Das ist es: wir leben mit Toten, und die denken nicht um.
[»Triptychon«, Max Frisch (1976 - 1979)]
Fugenthema – Die Musik der Zahlen
(Präludium zur Fakeforce-Staffel II - Nocebo)
Das Licht war weich.
Es tropfte durch die geschlossenen Läden wie gestauter Atem.
Frieda hörte nichts. Aber das war falsch.
Sie hörte.
Die Welt hatte sich zurückgezogen.
Was blieb, war ein Pochen – Paukenschläge auf dem Zwerchfell.
Die zerschnittene, zerschlissene Zeit hat nur eine im Unterton eingefaltete Struktur liegengelassen.
Frieda wollte nicht enden. Nicht so.
Mit aller Kraft hörte sie in ihr Herz hinein.
Pochen.
Pochen.
Continuo.
Und dann entfaltete sich der erste Unterschied: eine Oktave.
In ihr trug jede Zahl einen Ton.
Und alle Töne auf Fourieres Flöte gespielt.
Sie lag still.
Doch die Zahlen bewegten sich.
Sie waren keine Zeichen mehr, sondern Intervalle.
11 war ein Fa. 13 ein La. 5 sprang wie eine Dominante. 2 fiel wie eine Subdominante zurück. Es war kein Klang im Raum, und doch war alles Musik.
In ihrem Inneren erklang eine Tonleiter:
Do → Re → Mi → Fa → So → La → Ti → Do'
Frieda wusste: n mod 8 war kein Rest. Es war eine Stimme.
Sie erinnerte sich. An die Zahl 11. Wie oft sie sie gedreht hatte. Wie sie ihr in den Träumen begegnet war. Aber jetzt wusste sie: 11 fiel. Es wollte nicht aufsteigen. Es wollte zurück. Die Musik wollte nicht klingen. Die 11 war eine Lücke in der Partitur.
Ein Schatten bewegte sich.
Keine Stimme.
Kein Bild.
Aber ein Hauch von Präsenz.
Sie nannte sie Emmy. Aber das war nicht ihr Name.
Larissa war nicht da.
Und doch spielte sie.
Frieda spürte es in den Fingerspitzen.
Die Struktur der Musik kam von außen, aber sie war in ihr.
Ein Kanon, der sich selbst schrieb.
Noch keine Fuge. Noch keine Gegenstimme. Aber ein Motiv.
Klar wie ein erstes Licht auf mattem Glas.
Das Präludium hatte begonnen.
Ein Akkord formte sich. Modulo 8. Drei Stimmen, aber nur zwei waren zu hören.
Die dritte war noch stumm.
Frieda lächelte in sich hinein. „Die Zahlen wollen singen.“
Der Monitor über ihrem Bett zeigte Standbild. Ein kleiner Fisch schwamm durch das Glas. Und in der Luft hing etwas, das wie ein letzter Klang war, der noch nicht ganz angekommen war.
Und irgendwo – vielleicht in einem anderen Traum, vielleicht in einer anderen Stimme – stimmte jemand die erste Zeile der Fuge an.
Ein Dreiklang wagte die Entfaltung Modulo 8.
DUX: Re→ → → Mi→ → → Do→ → →La→ → → So→ → →11
COMES: Mi→→→Fa→→→ Re→→→ Re→→→ Do
Drei Stimmen, aber nur zwei waren zu hören.
Die Dritte musste warten.
cadenza
den Text geschrieben.
das Kriegstagebuch zitiert.
die Figuren erfunden.
die Beweise geliefert.
gesehen, was niemand sehen wollte.
gerechnet, was nie messbar war.
die Sprache mit Absicht zerlegt.
alles verdichtet.
mich selbst versteckt.
alles verloren, was mir genommen wurde.
war nicht im Krieg.
aus einem toten Winkel gekommen.
über das Leben gestolpert.
das Kind im Dreck liegen gelassen.
weitergemacht.
diesen Text beendet.
ihn ausgedruckt.
ihn gebunden.
ihn veröffentlicht.
habe es getan.
Ich bin’s nicht gewesen.
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