Oscar Wilde als Aphoristiker
Ich bin im Herzen Franzose, der Geburt nach aber Ire und von den Engländern dazu verurteilt, die Sprache Shakespeares zu sprechen. [Oscar Wilde]
Oscar Fingal O’Flaherty Wills Wilde, berühmt und berüchtigt als Oscar Wilde, wurde am 16. Oktober 1854 in Dublin geboren. Er selbst prophezeite sich: „Aus mir wird einmal ein Dichter, ein Schriftsteller, ein Dramatiker. Auf irgendeine Weise werde ich berühmt, und wenn nicht berühmt, dann doch berüchtigt.“ Sein Vater war einer von Irlands führenden Ohren- und Augenärzten, ein Schürzenjäger, der freilich auch seinen Sohn bis zum eigenen Tode aushielt, seine Mutter war Übersetzerin und Lyrikerin mit eher bescheidenem Talent, die Eltern unterhielten einen Salon, der Sohn Oscar früh mit der Welt der Kunst in Berührung brachte. Wilde war Kritiker, Dramatiker, Lyriker und Romancier, Essayist, Märchenerzähler und homme de lettre – eine Klammer seiner Kunst war aber das aphoristische Denken, der aphoristische Auftritt, in all seinem Facettenreichtum – die Finte, die Pose, das Zirzensische als ein Pol des Aphorismus: „Für die Welt bin ich – absichtlich – nur ein Dilettant und Dandy. Es ist nicht klug, der Welt sein Herz zu zeigen. In einem so vulgären Zeitalter wie dem unseren braucht jeder seine Maske.“
Bei Nietzsche heißt es: „Jeder tiefe Geist braucht eine Maske: mehr noch, um jeden tiefen Geist wächst fortwährend eine Maske: dank der beständig falschen, nämlich flachen Auslegung, jedes Wortes, jedes Schrittes, jedes Lebens-Zeichens, das er gibt.“
Und damit sind wir schon beim aphoristischen Weltzugang Wildes, dem aphoristischen Denken, das sich zwischen den Polen Schweigen und Schwelgen, Sprachresignation und Spracheuphorie, Klarheit und Manierismus und dem genus humile oder style naturel und dem genus grande müßig-dynamisch entwickelt.
Der andere Pol des aphoristischen Denkens wird in Oscar Wildes Briefen am besten abgebildet, vielleicht sogar sein schriftstellerisches Hauptwerk, hier schreibt er unverstellt, spontan, freundschaftlich, leidenschaftlich, nüchtern, aufrichtig und analytisch – anders als in der öffentlichen Bühnenwelt des Kunstbetriebs ist er hier mit sich in besserer Gesellschaft.
In einem Brief an Arthur Conan Doyle schrieb er: „ … denn es ist mir sehr wohl bewusst, dass meinem Werk die beiden Eigenschaften fehlen, die Ihr Werk in so hohem Maße aufweist: Aufrichtigkeit und Kraft.“
Auch mit Reading und seinem Gefängnisaufenthalt bildet sich stilsicher eine klare, kristalline Prosa heraus, die gerade aufrichtig und kraftvoll aus Schwäche entsteht und die im Widerspruch zu einer gewissen manieristischen Pose wächst, wenn er so seine Beziehung zur schicksalhaften Lebensliebe Bosie in einem exemplarischen Brief von 1896 aus dem Gefängnis an seinen Nachlassverwalter Robert Ross formuliert:
„Ich schreibe dir offen als einem der liebsten Freunde, die ich habe oder jemals hatte, und mit wenigen Ausnahmen berührt mich die Sympathie der anderen, zumal wenn es um Sympathieverluste geht, herzlich wenig. Kein Mann in meiner Stellung kann in den Sumpf des Lebens fallen, ohne eine große Portion Mitleid von niedriger Stehenden mitzubekommen; und ich weiß auch, die Zuschauer ermüden, wenn ein Stück zu lange dauert. Meine Tragödie dauert jetzt schon zu lange; ihr Höhepunkt ist überschritten, ihr Ende erbärmlich. Und ich weiß recht gut: Wenn das Ende wirklich kommt, werde ich als ungebetener Gast zurückkehren in eine Welt, die mich nicht brauchen kann; als revenant, wie die Franzosen sagen, als einer, dessen Gesicht von langer Kerkerhaft grau ist, von Schmerzen entstellt. So schauerlich Tote auch sein mögen, wenn sie aus ihren Gräbern steigen – Lebende sind, wenn sie aus ihren Gräbern kommen, noch schauerlicher. Das alles ist mir nur zu genau bewusst. Wer achtzehn schreckliche Monate in einer Gefängniszelle zugebracht hat, sieht die Dinge wie sie wirklich sind. Und dieser Anblick lässt einen zu Stein werden. Glaub bitte nicht, ich wollte ihn für meine Laster verantwortlich machen. Damit hatte er so wenig zu tun wie ich mit den seinen. In diesem Punkt hat die Natur uns beide stiefmütterlich behandelt. Was ich ihm vorwerfe ist, dass er den von ihm ruinierten Menschen geringschätzt. Ein ungebildeter Millionär hätte wirklich besser zu ihm gepasst. Solange auf meinem Tisch nur genug roter Wein und rote Rosen standen, was wollte er mehr? Mein Genie, mein Leben als Künstler, meine Arbeit und die Ruhe, die ich dafür benötigte, sie galten ihm nichts, wenn es um die Befriedigung seiner hemmungslosen und gemeinen Triebe, um seinen Wunsch nach einem gewöhnlichen Lotterleben ging: seine Geldgier, seine ewigen heftigen Szenen, seine phantasielose Selbstsucht. Immer wieder versuchte ich in jenen beiden vergeudeten Jahren zu fliehen, doch er holte mich jedes Mal zurück, hauptsächlich mit Drohungen, sich etwas anzutun. Als dann sein Vater in mir ein Mittel sah, seinem Sohn eins auszuwischen, und der Sohn in mir die Möglichkeit, seinen Vater zu ruinieren, und als ich so zwischen zwei Menschen geriet, die danach gierten, auf geschmacklose Weise Aufsehen zu erregen, zwei Menschen, denen es ohne Rücksicht allein um ihren abscheulichen gegenseitigen Hass ging, zwei Menschen, die mich beide bedrängten, der eine durch öffentliche Visitenkarten und Drohungen, der andere durch private oder auch halb öffentliche Szenen, durch briefliche Drohungen, Sticheleien, Hohn … da verlor ich, ich gebe es zu, den Kopf. Ich ließ ihn gewähren, war ratlos, zu klarem Urteil nicht fähig. Ich tat den einen fatalen Schritt. Und jetzt … sitze ich hier, auf einer Bank in einer Gefängniszelle. Jede Tragödie enthält ein Element des Grotesken. In meiner Tragödie ist er das groteske Element. Glaub ja nicht, ich würde mir selbst keine Vorwürfe machen. Ich verfluche mich Tag und Nacht, dass ich so töricht war, ihn mein Leben beherrschen zu lassen. Hätten diese Wände ein Echo, es würde unablässig „Du Narr“ rufen. Ich schäme mich meiner Freundschaft mit ihm zutiefst. Denn an ihren Freundschaften erkennt man die Menschen. Sie sind ein Prüfstein für jeden … An gewissen Orten darf niemand lachen, nur die wirklich Wahnsinnigen; und selbst die verstoßen damit gegen die Hausordnung; sonst würde ich wohl darüber lachen.“ : Und er lachte doch, schweren Herzens, denn Oscar Wilde war ein Großmeister des Humors gerade dann, wenn es nichts mehr zu lachen gab, wenn einem das Lachen im Halse stecken blieb.
Es gibt aber auch einen Oscar Wilde vor dem Gefängnis, als Dandy und Ästhet der Ästheten war er eine der schillerndsten und umstrittensten Figuren des viktorianischen Zeitalters – sein expliziter Non-Konformismus, der sich auch in der äußerlichen Kleidung, bevorzugt samtene Kniehosen, Seidenstrümpfe und Nelke im Knopfloch widerspiegelte, eckte im prüden England und Irland immer wieder an und sorgte für Hohn und Spott der Zeitgenossen, so wurde er nicht nur im Satiremagazin Punch oder im Woman’s Journal, dem er später kurzzeitig als Herausgeber und Chefredakteur diente, karikiert und angegriffen.
In den 1870er Jahren studierte er erst in Dublin, später in Oxford und unternahm eine erste Italienreise, in Oxford formulierte er: „Es fällt mir von Tag zu Tag schwerer, auf dem Niveau meines blauen Porzellans zu leben.“
Ein Bonmot, das Ironie und Selbstironie des Meisters des Widerspruches auf den Punkt bringt, das luxuriöse blaue Porzellan, die Vasen, schmückte Wilde in seinem Interieur gerne mit Lilien, der Blume der Präraffaeliten, als Zeichen für Enthaltsamkeit, Üppigkeit und Beharrlichkeit, das blaue Porzellan markiert das hohe Niveau, von dem man nur abstürzen kann und von dem Wilde freilich abstürzen musste.
Wilde war ein brillanter Schüler, Student und Bildungsbürger, seine intellektuellen Richtgrößen sind die Ästhetizisten Walter Pater und John Ruskin, Joris-Karl Huysmans „Gegen den Strich“, À rebours, als Manifest des europäischen Ästhetizismus, wurde zu einem seiner Lieblingsbücher.
Thomas Mann gebührt das Verdienst, Oscar Wildes Ästhetizismus mit Friedrich Nietzsches ästhetischer Philosophie im Essay Nietzsches Philosophie im Lichte unserer Erfahrung (1947) in einen berechtigten Zusammenhang zu bringen, den Bachelor aus Oxford und den ordentlichen Professor aus Basel mit den nahe beieinander liegenden Lebensdaten (Nietzsche: 1844-1900, Wilde 1854-1900): „Natürlich hat die Zusammenstellung Nietzsches mit Wilde etwas fast Sakrilegisches, denn dieser war ein Dandy, der deutsche Philosoph aber etwas wie ein Heiliger des Immoralismus. Und doch gewinnt durch das mehr oder weniger gewollte Märtyrertum seines Lebensendes, das Zuchthaus von Reading, Wildes Dandyismus einen Anflug von Heiligkeit, der Nietzsches ganze Sympathie erweckt hätte.“
Thomas Mann unterlegt diese richtige These mit Nietzsche-Aphorismen, die zweifellos auch von Wilde hätten stammen können. So zum Beispiel: „Der Ernst, dieses unmissverständliche Abzeichen des mühsameren Stoffwechsel“ oder: „In der Kunst heiligt sich die Lüge und hat der Wille zur Täuschung das gute Gewissen auf seiner Seite“ sowie: „Es ist nichts mehr als ein moralisches Vorurteil, dass Wahrheit mehr wert ist als Schein.“
Es ist das Tänzerische des Denkens und der Prosa, eine Philosophie der Jugend und des Widerstands, des Auf- und Abbruchs, eine Revolte gegen das allgegenwärtige Mittelmaß, die Wilde und Nietzsche verbinden – der spielerische, experimentelle Angriff auf den verstaubten, lebensfeindlichen Moralbegriff des bürgerlichen Zeitalters.
Bei Wilde haben wir dabei den zwischenzeitlich gesellschaftlich verankerten Salonlöwen vor Augen, bei Nietzsche dagegen den immer zurückgezogenen deutschen Stubengelehrten par excellence – beide feiern das Leben, vor dessen feindlicher Realität sie hilflos in die Welt der Kunst und des Denkens entfliehen: Nietzsche formuliert so in der Geburt der Tragödie, „nur als ästhetisches Phänomen ist das Dasein und die Welt ewig gerechtfertigt“.
Wilde notiert: „Nicht nach Leid, nicht nach Freude strebt der Mensch. Zu leben – das ist sein Wunsch“ und: „Wenn der Mensch handelt, ist er eine Puppe. Wenn er es schildert, ist er ein Schöpfer. Das ist das ganze Geheimnis.“
Beiden ist die triste Gegenwart mit der Vergötterung der Maschinen suspekt, Wilde schreibt: „Das Übel, das Maschinen anrichten, findet sich nicht nur in ihren Produkten, sondern auch darin, dass sie Menschen selbst zu Maschinen macht. Wir dagegen wünschen uns die Menschen als Künstler.“
Bei Nietzsche heißt es: „Der Intellekt ist bei den allermeisten eine schwerfällige, finstere und knarrende Maschine, welche übel in Gang zu bringen ist : sie nennen es , die Sache ernst nehmen, wenn sie mit dieser Maschine arbeiten und gut denken wollen – o wie lästig muß ihnen das Gut-Denken sein.“
Wilde schreibt weiter: „So sehr wir uns bemühen, wir können nicht zur Wirklichkeit hinter der Erscheinung der Dinge gelangen. Und der schreckliche Grund dafür ist vielleicht, dass es an den Dingen keine Wirklichkeit gibt abseits ihrer Erscheinung“ - als Devise diktiert er: „Lass dich nicht auf den Pfad der Tugend verführen.“
Die Wahrheit der Masken und der Zerfall der Lügen stehen für eine Umwertung aller Werte, die beide einfordern, im Dorian Gray kommt es denn auch folgerichtig zu einem Verfall des Moral Sense, eine Selbstzerstörung des Ichs durch eine Verfeinerung der ästhetischen Sensibilität. Thomas Mann schreibt von Wilde sinnigerweise als dem „Revoltierenden, und zwar Revoltierendem im Namen der Schönheit.“
1880 veröffentlichte Wilde mit Vera sein erstes Drama, 1881 einen Gedichtband, 1881 ging er auf seine erste Vortragsreihe in die U.S.A, 1883 auf seine zweite – zuvor ging er aber nach Frankreich und traf dort auf die Schriftsteller Goncourt, Hugo, Gide und Verlaine sowie die Maler Degas und Pissaro. 1884 heiratete er Constance Lloyd, eine Kinderbuchautorin aus begütertem Elternhaus und brachte zwei Söhne zur Welt (Vyviyan verstarb erst 1967, sein Sohn Merlin Holland, Oscars Enkel, hat Verdienste um die Veröffentlichung von Oscars Briefen), dann unternahm er eine weitere Vortragsreise durch Großbritannien und Irland.
Ab 1887 hat er zwei Jahre auch journalistisch gearbeitet, für seine Jungs schrieb er 1888 Kunstmärchen unter dem Titel „Der glückliche Prinz“ und andere, 1891 schrieb er „Das Bildnis des Dorian Gray“, seinen einzigen Roman, und mit „Salome“ sein vielleicht bekanntestes Drama auf Französisch, das zuerst vom Zensor abgelehnt wurde, dann 1894 in Paris mit Sarah Bernhardt uraufgeführt wurde und von Richard Strauss in eine Oper überführt wurde.
Ab 1892 schrieb Wilde eher boulevardeske Gesellschaftskomödien, 1892 „Lady Wintermere’s Fan“, 1893 „A Woman of no Importance“, 1895 „An Ideal Husband“ und „The Importance of Being Earnest“.
Und 1895, auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Lebens-Schöpfens, kam es zur Verleumdungsklage gegen den Vater von Bosie, Lord Douglas, den Marquis von Queensberry, der dann in der Folge in eine Anklage gegen Wilde wegen Unzucht umgewandelt wurde. 1895 wurde Wilde im dritten Gerichtsverfahren zu 2 Jahren Zuchthaus mit Zwangsarbeit verurteilt. Danach schrieb er mit der Ballade vom Zuchthaus in Reading mit 109 Strophen sein letztes Werk, das 1898 unter einem Pseudonym erschien, 1897 floh er erst in die Normandie, dann mit Bosie nochmal nach Italien und die längste Zeit nach Paris, wo er stark dem Alkohol zugetan, unter dem Namen Sebastian Melmoth 1900 verstarb.
Nach seinem Tode wurde mit De Profundis noch ein Nachlass-Werk mit Tagebuch-Aufzeichnungen und Briefen aus dem Zuchthaus in Reading dank seinem Testamentsvollstrecker Robert Ross publiziert, das Wilde als tragischen und brillanten l‘homme de lettre ausweist.
Oscar Wilde war sicher ein Gesamtkunstwerk, das größer war als sein literarisches Werk, der Salonlöwe und Alleinunterhalter als Vorbote des Medienzeitalters hat sicherlich sein Leben über sein Schreiben gestellt und bezahlte für seinen hedonistischen, homosexuellen und bisexuellen Lebensstil, so schwärmte er einerseits für Knaben und verliebte sich andererseits in Frauen, wider alle Konventionen, einen sehr hohen Preis – ohne jemals seinen Humor zu verlieren, Wilde entgegnete so einem Zöllner auf seiner ersten Vortragsreisen durch die U.S.A.: „Ich habe nichts zu verzollen – außer meinem Genie.“
Am Ende formulierte Wilde so: „Ich sterbe wie ich gelebt habe: über meine Verhältnisse“ und auf seinem Totenbett im Pariser Exil: „Meine Tapete und ich fechten gerade ein Duell auf Leben und Tod aus. Einer von uns muss verschwinden.“
Wolfgang Koeppen analysierte Wilde als „Schmerzensmann der Hybris und Provokation in einer Gesellschaft vernünftiger Heuchler“.
Letztlich war es bei Oscar Wilde aber gerade das große Leid, das seinen brillanten Humor aus den Widersprüchen des Lebens erschuf, deshalb wird man Wilde auch nicht gerecht, wenn man ihn in der Literatur über ihn gerne zu einem Vorläufer der heutigen Erlebnis - und Event-Kultur reduziert – denn selbst wenn er die Gegenwart und den Augenblick romantisch feiern konnte und Gefallen an diversen Konsumbefriedigungen fand, ist er doch das genaue Gegenteil eines Yuppies und hätte sich von der Mittelmäßigkeit des postmodernen Zeitgeistes im Spagat zwischen vermeintlich gesunder Ernährung, Konsumismus, Unterhaltungsindustrieamüsement, anämischer Vernünftelei und kosmetischer Chirurgie angewidert gefühlt : sein Ideal des makellosen Körpers ist eher bildungsbürgerlich griechisch geprägt, sein Wohnzimmer war der Salon, wo er sein Ich in ausgewählter Gesellschaft geistreich schärfen konnte :„Mit der Gesellschaft zu leben – welche Qual ! Aber außerhalb der Gesellschaft leben – welche Katastrophe.“
Und Geldnot war der große Treiber in Wildes gesellschaftlichem Leben, er heiratete aus Geldnot, er schrieb Dramen für die Publikumskasse und den Dorian Gray als Fortsetzungsroman – gutmütig wie er war, wurde er zudem auch schamlos ausgenutzt, nicht zuletzt von seiner Lebensliebe Lord Douglas, Bosie, der sein weniges Geld noch auf Oscars Sterbebett durchbrachte.
Zu den beiden großen Wendepunkten seines Lebens schrieb Wilde: „Ich möchte dahin kommen, schlicht und ohne Heuchelei sagen zu können, dass es in meinem Leben zwei große Wendepunkte gegeben hat: als mein Vater mich nach Oxford und als die Gesellschaft mich ins Gefängnis schickte.“
Oscar Wildes kometenhafter gesellschaftlicher Aufstieg durch seinen genialen aphoristischen Auftritt sollte durch den Prozess, den er selbst gegen den Vater seines Freundes Lord Alfred Douglas angestrengt hatte und der sich letztlich gegen ihn selbst wendete in der tragischen Katastrophe seines Lebens enden. Nach zwei Jahren im Zuchthaus, zuletzt in Reading, war er ein gebrochener Mann, der gefallen nach Frankreich fliehen musste, wo er bereits 1900 mit 46 Jahren verstarb.
London war ein Tollhaus, als Oscar Wilde verhaftet wurde, so schrieb Frank Harris: „Wildes Verhaftung gab das Signal für eine Orgie spießbürgerlicher Gehässigkeit, wie London sie noch nie erlebt hatte. Das puritanische Bürgertum, das Wilde immer mit Abneigung als Künstler und intellektuellen Spötter, als bloßen Schmarotzer der Aristokratie betrachtet hatte, ließ nun seinem Abscheu und seiner Verachtung freien Lauf, und jeder versuchte, seinen Nachbarn in Bekundungen des Ekels und des Hasses zu übertrumpfen.“ Wilde monierte auch prophetisch: „Die Gesellschaft ist bereit, dem Verbrecher zu verzeihen, dem Träumer nicht.“
Alfred Kerr schrieb in diesem Kontext richtig: „Seine langsame Hinrichtung bleibt der letzte greifbare Akt des Mittelalters.“ Wildes Vita hatte die Grandezza von einer griechischen Tragödie oder einer italienischen Oper und daraus schöpfte er sein aphoristisches Lebenswerk: „Ich habe mein ganzes Genie in mein Leben getan; in mein Werk nur mein Talent.“
Wildes aphoristischer Punch und seine geschliffenen Pointen fallen immer wieder als Reaktion auf seine schicksalhaften Verwicklungen ins Auge, Aphorismen, die einzeln für sich stehen, gibt es aber nur in Journalen seiner Zeit, nicht als Buchausgabe. Heute gibt es diverse Anthologien mit Wildes Sentenzen aus seinen Theaterstücken, dem Dorian Gray und seinen Briefen, man sollte aber immer wieder auf ein Neues wie ein Perlentaucher ins Gesamtwerk, ins Lebensgesamtkunstwerk Oscar Wildes, hineinspringen und wird dafür reichlich belohnt.
Richard Ellmann schrieb in seiner Biographie: „Oscar Wilde gehört nicht zu den Schriftstellern, die mit dem Wandel des Jahrhunderts ihre Bedeutung verlieren. Wilde ist einer von uns“ – das stimmt zwar, was Wildes Aktualität, radikale Offenheit und frische Prosa angeht - aber es war auch das Wir seiner Zeit, dass dem Paradiesvogel Wilde gestutzt und schwerer verwundet hat als alle seine Leidenschaften - insofern war der Dandy Wilde als einsamer Eremit Nietzsche spätestens im Gefängnis zu Reading so nahe, wie es Thomas Mann formuliert hat, Oscar Wilde wurde von der Gesellschaft, die er wie die Luft zum Atmen brauchte, vernichtet, das Wir Ellmanns ist deshalb eine Hochstapelei – dieses Metier aber beherrschte Oscar Wilde als kompletter Aphoristiker deutlich besser. Komplett, weil er alle Register der Gattung beherrschte und hierbei spielen seine nüchternen und präzisen Briefe als authentisches Korrektiv zu seinem aphoristischen Auftritt, seinem theatralischen Rollenspiel als Künstler in einer argwöhnischen Gesellschaft und seiner geschliffenen Kunstprosa eine entscheidende Rolle.
Abschließend eine Auswahl von Oscar Wildes Aphorismen - vom lebenden Bonmot, vom fleischgewordenen Aphorismus, vom glänzenden Redner und scharfsinnigen Spötter, der immer wieder neue Perspektiven eröffnete, der als Meister der Selbstinszenierung virtuos seine Originalität feierte und die Welt auf den Kopf stellte, weil er sie als blendender Connaisseur erkannte: „Wir sind alle in der Gosse, aber manche von uns sehen die Sterne“ :
Ich mag keine Prinzipien, ich bevorzuge Vorurteile.
Ich reise nie ohne Tagebuch. Man sollte immer etwas Aufregendes zu lesen bei sich haben.
Manche Männer, von denen man denkt, sie seien schon lange tot, sind bloß verheiratet.
Arbeit ist der Fluch der trinkenden Klassen.
Gute Ratschläge gebe ich immer weiter. Es ist das Einzige, was man damit anfangen kann.
Das Stück war ein großer Erfolg. Nur das Publikum ist durchgefallen.
Ich bin durchaus nicht zynisch, ich habe nur Erfahrung – das ist so ziemlich dasselbe.
Der einzige Weg, eine Versuchung loszuwerden, ist, ihr nachzugeben.
Sich selbst zu überraschen ist, was das Leben lebenswert macht.
Großzügigkeit ist das Wesen der Freundschaft.
Die Zigarette ist das vollendete Urbild des Genusses. Sie ist köstlich und lässt uns unbefriedigt.
Weiblichkeit ist die Eigenschaft, die ich an Frauen am meisten schätze.
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