsou opiem lidem« (Geschichten sind
Opium für das Volk) dem Fragment zuordnen lassen könnte, wobei das
Plakat neben dem Titel in neonfarbener Schrift lediglich einen
Kugelraumer zeigt, der auf ein Schwarzes Loch zuzuschweben scheint,
und keinerlei Angaben über die Besetzung oder Produzenten enthält,
was bereits hinreichend außergewöhnlich ist.
In
der besagten Sequenz zoomt die Kamera in einer einzigen
ungeschnittenen Einstellung ungewöhlich langsam in einem Zeitraum
von fast drei Minuten in die linke Pupille des wie versteinert
wirkenden Gesichts von Captain Donkin, das zu Beginn nur kurz in
einer Großaufnahme gezeigt wird, bevor der Betrachter allmählich
von einem psychedelischen Farbenspiel mitgerissen wird, aus dem
heraus sich nach und nach die Züge eines britischen Offiziers in der
napoleonischen Zeit erkennen lassen, die jenen des Captains aufs
genaueste entsprechen. Man geht davon aus, dass wir vermittels dieser
Einstellung einen Einblick in die Erinnerungen
Captain Donkins vor seinem erneuten Eintritt in die traumlose Leere
des Kälteschlafs erhalten sollen, die ihn in Gestalt einer früheren
Existenz, namentlich als Lieutenant General Sir Rufane Shaw Donkin
zeigen. Während die ersten Minuten der erhaltenen Sequenz mit einem
zuerst kaum hörbaren, elektronischen Rauschen beginnen, das nach
einer Weile vollständig verhallt, werden die Erinnerungen Captain
Donkins vom zweiten Satz des ersten Klaviertrios in Es-Dur von Ludwig
van Beethoven begleitet, was den überwiegend schemenhaften, teils
blutrünstigen Bildern, die allem Anschein nach tatsächlich auf
Martinique gedreht wurden, eine besonders unwirkliche Atmosphäre
verleiht. Ein Großteil der Handlung spielt sich gegen Ende des
Jahres 1794 ab, als die Sterblichkeit unter den britischen Truppen in
Westindien wegen des sich ausbreitenden Gelbfiebers besonders hoch
war. In einer der vorerst letzten Einstellungen des Fragments sieht
man den vom Fieberwahn seiner Sinne beraubten Captain Donkin, wie er,
umgeben von Bananenplantagen, vergeblich mit ballähnlichen
Leinensäckchen die Dosen einer Büchsenpyramide zu treffen versucht,
bevor die Kamera aus der Vogelperspektive auf ein sich nahendes
Flaggschiff gerichtet wird und die Sequenz unvermittelt abbricht.
[Liana Helas]
IV.
Schilt
(Für Herbert Henck)
Er
erinnerte sich an Erzählungen, die er unmöglich geschrieben haben
konnte; ob er sie erlebt hatte, wusste er nicht. Von Zeit zu Zeit kam
eine Frau in das Abteil, in dem er darauf wartete, dass der Zug den
Bahnhof verließ. Sie sei seine gesetzliche Betreuerin, teilte man
ihm mit. Wer, fragte er sich, mochte ihm wohl ein derart sonderbares
Personal zugeteilt haben? Ein Freund, so stellte sich dieser vor,
hatte ihm, als der Zug noch unterwegs war, mitgeteilt, dass es so
besser wäre. Offenbar begriffen es die Mitreisenden als ihre
Pflicht, ihn mit Komparativen zu ködern. Neben den beiden
Eindringlingen kam gelegentlich eine weitere Person in sein Abteil,
vermutlich eine Botin, die ihm Briefe überbrachte, aus denen
ebenfalls hervorging, was in seiner Lage besser für ihn sei.
Regelmäßig hinterließ sie den Geruch von Mottenkugeln an seinem
Aufenthaltsort, wofür er sie insgeheim schalt.
Die
Briefe verstaute er an ausgewählten Stellen eines Buchs, das ihm auf
seiner Reise zur Messe die Zeit verkürzen sollte; das Buch
verlängerte den Vorzug des Unterwegsseins indessen, stellte er
belustigt fest. Es deckte, wie er es mit den Worten des Verfassers
ausdrückte, dessen Name er vor den neugierigen Augen der
Eindringlinge verbarg, seinen einzigen
Bedarf an Kunsterzeugnissen
auf den Gleisen.
Die
Briefe beantwortete er nur selten, zumal er die Absender keineswegs
kannte. Sollte der Zug wider Erwarten doch noch ins Rollen geraten,
würde er sich nach und nach der Briefe ebenso entledigen wie er es
bereits mit den Umschlägen getan hatte, die ihn bloß ablenkten.
Vorher würde er freilich die unterschiedlichen Anreden bis zur
Unkenntlichkeit entstellen. Warum sollte man ihm einen bestimmten
Namen vorschreiben wollen?
Als
er sich erneut in die Gedanken seines Buchs zu vertiefen begonnen
hatte, rief ihm jemand zu, dass der Tag nun bald anbreche. Es gab
nicht den geringsten Grund, der aufdringlich riechenden Stimme
besondere Beachtung zu schenken, dachte er. Fast schien sie ihm
vertraut. Meist genügten schon drei wohldurchdachte Sätze, um die
Weichen in einen tiefen und traumlosen Schlaf zu stellen:
Es
geschah nun nichts Besonderes mehr. Die Sterne glänzten, funkelten
und zitterten, nur manche schießende Schnuppe fuhr durch sie.
Endlich,
nachdem die Sterne lange allein geschienen hatten und nie ein
Stückchen Mond an dem Himmel zu erblicken gewesen war, geschah etwas
anderes. [Liana
Helas]
V.
Töpfe (Für Germany)
Für
Religionen, wie sie in Kirchen und dergleichen praktiziert wurden,
mochte sich interessieren, wer wollte. Mein Vater sprach über das,
woran die Leute wirklich glaubten und er, versteht sich, nicht.
Nichts konnte ihn bremsen, wenn er einmal in Fahrt gekommen war.
Schwere Prüfung etwa war, was leicht geschehen konnte in jenen
amerikaseligen Jahrzehnten, die sich das Schicksal ausgesucht hatte,
unsere Jugendzeit zu sein, ein Ausbruch über den vermeintlichen
Individualismus derer, die Jeans trugen. Überhaupt hasste mein Vater
alles Amerikanische, das uns beispielsweise jene Uniform zugedacht
habe, die wir noch dazu freiwillig trugen, ja, Gipfel der
Verfallenheit, bei der es uns nicht egal war, ob dieser oder jener
Marke, und markenlos schon gar nicht. Hätten wir doch über
evangelisch oder katholisch gestritten, das galt ihm alles gleich,
nämlich sowieso nichts. Kirchen waren etwas für Leute, die mit
Lehrern und Apothekern in der Kneipe an einem besonderen Tisch sitzen
wollten. Und die glaubten in Wirklichkeit auch an dasselbe, wie alle,
und schon gar nicht an Kirchliches, es sei denn, dadurch wurden ihr
Stand und ihre Privilegien in der Gesellschaft irgendwie berührt.
Womit sich der Kreis schloss. Sie glaubten ans Geld und alles, was
man dafür kaufen konnte. Autos zum Beispiel. Wer kein Auto habe, sei
gar kein Mensch. Als Kinder hätten sie von den ungepflasterten
Straßen des Dorfes noch die Pferdeäpfel aufgesammelt, und nicht
jede Woche sei einmal ein Auto vorbeigefahren. Heute laufe man
mutterseelenallein nach Hause, vielleicht dass mal einer mitleidsvoll
anhält, warum man denn nichts gesagt hätte in der Kneipe, ich hätte
dich doch mitnehmen können. Jetzt für das letzte Stück lohnte es
sich ja nicht mehr. Dem Mitgenommenwerden zu entgehen sei übrigens
überhaupt nicht so leicht, denn jemanden in seinem Auto mitzunehmen
gehörte zu den Bezeigungen von Kameradschaft, die man sakral eine
heilige Handlung nennen könnte. Aber mein Vater, der so etwas
natürlich wusste, lehnte jede hochtrabende Terminologie ab. Er besaß
soviel Mitgefühl, den Chauffeursdienst zu ertragen und hatte schon
in den sagenhaftesten Karossen gesessen, einmal sogar in diesem
zweisitzigen Elektrofahrzeug der ersten Generation, das man durch das
aufgeklappte Glasdach bestieg, und in dem man hintereinander saß.
„Alles Humbug und Fratzenmacherei“, wie er gnadenlos alle zu
Angebern erklärte, die für Alltag und selbstverständlich halten wollten, was doch zu besitzen vor gar noch nicht so langer Zeit
unvorstellbar gewesen wäre. Liebe Mitmenschen, die einem armen
Würstchen wie ihm einen Kavaliersdienst leisten wollten, ein
Umstand, dem man sich füge der Komplikationen wegen. Man mime also
Dank in der Gewissheit, die Heuchelei mochte auffallen oder nicht, es
sei einerlei, so sehr seien alle in ihrem Wahn gefangen.
Die
Amerikaner seien hier ebenso gelandet wie auf dem Mond, was ja
bekanntlich gar nicht sicher sei, ebenso konnte das alles in
Hollywood gedreht sein. Und eine Fahne müsse man gar nicht hissen,
sowieso völliger Humbug, eine Fahne auf dem Mond, wo gar kein Wind
wehte.
So
empörte sich mein Vater dagegen, die Amerikaner hätten einem
geschlagenen Volk eine an sich lächerliche Religion gebracht. So
täten sie es immer. Lässig an ihren Jeeps und Trucks lehnend, aus
deren Autoradios es negerisch dudelte, ließen sie den verführerisch
süßlichen Virginiaduft verströmen, schmissen Millionärskippen in
den Dreck, um sich als nächstes einen Streifen Kaugummi zwischen die
Zähne zu schieben. Die kriecherischen Jammergestalten der Besiegten
konnten sich ihrer Verachtung, oder schlimmer, ihrer Gleichgültigkeit
sicher sein. Abgerissen, gerade erst der allererbärmlichsten
Demütigung entkommen, die darin bestand, vom Volk der Dichter und
Denker in eine Barbarei gestürzt zu sein, wie sie die Menschheit
noch nicht gesehen hatte. Allein deshalb müsse man dem Auto
abschwören. Es sei die deutscheste aller Erfindungen, und sie sei
eben auf diese Weise nach Deutschland zurückgekommen, Auto zu
fahren, so wie man eine Jacke anzieht oder sich einen Teller auf den
Tisch stellt. In Pantoffeln und Jogginghose, man möge bitte niemals
Turnhose dazu sagen, auch nicht mehr Trainingsanzug, sprängen die
Leute aus der Haustür ins Auto, um beim Bäcker Brötchen zu holen.
„Ein Auto ist ein Sessel in einem Mutterleib, der einen dorthin
trägt, wo man alles bekommt, was man haben will“, so ungefähr
einer der Sätze meines Vaters. Ja, Herrgottnochmal, ob denn alle an
Märchen glaubten! Es flögen doch keine Teppiche durch die Luft wie
in tausendundeiner Nacht. Aber das Erdöl flösse nun einmal
unversiegbar, besonders aus solchen Ländern, die sonst nichts
hätten, oder eben aus dem seligen Amerika, egal wie. Neuerdings
wollten sich irgendwelche bärtigen Spinner Gedanken darüber machen,
wo das Zeug hinqualmte, wenn es schon keine fliegenden Teppiche gab.
Aber ob die schon einmal etwas davon gehört hätten, wie viele
Arbeitsplätze an des Deutschen liebstem Kind hingen? Und das eben
hätten die Amis damals im Sinn gehabt, als es darum ging, ob
Deutschland nach dem Krieg Bahnland oder Autoland werden sollte. Die
amerikanische Religion glaube nun einmal nicht als Gemeinde, sondern
nur jeder für sich. Und das bisschen Gemeinsinn, was in Ländern wie
beispielsweise Italien noch übrig sei, sei letztlich nichts weiter
als Vetterleswirtschaft und Millionengrab, weil Staatsbetrieb. Die
Deutschen hätten es nicht besser verdient, egal ob Fleischtöpfe
Ägyptens oder die vier Töpfe von Otto oder Diesel. Nur ihm solle
man damit nicht kommen, lieber gehe er allein im Wald spazieren,
solange man dort die Wege noch einigermaßen instand halte,
seinetwegen würde es wohl nicht geschehen, sowenig wie es die
Bürgersteige noch gebe, obwohl weit und breit keiner laufe außer
ihm. [B. Karl Decker]
Bespechung des Gedichtes 'Finnische Landschaft' (Brecht) von Liana Helas:
AntwortenLöschenhttps://systemcrash.wordpress.com/2019/02/09/marktgeformte-sinnlichkeit/
http://riedel-henck.herbert-henck.de/index.php/fundstuecke/22-schilt-fuer-herbert-henck
AntwortenLöschenTöpfe.....herrlich und den Nagel auf dem Kopf getroffen 😂
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