[Europa und der Stier,
Fresko aus Pompeji (1. Jahrhundert n. Chr.)]
Bzw.
Das
glänzendste Geschäft in dieser Welt ist die Moral. [Frank Wedekind]
I.
Man
sah im abendlichen Bad das Hin- und Widertreiben von Köpfen der
Brustschwimmer, in dem spiegelnden Wasser darunter schemenhaft
schlierend Bewegungen von Armen und Beinen. Zwei Blondinen, das
blondierte Haar am Kopf festgesteckt, so dass es möglichst nicht mit
dem Chlorwasser in Berührung kam, schwammen in einigem Abstand,
nicht etwa wie plaudernde ältere Damen nebeneinander -, sondern
hintereinander her. Es konnte kein Zweifel darüber bestehen, dass
sie dennoch zueinander gehörten, so sehr stellte eine die ungefähre
Nachahmung der anderen dar. Blonder erstere, auch das Haarbürzel
etwas höher aufgesteckt, hielt sie das Gesicht in der Weise der
Schwimmerinnen aufrecht über dem Wasser, die nicht wollten, dass es
etwa nass werde, ganz so wie man es tat, wenn man das Schwimmen zwar
erlernt hatte, aber wie man lernt, indem man fest stehende Regeln
befolgt ohne Genaueres über ihren Zusammenhang mit der Wirklichkeit
zu wissen und auch davon nichts wissen zu wollen. So geschah das
Schwimmen in einer Art getreuer Pflichterfüllung, man kam durchaus
vorwärts, wenn auch wie von einem geheimnisvollen elastischen Band
immer gerade dann festgehalten, wenn der eigentliche Vortrieb
erfolgen sollte. Das mochte ja auch so sein, wenn man etwa wirklich
sportlich schwamm, was hier aber entschieden nicht geschah, denn das
Schwimmen war ein Akt höherer Hygiene, welcher der Gesundheit in
einem allgemeinen Sinne und aus einem speziellen Blickwinkel
förderlich sein wollte. Zwar sah man die Badeanzüge der beiden
Schönheiten nicht, mit Sicherheit waren sie aber durchaus nicht
sportlich, was seinerseits etwas Erlösendes haben konnte angesichts
all der Funktionalität, der man in mitteleuropäischen Breiten in
Hinsicht auf die Kleidung so entschlossen Vorrang einräumte. Dennoch
war aber auch bei diesen Damen nichts Weiteres zu erwarten, denn sie
waren zwar schön, allerdings im Sinne einer allgemeinen
Pflichterfüllung bezüglich ihres weiblichen Daseins, nämlich der,
besonders adrett zu sein. So wie sie schön waren und züchtig
einherschwammen, wischten sie Staub, reinigten den Herd
beziehungsweise ließen es gar nicht dazu kommen, dass er
verschmutzte oder gar roch. So saßen sie hinter dem Steuer, etwas
dicht und sehr aufgerichtet in einem fast neuen Wagen, in jedem Falle
darauf bedacht, die Vorschriften zu beachten. Eine kleine Beule würde
ja auch dem ungerechten Vorurteil Vorschub leisten, man sei als Frau
weniger dazu befähigt, Auto zu fahren, auch seien die Fahrten, die
man zu bestehen hatte, von geringerer Bedeutung als die der Männer.
Dass man nicht recht vorwärts kam, lag nicht etwa daran, dass der
Wagen von einem geheimnisvollen Band zurückgehalten wurde, sondern
dass man sorgfältig die Gänge einlegte und die
Geschwindigkeitsbeschränkungen beachtete. Jedenfalls war man noch in
keine Radarfalle geraten. Mochten andere Frauen ihrerseits in lauten
Unterhaltungen begriffen zwei Bahnen des Bades in Anspruch nehmen, es
waren die Dicken, vielleicht noch dazu beim Aquajogging, die immer
dick blieben, so wie man selber schlank, gerade weil man eben
schwamm, sinnvollerweise in einigem Abstand hintereinander her. Die
Reihenfolge hatte sich irgendwann so eingespielt, nicht etwa dass
eine schneller war als die andere, der Abstand blieb ja immer gleich,
oder es auch nur sein wollte. Wenn auch die erstere von beiden
insgesamt etwas zierlicher als die zweite war, deren Haar etwas
tiefer zusammengebunden und das in Strähnchen blondiert war, so
konnte man doch glauben, zweitere räume der ersten einen gewissen
Vorrang ein; mochte sie zierlicher und feiner sein, so war sie doch
auch empfindlicher und jedenfalls bestimmter Rücksichtnahmen
bedürftig. [B. Karl Decker]
II.
Deutschland.
Ein Wintermärchen (Bühnenstück)
In
dreißig Akten (Bildern von jeweils rund zwei Minuten) sprechen
dreißig Sprecherinnen und Sprecher aus möglichst unterschiedlichen
Regionen der Welt ausgewählte Strophen aus Heines Gedicht, Caput
(=C) I – XXVII [s. Partitur] von einem präparierten Zuspielband.
[Gegebenenfalls können sich die Rezitatorinnen und Rezitatoren nach
bewährter Bühnenpraxis auch unter das Publikum mischen.] Von einem
weiteren Zuspielband, gegebenenfalls auch von einem gemischten Chor
(maximal zwölf Sprecherinnen und Sprecher) sind Radioschnipsel [s.
Partitur] in deutlich vernehmbarer, gemäßigter Lautstärke zu
hören. Die einzige Bühnenfigur, der Dichter Mozafer, schweigt
nahezu durchgängig bis zum Abschlussmonolog in Akt 29.
Die
Klangcollage beginnt im vierten Akt. Die Rezitationen und
Radioschnipsel überschneiden sich; gleiches gilt für den
Abschlussmonolog.
I.
Handlungsablauf:
1er
Akt
Ein
kleines Zimmer, in dem ein Bett, ein Nachttisch, ein Stuhl und ein
Schreibtisch steht. An der Wand gegenüber dem Bett hängt ein
Spiegel. Mozafer liegt im Bett, vollkommen zugedeckt.
2er
Akt
Mozafer
hustet. Minuten später gedämpftes Geschrei aus der Ferne. Er hebt
seinen Kopf und blickt sich in seinem Zimmer um.
3er
Akt
Mozafer
versucht, sich aus seinem Bett zu erheben, wälzt sich jedoch
stattdessen lange darin herum.
4er
Akt
Er
wirft langsam die Decke von sich und setzt sich aufrecht aufs Bett.
Er trägt einen Schlafrock. Er versucht Orientierung zu gewinnen,
indem er hie und da Blicke auf den Boden, die Wände und die Decke
wirft. Beginn der Klangcollage.
5er
Akt
Er
verlässt für kurze Zeit mit langsamen Schritten das Zimmer.
6er
Akt
Er
betritt erneut das Zimmer, geht zum Spiegel, stellt sich davor,
schaut in sein Gesicht und kämmt sich die Haare.
7er
Akt
Er
läuft orientierungslos in seinem Zimmer auf und ab.
8er
Akt
Er
sucht nach Nahrung.
9er
Akt
Endlich
findet er ein Stück Brot und legt es auf den Schreibtisch.
10er
Akt
Er
sucht eine Tasse, findet sie neben dem Nachttisch, nimmt sie und
verlässt von neuem für kurze Zeit das Zimmer.
11er
Akt
Er
betritt das Zimmer, die Tasse fest in der Hand haltend. Nach längerer
Bedenkzeit geht er schließlich zum Schreibtisch und stellt sie
darauf.
12er
Akt
Er
nimmt am Schreibtisch Platz, isst ein wenig Brot und trinkt dann
einen Schluck aus der Tasse.
13er
Akt
Er
sucht unter dem Tisch nach einem Buch, legt es auf den Schreibtisch
und blättert es durch.
14er
Akt
Er
legt das Buch beiseite und isst weiter.
15er
Akt
Er
steht auf, geht zum Nachttisch und nimmt verschiedene Medikamente
ein.
16er
Akt
Er
schleppt sich zum Spiegel, stellt sich davor und betrachtet seine
Zunge.
17er
Akt
Man
hört Mozafers gedämpfte Stimme, während er seine Zunge vor dem
Spiegel untersucht.
18er
Akt
Er
brüllt etwas Unverständliches vor sich hin, hebt eine Zeitung vom
Boden auf, geht zum Bett und liest.
19er
Akt
Er
legt die Zeitung beiseite und schließt die Augen.
20er
Akt
Besorgt
geht er spontan zum Spiegel und schaut gründlich in sein Gesicht,
begutachtet sein Gebiss, seine Augen und seine Nase.
21er
Akt
Er
geht wiederum zum Schreibtisch, legt seinen Kopf darauf und streckt
dann seine Hände aus. Auf diese Weise bleibt er über einen längeren
Zeitraum regungslos dort sitzen.
22er
Akt
Er
hebt seinen Kopf und wirft einen bedeutungsvollen Blick ins Publikum.
23er
Akt
Er
setzt sich zunächst auf den Boden und kriecht nach einer Weile
mühsam zu seinem Bett zurück.
24er
Akt
Unter
dem Bett sucht er nach seinen Aufzeichnungen, kramt sie seufzend
hervor, kriecht zum Schreibtisch zurück, steht auf und setzt sich
auf den Stuhl, um seine Unterlagen zu sortieren.
25er
Akt
Er
beginnt, einen Brief aufzusetzen, anfangs verständlich, später in
zunehmendem Maße unverständlich: "Sehr
geehrter Herr, es gilt also, das Spiel zu bewahren, es gegebenenfalls
umzugestalten, denn die Umgestaltung bewahrt uns vor der peinlichen
Langeweile des regelmäßig Wiederkehrenden; man denke nur an die
zahllosen Suchtkranken des Glücksspiels. Wehe denjenigen, die das
Spiel mit einem Mangel an Ernst oder als bloße Zerstreuung
betrachten!"
26er
Akt
Er
greift nach einer Flasche Wein unter dem Schreibtisch, stellt sie auf
den Tisch und betrachtet liebevoll das Etikett.
27er
Akt
Er
blickt sich in seinem Zimmer um, steht auf und durchschreitet es
mehrmals, als wolle er den Raum vermessen. Vergeblich sucht er
schließlich nach einem Glas.
28er
Akt
Für
einen Augenblick verlässt er das Zimmer, um ein Glas zu holen.
29er
Akt
Triumphierend
kommt er in sein Zimmer zurück, ein Glas in der Hand, setzt sich an
den Schreibtisch und schenkt Wein ins Glas. Er nimmt einen hastigen
Schluck und rezitiert: "Warum
du erlauben deine Frau verhalten wie Mann? Kleiden wie Mann, gehen
wie Mann, warum? Kann sein, kleine Mädchen manchmal rennen wie
Bruder, aber auch schon kleine Mädchen muss sein Mädchen, muss
rühren an Herz andere wie kleine Junge. Ist falsch Erziehung im
Deutschland, wo macht nix Unterschied in Familie. Werbung und
Industrie sehen diese Unterschied, weil ist richtig, sonst nix
Geschäft. Intellektuelle sagt, ist gleich Mann und Frau. Ist gut,
Revolution. Ich große Herz für Revolution. Meine Land Scheiße,
muss sein Revolution, aber in Politik, nicht in Natur. Natur muss
bleiben Natur, macht Unterschied, Mann, Frau, Wasser kann nicht sein
Stein. Steine soll nicht fallen von Himmel, muss regnen Wasser. Mann
muss haben Frau, sehen Frau, fühlen Frau, kann nix sein zufrieden
mit Kamerad in Haus. Muss heimlich ansehen Frau in Werbung, nix gut.
Verstehen. Gute Christ muss wissen, andere Frau nur anschauen, wie
sagt man, Ehe, schon gebrochen. Nix Frau in Haus gut für Industrie,
dann kaufen Produkt ohne Intellektuell. Meine Land arm, fehlen
Konsum. Hier alle, aber Mann nix haben Frau. Schickt Frau in Arbeit,
macht Nachtschicht, nix gut, haben alle, aber nix für Herz. Meine
Kultur viele lern von westliche Länder, Deutschland gute Land, aber
macht Herz traurig." - "Intellektuell, was macht
Revolution, nix Revolution, nix Kunst. Tellkamp haben viele Angst vor
Verlust von die Gemütlichkeit, weil schreibt Roman, nix schicken
Kinder in Schule mit viele Emigrant, suchen Vergangenheit, Gegenwart
machen Angst, weil sehen Moslems. Jetzt sogar Intellektuell wollen
reden von Heimat. Wer, ich frage, wissen mehr von Heimat, als Leute,
die hat verloren Heimat?"
30er
Akt
Er
gibt auf, geht langsam in sein Bett und deckt sich zu.
***
II.
Partitur
Die
zu rezitierenden Verse sind jeweils auf der rechten Partiturseite
vermerkt. Die Zeitangaben der Radioschnipsel (in Klammern) geben
insbesondere Auskunft über den Ablauf und die entstehenden Pausen.
Darüber hinaus sind die Angaben variabel.
C
I, 1 – 3
C
I, 9 – 13
Nach
dem neuen Telekommunikationsgesetz darf der Bund (0'03'')
Lebensmut
(0'11'')
Unangenehmes
zur Sprache kommt (0'18'')
Vor
diesem ehrenwerten Haus (0'33'')
Wie
sind wohl die Menschen zu dem Begriff der Freiheit gelangt? (0'40'')
Bäckereien
(0'46'')
Verdunkelte
sich der Himmel (0'46'')
Weine
nicht, kleine Eva (1'20'')
Aber
die Welt ist voll von Juden (1'29'')
Basketballfreak
(1'43'')
Wir
haben sehr erfolgreich begonnen (2'01'')
Heavy
Metal (2'06'')
Bedeutung
der alten Politik (2'15'')
Can't
buy me love (2'33'')
Do
all the things you want me to (2'45'')
Tunnelbauten
im Taunus (2'50'')
Tyson
is back (2'55'')
Home
is where we belong (3'23'')
C
II, 9 – 11
C
III, 6 – 9
C
VII, 1 – 7 + 29
C
VIII, 2 - 3
Der
jüngste Coup (3'25'')
Zeit
für Musik (3'35'')
See
you (3'54'')
I'll
be there (4'00'')
Sexy
songs (4'07'')
Kleid
und Sonnenschein (4'19'')
Vetternwirtschaft
(4'33'')
Korruptionsbekämpfung
(4'50'')
Volksmund
(5'09'')
Rentensystem
(5'28'')
Die
Menschen in den Dörfern (5'44'')
Mit
einer Selbstverbrennung ein Fanal zu setzen (5'55'')
Er
hörte stets ein Nein (6'05'')
Schreiend
rannte der Mann (6'14'')
Wie
ein kleines Kind (6'47'')
So
ein romantisch angehauchter Typ (7'05'')
So
was wie dich (7'23'')
Mikrowellenmahlzeiten
(7'28'')
Liegestützen
(8'14'')
Der
gegenwärtige Trend (8'20'')
Perverser
Ernst (8'34'')
Berührungsangst
(8'43'')
Hit-Radio
(8'59'')
Saugut
in Form (9'10'')
Der
Ball ist rund (9'30'')
RTL:
Krieg im Bandenmilieu (9'45'')
RTL:
Wir zeigen's Ihnen (10'15'')
Frau
Bratbäcker (10'21'')
Bright
Eyes (10'38'')
Die
unterschiedlichsten Gesellschaften (10'50'')
Der
mächtigste Mann der Welt (11'00'')
You
came from Paradise (11'13'')
Die
1,99%-Europafinanzierung (11'24'')
Neueste
Musik (11'31'')
Hulla-Hawaii-Trip
(11'39'')
Premiere
(11'59'')
Closing
Time (12'10'')
Rap
(12'15'')
Volkswagen
(12'37'')
Serenata
d' amore (12'47'')
Lalalali,
Lalala (13'15'')
Der
Fanalist (13'34'')
I
lay my head (13'43'')
Hit-Radio
(14'08'')
Fleischverzehr
(14'30'')
Ich
wäre wirklich gut für dich (14'44'')
Techno
(14'50'')
Aktien
der Chemiebranche (15'22'')
I'm
a big, big Girl (15'35'')
Subventionsabbau
bei Kantinen (16'03'')
Mozart
(16'28'')
Montag
ist Schontag (16'46'')
Führungsleute
in der Union (17'23'')
Mars
macht mobil (17'34'')
C
IX
C
X, 1 – 4
C
XI, 1 -3 + 16
C
XIII
C
XVI, 1 – 3 + 12 – 15
C
XVII, 1 + 4 (Z. 3 – 4)
C
XIX, 1
Schäuble
(18'22'')
Ein
Mädchen für immer (18'50'')
Wir
wollen uns nicht an Kleinigkeiten festhalten (19'55'')
Tochter
Susan zum Beispiel (20'03'')
Idee
der Unterschriftensammlung (20'15'')
Märchen
sind so wunderschön (20'24'')
Träne
auf Reisen (23'19'')
Techno
(23'23'')
Says
you know (23'24'')
Denken
Sie an Che Guevara (23'45'')
So
much (23'50'')
Und
wer das Glück hat (24'01'')
Prädispositionen,
um zu einem Fanal zu werden (24'10'')
Freud.
Electro Funk Rules (24'15'')
Träne
auf Reisen (24'40'')
Parallelriesenslalom
(24'50'')
Berge
und Heimat (25'05'')
Bundestagswahl:
gleichzeitig gilt, wir wollen keinen demokratischen (25'20'')
Sport-Jazz
(25'29'')
Landtagswahlen
(25'50'')
Verkehrsmeldung
(26'05'')
Als
klassischer Geist (26'21'')
No
woman of flesh and blood (26'50'')
Unfall
und Stau (26'59'')
Wetterbericht
(27'25'')
Rap
(28'19'')
Wetterbericht
(28'30'')
Kammermusik
(28'41'')
Es
wird schon wieder werden (28'45'')
I
confess, im ausgehenden 20. Jahrhundert (29'58'')
Barfuß
oder Lackschuh (33'01'')
C
XX
C
XXI, 1
C
XXII, 1 – 3 + 6 – 7
C
XIII, 1 – 2 + 7 – 20 und 25 – 29
C
XXIV, 1 – 2; 5 + 8 -11; 18 – 20 + 22 – 23
C
XXV, 1 -2; 6 – 7; 10 – 14; 18 – 20 + 25
C
XXVI, 1 -2 + 6 – 20
C
XXVII, 1 – 3
Werbung
(33'31'')
Internet
(34'15'')
Die
weibliche Brustlandschaft (34'43'')
Schließlich
könne man auch gänzlich unverschuldet arbeitslos werden (34'54'')
Wetterbericht
(35'22'')
Klassik
für Eilige (37'29'')
Planet
Radio (37'29'')
Maximum
Music (37'49'')
Negative
Folgen (39'04'')
Mittelwelle
(39'45'')
FM
(40'20'')
Kritik
der Ideologie (41'05'')
Kurzwelle
(42'20'')
Radio
Österreich (42'25'')
Fluchtfinale
(43'20'')
III.
Braten
Sich
eine Parkbank zu braten ist so eine Idee, auf die jemand wie ich
verfallen kann, ihrer bloßen Unmöglichkeit wegen. Sie genüsslich
in der Pfanne zu wenden, wobei, zugegeben, mir die Beine etwas im Weg
sind; aber bei zunehmender Hitze erschlaffen sie und lassen sich ganz
gut an den Bankbauch anlegen, wo sie auch hübsch knusprig werden.
Ich neige dazu, die Bank mit den Beinchen nach oben zu servieren,
verstehe aber, dass andere Köche dem
Beinchen-nach-unten-Serviervorschlag folgen. Selbstredend, dass die
Lehne als erstes den Winkel aufgibt. Zwischen Lehne und Sitzfläche
empfiehlt sich nach Art des Cordon bleu entsprechend Zeitung oder
Mantel, den ein Clochard hat liegen lassen. Schön, wenn die Einlagen
flüssig werden und zwischen den Brettern herausquillen. Gesalzen
wird übrigens erst auf dem Teller, damit das Holz nicht trocken
wird, sozusagen holzig. Pfeffer dito.
Wer
dies alles für unmöglich hält, dem empfehle ich diese
offensichtliche Unmöglichkeit, bei der mir jedenfalls das Wasser im
Munde zusammenläuft, wohleingedenk der Tatsache, dass ich nur
abgeliebte Parkbänke brate und keineswegs solche aus
Massenbankhaltung.
Was
man ansonsten für unmöglich hält, das geschieht ja leider
alltäglich, in Bezug auf das Cordon bleu üblicher Kulinarik
vermittels der üblichen Schweinerei. Entsprechend die übrigen
Schweinereien.
Nehmen
wir an, wir hätten, da wir die Lektüre von Clochards grundsätzlich
nicht kritisieren, eine Bild der vergangenen Woche in der Bank
gebraten, dann hätten wir uns unversehens eine nicht leicht zu
überbietende Monstrosität einverleibt. Der Führer hat nämlich,
jawohl, ihr wisst es schon, mit Magda, der Mama von Rosemarie, die
partout Romy sein wollte, also die haben, ihr wisst schon. Man will
nicht hinschauen im Tankshop, aber man sieht es ja eben doch: Der
Führer wie gemalt! So also sah er wirklich aus. Manchmal soll er ja
auch Krachlederne getragen haben. Der magische Blick, habe ich mir
erklären lassen, lasse sich nicht fotografieren. Bloß weil ich den
auch bei genauem Hinsehen nicht ausmachen konnte, hatte er also diese
Augen, nach denen heute noch gecastet wird. Irgendwie
widersprüchlich, aber egal. Also der Führer, ein Bild von einem
Mann! Und von wegen Wassertrinker, also auch sonst von der blassen
Sorte, da lobe ich mir mein Schnitzel. Nix, die haben also, Anno
Tobak, genauso wie richtige moderne Promis, hatten die also solche
Geschichten. Herrgott, wie naiv wir doch sind, dass er sich für
seine Eva reingehalten hat. Man kommt natürlich sofort ins Kalauern,
von wegen reinhalten und so weiter, aber lassen wir das.
Es
hat also einer unserer Kollegen, die an der Tanke noch schnell die
Zeitung mitnehmen, sich zusammenbuchstabiert, dass unser Adolf doch
ein ganz richtiger Promi war, mit Bettgeschichten und so weiter,
sozusagen einer von uns, wie man eigentlich an dem Foto auch sah,
ziemlich trendy, und hatten nicht Chaplin und Thomas Mann auch dieses
Bärtchen, zugegeben, man kennt nur den alten Charly.
Wahnsinn,
die Bild, dass sie immer so genau herausfinden, was man eigentlich
immer schon wusste. Ja, am Trend fehlt es den aktuellen Rechten a
weng. Das ist, weil sie so dagegen sind, ich meine gegen alle
Freiheiten, die man sich in der modernen Welt schon nehmen darf, ich
mein, die, die sichs leisten können. Am Ende hatte der Adolf auch
irgendwo eine Jacht, oder eine Sportwagensammlung.
Also
ich tät mir einen braten, ich mein einen Sportwagen, auch gesotten
könnte ich ihn mir vorstellen, beispielsweise den Jaguar von meinem
Kumpel. Hat nicht der Charly Chaplin sich auch etwas Leder, aber
lassen wir das; der Führer, einer von uns, das ist wirklich
großartig rausgekommen - und auch irgendwie informativ. Ja. [B. Karl
Decker]
IV.
Reifen
Reifen sind Überzieher fürs Rad. Das Rad funktioniert ohne, umgekehrt nicht. Daher, wer Reifen liebt, muss das Rad anbeten, bekanntlich die größte Erfindung der Menschheit. Reifen braucht Rad und Rat.
Reifen ist Bewegung, denn nichts geht ohne, nicht einmal das Fliegen. Ohne Reifen wäre vieles unreif, bitter, hart und einfach nur ungenießbar. Millionen Online-Bestellungen würden nicht rechtzeitig eintreffen und Familien, gerade an Weihnachten, auseinanderbrechen. Andere würden sich, gestrandet an den Flughäfen, um ihren gelobten Urlaub betrogen fühlen, weil die Maschinen nicht abfliegen könnten. Stimmen würden laut werden, der Mensch brauche sein Mallorca, auch wenn die Insel an ihm kollabierte. Denn er kann sich das leisten, der Homo Sapiens, alles kaputt zu lieben. Da könnte ihm Reifen helfen, wenn er nur reifte.
Reifen ist unersetzlich und braucht ein Profil, damit nichts ausrutscht und reibungslos läuft. Bodenhaftung ist wichtig. Gleichzeitig bedeutet Reifen ein Profil bilden, Eigenarten entwickeln, sich mit anderen reiben, um dadurch an Persönlichkeit zu gewinnen.
So ist also ein Reifen dem anderen entgegengesetzt. Während das eine genießbar wird, feine Härchen bekommt, süßen Saft entwickelt, aromatisch duftet, weiches Fleisch und somit eine Genuss-Reife entfaltet, verliert der andere seine Griffigkeit und wird abgenutzt. So oder so: Ohne Reifen kein Verkehr!
Und Raduan? Seine Eltern ließen den Achtjährigen im Schutzraum des Reifens in der Nähe von Aleppo auf der Felge des Rades eines exportierten Lastkraftwagens, Typ Mercedes-Benz LP 333, in der sogenannten Innenseele des Reifens, für einen Preis von rund fünftausend Dollar befestigen. Die Entfernung nach Aratos, Griechenland, beträgt rund 1500 Kilometer.
Der Flüchtlingshelfer Bahman nahm nach einem Notruf gegen 12:10 (ante meridiem) das nächstmögliche Flugzeug (Turkish Airlines) vom John F. Kennedy Airport nach Thessaloniki. Im Leihwagen, Typ BMW, erreichte er in der Dämmerung des darauffolgenden Abends den verabredeten Ort, um Raduan vor den Auffanglagern Europas zu bewahren. Begreifen Sie? Was hätte Raduan im allseits gelobten Land, zum Greifen nahe, erwartet? Sprachförderprogramme? Integration? Unterwanderung der Sozialsysteme? Toleranz? Talk Shows? Die Alternative für Deutschland? Ein Wohnheim? Streifenwagen? Bahman fand eine Familie rumänischer Immigranten in Cambridge für Raduan, von dem, inzwischen rund sechzehn Jahre alt, folgende Nachricht kam: "I want to thank Allah and all the people who have accompanied me over these years. I want to thank them for saving me, for picking me up, and for giving me a new life. I want to go back home to my family in Aleppo as soon as possible. Unfortunately, Aleppo doesn't exist anymore, though. I don't even know if my family is still alive." Guter Rat ist teuer, sagt der Volksmund. Begreifen Sie? [Liana Helas]
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