Freitag, 27. Dezember 2019

S / W 18 - [»في مكان ما« (Für Adel)]



[Illustration zu den Makamen al-Hariris von Yahya ibn Mahmud al-Wasiti]


Ein Wesen zwischen Luft und Wasser,
Halb Fisch, halb Vogel, sich bemüh'nd,
Stets von selbst hinabgezogen,
Wie's aufzustreben sich erkühnt;
In seiner Arbeit kläglich stöhnend
Und unablässig Tränen sprüh'nd,
Es darf in seiner Qual nicht rasten,
Als bis dadurch der Boden grünt.
[»Rätsel« aus den Makamen al-Hariris]



["Blüte", Liana Helas (2009)]





18

"We are like roses that have never bothered to

bloom when we should have bloomed..."

(Charles Bukowski)


يا رايح وين تسافر تروح تعيي وتولينى

ايش حال ندموا العباد الغافلين قبلك وقبلى


ايش حال شفت البلدان العامرين والبر الخالى

ايش حال ضيعت اوقات وايش حال زيد ما زال تخلى

يا الغايب فى بلاد الناس ايش حال تعيي ما تجرى

تزيد وعد القدرة ولى الزمان وانت ما تدرى


علاش قلبك حزين وعلاش هكدا كى الزوال

ما تدوم الشدة ولا تزيد تعلم وتبنى

ما يدومولى الايام ولا يدوم صغرك وصغرى

ويا حليلو المسكين اللى غاب سعده كى زهرى


يا مسافر نعطيك وصية تيجاها ع البكرى

شوف ما يصلح ليك قبل ولا تبيع ولا تشرى

يا النايم جانى خبرك كى ماصرالك صار لى

هكدا رد القلب والجبين..سبحان العالى

(دحمان الحراشي )


Ya Rayah (Dahmane El Harrachi)


يا رايح وين مسافر تروح تعيا وتولي



ya rayih wayn masafir taruh taeya watawaliy (Aussprache arabisch)



Oh, wo gehst du hin?

Irgendwann musst du zurückkommen.





شحال.. ندموا العباد الغافلين قبلك وقبلي



shahal.. nadamuu aleabbad alghafilin qablik waqabli



Wie viele ignorante Menschen haben das bedauert, vor dir und mir?



شحال..شفت البلدان العامرين والبر الخالي



shahal.. shifat albuldan aleamirin walbari alkhalia



Wie viele übervölkerte und wie viele verlassene Länder hast du gesehen?



شحال.. ضيعت اوقات وشحال تزيد ما زال تخلي



shahal.. dayeat awqat washahal tazid ma zal takhaliy



Wie viel Zeit hast du verschwendet?

Wie viel hast du noch zu verlieren?



ya alghayib fi bilad alnaas shahal teya ma tajri

bik waead alqudrat wlla zman wa'ant ma tadri



O Auswanderer im Land der Anderen,

Weißt du überhaupt was los ist?

Die Zeit läuft ab, aber du ignorierst dies.



Wiederholung:

يا الرَايح وين مسافر تروح تعيّا وتولي

شحال.. ندموا العباد الغافلين قبلك وقبلي



ya alrayh wayn masafir taruh teya watawaliy

shahal.. nadamuu aleabbad alghafilin qablik waqabli

 

علاش قلبك حزين وعلاش هاكذا كي الزاوالي



eulash qalbik hazin waeilash hakidhana kay alzaawali



Warum ist dein Herz so traurig? Und warum bleibst du dort im Elend?





ما تدوم الشدة وإلا بطيت أعلم وأكتب لي



ma tadum alshidat wa'illa batit 'aelam wa'aktib li

Härte wird enden und es wird nichts mehr sein.



ما يدوموا الأيام ولا يدوم صغرك وصغـرّي



ma yadumuu al'ayam wala yadum saghruk wsghrry

Die Tage dauern nicht, genauso wie deine Jugend und meine.



ياحليلو ومسكين اللي خاب سعدو كي زَهري



yahlylw wamaskin ally khab saedu kay zahry



O armer Kerl, der seine Chance verpasste, während ich die meine misste.





Wiederholung:

يا الرَايح وين مسافر تروح تعيّا وتولي

شحال.. ندموا العباد الغافلين قبلك وقبلي



ya alrayh wayn masafir taruh teya watawaliy

shahal.. nadamuu aleabbad alghafilin qablik waqabli



يا مسافر نعطيك وصايتي أدّيها على بكري



ya masafir netyk wasayati addyha ealaa bikri

O Reisender, ich gebe dir einen Ratschlag, dem ich gleichermaßen folge:

 

شوف ما يصلح بيك قبل ما تبيع وما تشري



shawf ma yuslih bayk qabl ma tabie wama tashri

Beachte, welche Interessen sie verfolgen, wenn sie verkaufen oder kaufen.

 

 

يا النايم جاني خبرك كيما صرالك أصرالي



ya alnaayim jany khabrik kima saralak 'asrali

O Schläfer, deine Nachricht hat mich erreicht

Und was mit dir passiert ist, ist ebenso mir passiert.

 

هاكذا أراد وقدر في الجبين سبحان العالي



hakdha 'arad waqadir fi aljibiyn subhan aleali

So kehrt das Herz zu seinem Schöpfer, dem Höchsten, zurück.


(Aus dem Arabischen von Adel Al-marby)



Freitag, 20. Dezember 2019

S / W 16 & 17 - [»Is That All There Is?«]



["Peripherie", Liana Helas (2013)]




Pan ist tot.
[Gérard de Nerval]





["Handlung", Liana Helas (2009)]





16


"Immer ergreift einen Gleichen ein Gott
und führt ihn zum Gleichen"
(Pindar)



Der Alte stockte eine Weile, blickte ganz vorsichtig die beiden Seiten des Flures an, als fürchte er, dass er verleumdet wäre, bückte sich nach vorne, so dass seine Stirn fast die meine berührte, und flüsterte dann in mein Ohr: "Wissen Sie! Sie dürfen sich nicht so einfach verraten. Ihre traurigen Blicke! Verstehen Sie? Sie verraten vom ersten Augenblick an, was Sie in Ihrem Herzen zu tragen haben. Dies alte Volk, das sich hier versammelt hat, und dessen Kinder, also das junge Volk, dem Sie draußen tagtäglich begegnen, sind selbst sehr traurige Leute. Beide leiden schon seit geraumer Zeit an dem Verlust ihres geliebten Helden. Manchmal drückt sich ihre Trauer in Vaterlandsliebe, Freiheit oder solch losgelösten Idealen wie der Befreiung der Frau vom Manne aus. Sollte das Thema erschöpft oder langweilig sein, denn sie wollen stets ihrer Langeweile ledig werden, dann hört man überall, wo diese Leute sich zusammenfinden, dass es in unserem Zeitalter nur darum gehe, dass der Mann nun von der Frau befreit werden müsse, und so weiter; und so wechseln sie fortwährend ihre Kampagnen, und so verschaffen sie sich andauernd Abwechslungen, die nichts anderes sind als das Heranrücken von Unverbindlichkeiten an die Stelle jenes von mir erwähnten Verlustes. Deswegen brauchen sie in ihren alltäglichen Verwirrungen immer Fröhlichkeit, was nichts an der Tatsache ändert, dass sie sehr traurig sind. Verstehen Sie mich? Deswegen hassen sie die, welche traurig sind! Das habe ich früh erkannt, damals, als ich noch jung war."
"Sind Sie denn nicht von diesem Volke?", fragte ich ihn neugierig. "Wer behauptet so etwas?", erwiderte der Alte irritiert. "Das, was mich mit ihm in Verbindung setzt, ist mein Hang zur Musik; ich spiele für dieses Volk auf der Straße neue Variationen zu jenen Melodien, welche einst hierzulande von manch geistreichem Musiker geschaffen wurde, damit dieses Volk seine Trauer für eine kurze Weile vergesse!" Der Alte atmete aus tiefster Brust aus, als sei er erleichtert, zog sich zurück, sah auf sein Zettelchen hinab, denn es läutete an dem Zähler, der die nächste Nummer ankündigte. "Nein, dies ist nicht meine", seufzte er geduldig mit sich, während er seinen Blick auf den Zähler hinaufwarf.
"Ich sehe Sie oft unterwegs Geige spielen. Ich höre sehr fröhliche Stücke, immer wenn ich an Ihnen vorbeigehe", sagte ich zu dem Alten, obschon ich die Stille, die gerade zwischen uns herrschte, nicht zu stören vorhatte. "Ja, ich spiele für sie, lenke sie von ihrem traurigen Alltag ab, und als Dank, damit ich überleben und morgen für sie weiterspielen kann, belohnen sie mich. Es ist ein guter, alter Volksbrauch, nicht wahr? Sie überleben - und ich auch!", sagte der Alte lachend und dann herrschte erneut Stille.




17

"...Denn sinnlicher sind Menschen
In dem Brand
Der Wüste..."
(Friedrich Hölderlin)


"I think it's probably better to be sentenced to a firing squad than to be imprisoned in Turkmenistan", hörte man nunmehr von dem blinden Thebaner, der sich bisher bloß an den Gesängen Bäumlers beteiligt hatte. "You have the right to remain silent!"

Die Insassen des Omnibusses folgten fortan dem Ruf des Eisvogels.


Dienstag, 10. Dezember 2019

S / W 14 & 15 – [форма]



["Formation", Jutta Riedel-Henck (2010)]


Seht jene Kraniche in großem Bogen!
Die Wolken, welche ihnen beigegeben
Zogen mit ihnen schon als sie entflogen
Aus einem Leben in ein anderes Leben.
In gleicher Höhe und mit gleicher Eile
Scheinen sie alle beide nur daneben.
Daß so der Kranich mit der Wolke teile
Den schönen Himmel, den sie kurz befliegen
Daß also keines länger hier verweile
Und keines anderes sehe als das Wiegen
Des andern in dem Wind, den beide spüren
Die jetzt im Fluge beieinander liegen:
So mag der Wind sie in das Nichts entführen.
Wenn sie nur nicht vergehen und sich bleiben
So lange kann sie beide nichts berühren
So lange kann man sie von jedem Ort vertreiben
Wo Regen drohen oder Schüsse schallen.
So unter Sonn und Monds verschiedenen Scheiben
Fliegen sie hin, einander ganz verfallen.
Wohin ihr? - Nirgend hin. Von wem davon? - Von allen.
Ihr fragt, wie lange sind sie schon beisammen?
Seit kurzem. - Und wann werden sie sich trennen? - Bald.
So scheint die Liebe Liebenden ein Halt. 
[Bertolt Brecht »Die Liebenden« (1928/29)]


["Amir", Kolja Konstantinov (1993)]



["Sucht", Amir (1991)]


Erst durch das Schreiben erlangen für mich die Dinge Wirklichkeit.
 Sie ist nicht meine Voraussetzung, sondern mein Ziel. 
Ich muss sie erst herstellen.
[Günter Eich, "Der Schriftsteller vor der Realität" (1956)]



["Dort", Liana Helas (2004)]




S / W 14 & 15

 

Mittwoch, 27. November 2019

S / W 12 & 13 – [عشق]



["L'Extase", Jean Benner (1896)]


Als es an der Zeit war über Liebe zu schreiben,
brach die Feder entzwei, und das Papier riss.
 [Dschalal ad-Din al-Rumi]



["Iranische Miniatur"]


Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns.
 [Dschalal ad-Din al-Rumi]





12






"I was always looking
Left and right
Always crashing in the same car"
(David Bowie)



Das fremde Eigentum verwende er auch in diesem Omnibus lediglich, um seine Hinterlassenschaft in friedlicher Absicht den Insassen mitzuteilen, sofern man ihm überhaupt Audienz erteilte. Ledig sei er freilich in all den Jahren geblieben, wenngleich er einmal kurz verheiratet gewesen sei, ein Vorwand vonseiten einer Begleiterin, die es nach Almania gezogen habe; ledig sei er nun endlich auch all der Verpflichtungen, die man ihm zugemutet habe. Bei vielen weiteren Vogelweibchen habe ihn der Verdacht, sie könnten vielleicht irgendwo einen Barcode verstecken, vielleicht hinter den Ohren oder am Gesäß, meist in die Flucht geschlagen. Einmal seien sie auf einem Marktplatz mit Fähnchen in der Hand über ihn hergefallen. "CDU!, CDU!, CDU!", hätten sie ihm im Chor zugerufen, ja, skandiert hätten sie es. Einmal nur habe es ihm eine Musikantin, eine Saxophonistin, ergänzte er schmunzelnd, nach Strich und Faden besorgt, so sage man doch; geblasen habe sie, manchmal langsam, manchmal zielstrebig, gezwitschert habe sie wie eine Misteldrossel, wie eine Mönchsgrasmücke - ein kurzes Intermezzo indessen; wie eine Moorente sei er alsbald davongewatschelt, nachdem sie ihn aus ihrem Haus gejagt hätte. Gen Osten sei er geflüchtet, seiner inneren Tauchente folgend, untergetaucht sei er in diesem Omnibus. Eine sanftmütige Frau mittleren Alters habe lange in der Reihe vor ihm am Fensterplatz gesessen und ihren Kopf oft auf die Schulter ihres Begleiters gelegt, der die meiste Zeit mit gespitztem Bleistift etwas in ein Notizbuch eintrug. "Nennen Sie mich nicht Saeed, nennen Sie mich Rosen, Volkstribun, Rienzi, nennen Sie mich Mozafer", sagte der Exilant. "Ich setzte mich zurück, lehnte meinen Kopf gegen die Wand und machte die Augen zu, als hätte ich für immer nichts mehr sehen wollen. Da hörte ich ein gewaltiges Geräusch, als hätte jemand die Anwesenden zum Abmarsch aufstellen wollen. Ich wurde neugierig, machte die Augen auf und sah, dass sich die Frau, die rechts neben mir saß, in ein großes, weißes Tuch schnaubte. Forty-five, forty-five! Where have all these years gone?, sprach sie in einem fort." In Samarkand seien die meisten Insassen ausgestiegen; man wisse nicht, warum.





13



"By this contrivance, the machinery
of my work is of a species by itself;
two contrary motions
are introduced into it, and reconciled,
which were thought to be at variance with each other.
In a word,
my work is digressive,
and it is progressive too,—and at the same time."
(Laurence Sterne)




"Die Idee eine Reinkarnation beispielsweise meines Großvaters zu sein war mir erst lange nicht auszureden. Zu verlockend ist eben die Vorstellung auf diese Weise an alten Baustellen den einen oder anderen Pfahl doch noch einzurammen, Größenwahn des Enkelknirpses, der nicht den Vater tötet, es aber besser machen will, und gar noch als der Großvater, ein regelrechter Superödipus.""Und der heiratet dann konsequenterweise seine Großmutter", das war inzwischen die Art Bäumlers einen Welck’schen Ball aufzufangen. Dieser nahm es gelassen, immerhin war es nicht leicht gewesen Bäumler überhaupt auf die Spur zu setzen. Und die Sache, um die es ging, war ja längst erledigt. Tatsächlich hatte er auch bei all seinen Versuchen mit dem G-Komplex, wie er jetzt überrascht sah, auffällig wenig der Großmutter gedacht. Herr Freud würde so seine Ansichten in Bezug auf ein derartiges Vergessen gehabt haben. Bäumler, der aus einer Tüte eine Salzbrezel aß, wobei es seine Art war akribisch mit dem feuchten Finger Krümel aufzulesen und in den Mund zu stecken, blieb interessiert, wohl auch wegen seines gelungenen Scherzes. Wie immer lachte er nicht, blickte Welck auch nicht an, sondern beschäftigte sich mit seiner Tüte, Stücke der Brezel abbrechend, wodurch es keine Pause wurde, die zwischen ihnen entstanden war. "Überhaupt", begann Welck darum, ohne sich mit der Tatsache zu beschäftigen, dass Bäumler eine Spitze gegen ihn vom Stapel gelassen hatte, "ist Reinkarnation Blödsinn, weil hochtrabend."
Reinkarnation war also hochtrabend und damit von vornherein nicht zu gebrauchen. Wiedergeborene kamen, Bäumler kannte Welcks Masche ja nun in- und auswendig, aus einem Himmel, in dem es mehr oder weniger genauso zuging wie hier auf Erden. Warum also es nicht in Gottes Namen dann als wiedergeborener Großvater versuchen. Bäumler verkniff sich die Frage, aber Welck war ohnehin nicht mehr zu bremsen. "Weil jeder sowieso schon sein wiedergeborener Großvater und so weiter ist." "War da nicht doch noch etwas mit der Großmutter?", versuchte es Bäumler dann trotzdem, wenn auch etwas lahm, und Welck überging auch dieses Mal den Einwurf kommentarlos. Überhaupt sehe man den Großvater, Vater und so weiter mit den Augen des Enkels, Kindes, was man sehe, im Grunde egal was, das sei in erster Linie man selber. Sich selber allerdings sehe man auch mit eben diesen Augen, nämlich eines selber. Herrgott, Bäumler hatte es vorausgesehen, fußkitzelnder Kitzler eines Fußes, und so weiter. "Und so weiter", sagte Welck gerade wieder. Worauf es ankomme bei der Wiedergeburt, das sei das Wissen darum an sich. Die Wiedergeborenen erkannten sich gegenseitig an gewissen Zeichen. Dieses Erkennen setzte eine gewisse Schulung der Aufmerksamkeit voraus, wobei es wie bei anderen Disziplinen auch hin und wieder solche mit einer gewissen Naturbegabung in diesem Fach gab. Normalerweise wurde das Wissen um sein Wiedergeborensein in einem äußerst langwierigen und schwierigen Prozess erworben. Man konnte sich regelrechte Kurse dazu denken, was aber in schöner Regelmäßigkeit auf besagte hochtrabende Formen wie Reinkarnation hinauslief. Dann schon lieber die Alltagsmethode, wo man sich vom anderen absah, worauf es in dieser Hinsicht ankam. Wiedergeborenen war auf keine Weise ihr Wissen um diese Tatsache auszureden, schon deshalb, weil sie nur mit Wissenden darüber sprachen. Das war nun auch nur wieder so eine Redensart, denn das Sprechen geschah gar nicht in verbaler Art, als ob man auch eine Tatsache wie diese überhaupt in Worte fassen konnte! Das war ja sozusagen der absolute Ausnahmefall. Ob Bäumler einmal Leute hätte sich darüber unterhalten hören, welche Farbe für sie Zahlen hätten? Ja, über so etwas habe er schon sprechen gehört und es noch immer für vollkommenen Blödsinn gehalten. Erstaunlich nur, dass Leute, die so drauf wären, trotz krasser Nichtübereinstimmungen im Einzelfall von der Sache insgesamt nicht abzubringen seien. "Eben", entgegnete deshalb Welck. Bestimmte Erzählungen vom Jenseits offenbarten gerade durch ihre Ausschmückungen krasses Unwissen und Wichtigtuerei. Wer Gott wirklich gesehen hatte, sprach mit der Leichtigkeit dessen, dem ein alter Mann Leid tat, der mal gerade eben zurecht kam. Höchstens dass nicht auszudenken wäre, welche Folgen der eine oder andere Schnitzer alter Leute hätte, wären sie zufällig Gott. Ob ein Beispiel gefällig sei? "Ich denke mal", entgegnete Bäumler, "Gott fährt nicht bloß Auto wie viele Alte, die's vielleicht besser lassen sollten." Welck, dem das Beispiel auch schon einmal eingefallen war, nickte beifällig. Und vom Sterben sprach er so, wie man sprechen muss angesichts der Ängste uneingeweihter Zuhörer, wobei sich sein Blick ins Weite dessen verlor, was er eben darüber wusste. Bestenfalls, dass er sich seines ersten Todes erinnerte, der ihn nicht in jene schwarze Leere geworfen hatte, als die man ihn sich vorstellt, solange man noch ahnungslos ist. 
Die Wiedergeborenen sind so wenig wiedergeboren wie der Heiland von den Toten auferstanden ist, das allerdings nur den Ungläubigen. Sie selber setzen gegen alle Realität die höhere Realität einer strikten Unmöglichkeit, die sie allen entgegenhalten, die sie auf eine schnöde Diesseitigkeit zurückwerfen wollen. Ja, alles, wofür es sich auf Erden zu leben lohnt, muss überirdisch sein. Das dann allerdings auf sehr weltliche Art und Weise, denn Religion ansonsten ist Kitsch. Darum der liebe Gott im Unterhemd und mit Hosenträgern, wie er mal wieder nicht bemerkt, dass er auf der einen Seite die Backe nicht richtig rasiert. Ein wenig im Stress ist er auch, höflichkeitshalber lässt man ihn nicht merken, dass man es mit ihm nicht mehr so genau nimmt. Er ist in dem Alter, wo andere schon lange im Heim sind; ob so etwas für Gott prinzipiell ausgeschlossen ist, wäre noch die Frage. Oder eben häusliche Pflege, ein kleines Auto mit den unvermeidlichen Aufklebern, von wegen Caritas, Pflege mit Respekt und dergleichen, sozusagen vor der Himmelstür. Der alte Herr winkt ab, Rasieren, Schuhe anziehen, sie soll einfach einen Moment bei ihm hier sitzen, bevor sie weiter müsse, in Ruhe den Eintrag in ihre Kladde machen, das gehe schon in Ordnung, schließlich sei er ja Gott. "Der liebe Gott?" - "Ja, ja, ganz richtig, der Einfachheit halber", was das Mädchen dann aber doch gar nicht zu Ende gehört hatte, sie musste weiter. Gott spielte ein wenig den lieben Gott, weil man von ihm nichts anderes erwartete, was sollte man machen? Es waren wieder jede Menge Neue zu empfangen, die einigermaßen bleich um die verblichene Nase ausschauen würden. Manche waren auch beim dritten, vierten Mal noch komisch, gewöhnen sollten sie sich wenigstens ans Sterben, wenn's auch, zugegebenermaßen, aus menschlicher Sicht nicht zu verstehen war!
Welck war Gott auf diese Weise einmal sehr nahe gekommen. Natürlich nicht beim ersten Mal. Es war Gottes Vergesslichkeit, die ihn gerührt hatte. Die anderen in der Versammlung wollten durchaus nicht glauben, dass es Gott selber war, der die Ansprache hielt und waren auch sonst einigermaßen durch den Wind.
In der Absicht den TV-14 C zu verfolgen, nutzte Bäumler die Gelegenheit das Steuer zu übernehmen, als der Busfahrer am Wegesrand Datteln kaufen wollte.


Mittwoch, 20. November 2019

Bzw. ۲ ۳ ۲ [Trio »שלווה« for Flute, Cello and Piano (1996) by R. A. ol-Omoum]



["Unbequem", R. A. ol-Omoum (2000)]



For years I said if I could only find a comfortable chair I would rival Mozart. [Morton Feldman]




["Sein", Michelle Schneider (2018)]



Music can imply the infinite if enough things depart from the norm far enough. Strange "abnormal" events can lead to the feeling that anything can happen, and you have a music with no boundaries. [Morton Feldman]















For I consider that music is, by its very nature, essentially powerless to express anything at all, whether a feeling, an attitude of mind, a psychological mood, a phenomenon of nature, etc. Expression has never been an inherent property of music. That is by no means the purpose of its existence. If, as is nearly always the case, music appears to express something, this is only an illusion and not a reality. It is simply an additional attribute which, by tacit and inveterate agreement, we have lent it, thrust upon it, as a label, a convention – in short, an aspect which, unconsciously or by force of habit, we have come to confuse with its essential being. [Igor Stravinsky (1936)]

My music is best understood by children and animals. [Igor Stravinsky (1961)]

The kind of work that should be the main part of life is the kind of work you would want to do if you weren't being paid for it. It's work that comes out of your own internal needs, interests and concerns. [Noam Chomsky]




["Attar", Saeed]

Die Hölle stelle ich mir vor wie das Zillertal. Oder wie die Tulpenfelder Hollands, oder die Passionsspiele in Oberammergau. Oder wie St. Moritz im Sommer. Jeden zweiten Tag ein neunstündiges Passionsspiel. Dazwischen ein Tag Musik angesichts von Tulpen. Jeden Abend ein Konzert der Wiener Sängerknaben oder der Regensburger Domspatzen, wenn das nicht überhaupt dieselben Knaben bzw. Spatzen sind. Vormittags die Moldau unter Karajan oder etwas auf Originalinstrumenten, handgebastelt und missgestimmt von Harnoncourt. Oder Triosonaten von Telemann, Piccolini, Ricotta, dal'Abaco, Locatelli oder von Telemann, Rosenmüller, Eppenbauer Vater und Sohn, Wenzlsberger, Telemann, Muffat, Telemann oder von Hans Christian Bach oder von Wilhelm August Bach oder von Carl Maria Bach oder von Johann Wolfgang Bach oder Wilhelm Friedemann Bach oder von Georg Telemann Bach für neun Blockflöten und Continuo. Es spielen Giselher Schramm, Hiroshima Kajumi, Rainer Weckerle, Kakuzo Kozikawe, Irmengrad Wäwerich Sträubler, Mitsubishi Toyota, Hedwig Wunderlich-Buhbe, Kazakumi Kozikawe – vermutlich der Bruder oder die Schwester oder die Frau oder der Mann von Kakuzo Kozikawe, vielleicht aber auch Vater oder Sohn – Osakazu Okakura und Karameli Tazubishi, am Continuo Luitgard-Maria Tashayumi-Spechtle, eine übrigens nicht unbedeutende Continuistin, von der man, so fürchte ich, noch hören wird. [Wolfgang Hildesheimer »Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge« (1983)]