[»Oscar
Wilde«, Henri de Toulouse-Lautrec (1895)]
Oscar
Wilde als Aphoristiker
Ich
bin im Herzen Franzose, der Geburt nach aber Ire und von den
Engländern dazu verurteilt, die Sprache Shakespeares zu sprechen.
[Oscar Wilde]
Oscar
Fingal O’Flaherty Wills Wilde, berühmt und berüchtigt als Oscar
Wilde, wurde am 16. Oktober 1854 in Dublin geboren. Er selbst
prophezeite sich: „Aus mir wird einmal ein Dichter, ein
Schriftsteller, ein Dramatiker. Auf irgendeine Weise werde ich
berühmt, und wenn nicht berühmt, dann doch berüchtigt.“ Sein
Vater war einer von Irlands führenden Ohren- und Augenärzten, ein
Schürzenjäger, der freilich auch seinen Sohn bis zum eigenen Tode
aushielt, seine Mutter war Übersetzerin und Lyrikerin mit eher
bescheidenem Talent, die Eltern unterhielten einen Salon, der Sohn
Oscar früh mit der Welt der Kunst in Berührung brachte. Wilde war
Kritiker, Dramatiker, Lyriker und Romancier, Essayist,
Märchenerzähler und homme de lettre – eine Klammer seiner Kunst
war aber das aphoristische Denken, der aphoristische Auftritt, in all
seinem Facettenreichtum – die Finte, die Pose, das Zirzensische als
ein Pol des Aphorismus: „Für die Welt bin ich – absichtlich –
nur ein Dilettant und Dandy. Es ist nicht klug, der Welt sein Herz zu
zeigen. In einem so vulgären Zeitalter wie dem unseren braucht jeder
seine Maske.“
Bei
Nietzsche heißt es: „Jeder tiefe Geist braucht eine Maske: mehr
noch, um jeden tiefen Geist wächst fortwährend eine Maske: dank der
beständig falschen, nämlich flachen Auslegung, jedes Wortes, jedes
Schrittes, jedes Lebens-Zeichens, das er gibt.“
Und
damit sind wir schon beim aphoristischen Weltzugang Wildes, dem
aphoristischen Denken, das sich zwischen den Polen Schweigen und
Schwelgen, Sprachresignation und Spracheuphorie, Klarheit und
Manierismus und dem genus humile oder style naturel und dem genus
grande müßig-dynamisch entwickelt.
Der
andere Pol des aphoristischen Denkens wird in Oscar Wildes Briefen am
besten abgebildet, vielleicht sogar sein schriftstellerisches
Hauptwerk, hier schreibt er unverstellt, spontan, freundschaftlich,
leidenschaftlich, nüchtern, aufrichtig und analytisch – anders als
in der öffentlichen Bühnenwelt des Kunstbetriebs ist er hier mit
sich in besserer Gesellschaft.
In
einem Brief an Arthur Conan Doyle schrieb er: „ … denn es ist mir
sehr wohl bewusst, dass meinem Werk die beiden Eigenschaften fehlen,
die Ihr Werk in so hohem Maße aufweist: Aufrichtigkeit und Kraft.“
Auch
mit Reading und seinem Gefängnisaufenthalt bildet sich stilsicher
eine klare, kristalline Prosa heraus, die gerade aufrichtig und
kraftvoll aus Schwäche entsteht und die im Widerspruch zu einer
gewissen manieristischen Pose wächst, wenn er so seine Beziehung zur
schicksalhaften Lebensliebe Bosie in einem exemplarischen Brief von
1896 aus dem Gefängnis an seinen Nachlassverwalter Robert Ross
formuliert:
„Ich
schreibe dir offen als einem der liebsten Freunde, die ich habe oder
jemals hatte, und mit wenigen Ausnahmen berührt mich die Sympathie
der anderen, zumal wenn es um Sympathieverluste geht, herzlich wenig.
Kein Mann in meiner Stellung kann in den Sumpf des Lebens fallen,
ohne eine große Portion Mitleid von niedriger Stehenden
mitzubekommen; und ich weiß auch, die Zuschauer ermüden, wenn ein
Stück zu lange dauert.
Meine
Tragödie dauert jetzt schon zu lange; ihr Höhepunkt ist
überschritten, ihr Ende erbärmlich. Und ich weiß recht gut: Wenn
das Ende wirklich kommt, werde ich als ungebetener Gast zurückkehren
in eine Welt, die mich nicht brauchen kann; als revenant, wie die
Franzosen sagen, als einer, dessen Gesicht von langer Kerkerhaft grau
ist, von Schmerzen entstellt. So schauerlich Tote auch sein mögen,
wenn sie aus ihren Gräbern steigen – Lebende sind, wenn sie aus
ihren Gräbern kommen, noch schauerlicher. Das alles ist mir nur zu
genau bewusst. Wer achtzehn schreckliche Monate in einer
Gefängniszelle zugebracht hat, sieht die Dinge wie sie wirklich
sind. Und dieser Anblick lässt einen zu Stein werden. Glaub bitte
nicht, ich wollte
ihn
für meine Laster verantwortlich machen. Damit hatte er so wenig zu
tun wie ich mit den seinen. In diesem Punkt hat die Natur uns beide
stiefmütterlich behandelt. Was ich ihm vorwerfe ist, dass er den von
ihm ruinierten Menschen geringschätzt. Ein ungebildeter Millionär
hätte wirklich besser zu ihm gepasst. Solange auf meinem Tisch nur
genug roter Wein und rote Rosen standen, was wollte er mehr? Mein
Genie, mein Leben als Künstler, meine Arbeit und die Ruhe, die ich
dafür benötigte, sie galten ihm nichts, wenn es um die Befriedigung
seiner hemmungslosen und gemeinen Triebe, um seinen Wunsch nach einem
gewöhnlichen Lotterleben ging: seine Geldgier, seine ewigen heftigen
Szenen, seine phantasielose Selbstsucht. Immer wieder versuchte ich
in jenen beiden vergeudeten Jahren zu fliehen, doch er holte mich
jedes Mal zurück, hauptsächlich mit Drohungen, sich etwas anzutun.
Als dann sein Vater in mir ein Mittel sah, seinem Sohn eins
auszuwischen, und der Sohn in mir die Möglichkeit, seinen Vater zu
ruinieren, und als ich so zwischen zwei Menschen geriet, die danach
gierten, auf geschmacklose Weise Aufsehen zu erregen, zwei Menschen,
denen es ohne Rücksicht allein um ihren abscheulichen gegenseitigen
Hass ging, zwei Menschen, die mich beide bedrängten, der eine durch
öffentliche Visitenkarten und Drohungen, der andere durch private
oder auch halb öffentliche Szenen, durch briefliche Drohungen,
Sticheleien, Hohn … da verlor ich, ich gebe es zu, den Kopf.
Ich
ließ ihn gewähren, war ratlos, zu klarem Urteil nicht fähig. Ich
tat den einen fatalen Schritt. Und jetzt … sitze ich hier, auf
einer Bank in einer Gefängniszelle. Jede Tragödie enthält ein
Element des Grotesken. In meiner Tragödie ist er
das groteske Element. Glaub ja nicht, ich würde mir selbst keine
Vorwürfe machen. Ich verfluche mich Tag und Nacht, dass ich so
töricht war, ihn mein Leben beherrschen zu lassen. Hätten diese
Wände ein Echo, es würde unablässig „Du Narr“ rufen. Ich
schäme mich meiner Freundschaft mit ihm zutiefst. Denn an ihren
Freundschaften erkennt man die Menschen. Sie sind ein Prüfstein für
jeden …
An
gewissen Orten darf niemand lachen, nur die wirklich Wahnsinnigen;
und selbst die verstoßen damit gegen die Hausordnung; sonst würde
ich wohl darüber lachen.“ :
Und er lachte doch, schweren Herzens, denn Oscar Wilde war ein
Großmeister des Humors gerade dann, wenn es nichts mehr zu lachen
gab, wenn einem das Lachen im Halse stecken blieb.
Es
gibt aber auch einen Oscar Wilde vor dem Gefängnis, als Dandy und
Ästhet der Ästheten war er eine der schillerndsten und
umstrittensten Figuren des viktorianischen Zeitalters – sein
expliziter Non-Konformismus, der sich auch in der äußerlichen
Kleidung, bevorzugt samtene Kniehosen, Seidenstrümpfe und Nelke im
Knopfloch widerspiegelte, eckte im prüden England und Irland immer
wieder an und sorgte für Hohn und Spott der Zeitgenossen, so wurde
er nicht nur im Satiremagazin Punch oder im Woman’s Journal, dem er
später kurzzeitig als Herausgeber und Chefredakteur diente,
karikiert und angegriffen.
In
den 1870er Jahren studierte er erst in Dublin, später in Oxford und
unternahm eine erste Italienreise, in Oxford formulierte er: „Es
fällt mir von Tag zu Tag schwerer, auf dem Niveau meines blauen
Porzellans zu leben.“
Ein
Bonmot, das Ironie und Selbstironie des Meisters des Widerspruches
auf den Punkt bringt, das luxuriöse blaue Porzellan, die Vasen,
schmückte Wilde in seinem Interieur gerne mit Lilien, der Blume der
Präraffaeliten, als Zeichen für Enthaltsamkeit, Üppigkeit und
Beharrlichkeit, das blaue Porzellan markiert das hohe Niveau, von dem
man nur abstürzen kann und von dem Wilde freilich abstürzen musste.
Wilde
war ein brillanter Schüler, Student und Bildungsbürger, seine
intellektuellen Richtgrößen sind die Ästhetizisten Walter Pater
und John Ruskin, Joris-Karl Huysmans „Gegen den Strich“, À
rebours, als Manifest des europäischen Ästhetizismus, wurde zu
einem seiner Lieblingsbücher.
Thomas
Mann gebührt das Verdienst, Oscar Wildes Ästhetizismus mit
Friedrich Nietzsches ästhetischer Philosophie im Essay Nietzsches
Philosophie im Lichte unserer Erfahrung (1947) in einen berechtigten
Zusammenhang zu bringen, den Bachelor aus Oxford und den ordentlichen
Professor aus Basel mit den nahe beieinander liegenden Lebensdaten
(Nietzsche: 1844-1900, Wilde 1854-1900): „Natürlich hat die
Zusammenstellung Nietzsches mit Wilde etwas fast Sakrilegisches, denn
dieser war ein Dandy, der deutsche Philosoph aber etwas wie ein
Heiliger des Immoralismus. Und doch gewinnt durch das mehr oder
weniger gewollte Märtyrertum seines Lebensendes, das Zuchthaus von
Reading, Wildes Dandyismus einen Anflug von Heiligkeit, der
Nietzsches ganze Sympathie erweckt hätte.“
Thomas
Mann unterlegt diese richtige These mit Nietzsche-Aphorismen, die
zweifellos auch von Wilde hätten stammen können. So zum Beispiel:
„Der Ernst, dieses unmissverständliche Abzeichen des mühsameren
Stoffwechsel“ oder: „In der Kunst heiligt sich die Lüge und hat
der Wille zur Täuschung das gute Gewissen auf seiner Seite“ sowie:
„Es ist nichts mehr als ein moralisches Vorurteil, dass Wahrheit
mehr wert ist als Schein.“
Es
ist das Tänzerische des Denkens und der Prosa, eine Philosophie der
Jugend und des Widerstands, des Auf- und Abbruchs, eine Revolte gegen
das allgegenwärtige Mittelmaß, die Wilde und Nietzsche verbinden –
der spielerische, experimentelle Angriff auf den verstaubten,
lebensfeindlichen Moralbegriff des bürgerlichen Zeitalters.
Bei
Wilde haben wir dabei den zwischenzeitlich gesellschaftlich
verankerten Salonlöwen vor Augen, bei Nietzsche dagegen den immer
zurückgezogenen deutschen Stubengelehrten par excellence – beide
feiern das Leben, vor dessen feindlicher Realität sie hilflos in die
Welt der Kunst und des Denkens entfliehen: Nietzsche formuliert so in
der Geburt der Tragödie, „nur als ästhetisches Phänomen ist das
Dasein und die Welt ewig gerechtfertigt“.
Wilde
notiert: „Nicht nach Leid, nicht nach Freude strebt der Mensch. Zu
leben – das ist sein Wunsch“ und: „Wenn der Mensch handelt, ist
er eine Puppe. Wenn er es schildert, ist er ein Schöpfer. Das ist
das ganze Geheimnis.“
Beiden
ist die triste Gegenwart mit der Vergötterung der Maschinen suspekt,
Wilde schreibt: „Das Übel, das Maschinen anrichten, findet sich
nicht nur in ihren Produkten, sondern auch darin, dass sie Menschen
selbst zu Maschinen macht. Wir dagegen wünschen uns die Menschen als
Künstler.“
Bei
Nietzsche heißt es: „Der Intellekt ist bei den allermeisten eine
schwerfällige, finstere und knarrende Maschine, welche übel in Gang
zu bringen ist : sie nennen es , die Sache ernst nehmen, wenn sie mit
dieser Maschine arbeiten und gut denken wollen – o wie lästig muß
ihnen das Gut-Denken sein.“
Wilde
schreibt weiter: „So sehr wir uns bemühen, wir können nicht zur
Wirklichkeit hinter der Erscheinung der Dinge gelangen. Und der
schreckliche Grund dafür ist vielleicht, dass es an den Dingen keine
Wirklichkeit gibt abseits ihrer Erscheinung“ - als Devise diktiert
er: „Lass dich nicht auf den Pfad der Tugend verführen.“
Die
Wahrheit der Masken und der Zerfall der Lügen stehen für eine
Umwertung aller Werte, die beide einfordern, im Dorian Gray kommt es
denn auch folgerichtig zu einem Verfall des Moral Sense, eine
Selbstzerstörung des Ichs durch eine Verfeinerung der ästhetischen
Sensibilität. Thomas Mann schreibt von Wilde sinnigerweise als dem
„Revoltierenden, und zwar Revoltierendem im Namen der Schönheit.“
1880
veröffentlichte Wilde mit Vera sein erstes Drama, 1881 einen
Gedichtband, 1881 ging er auf seine erste Vortragsreihe in die U.S.A,
1883 auf seine zweite – zuvor ging er aber nach Frankreich und traf
dort auf die Schriftsteller Goncourt, Hugo, Gide und Verlaine sowie
die Maler Degas und Pissaro. 1884 heiratete er Constance Lloyd, eine
Kinderbuchautorin aus begütertem Elternhaus und brachte zwei Söhne
zur Welt (Vyviyan verstarb erst 1967, sein Sohn Merlin Holland,
Oscars Enkel, hat Verdienste um die Veröffentlichung von Oscars
Briefen), dann unternahm er eine weitere Vortragsreise durch
Großbritannien und Irland.
Ab
1887 hat er zwei Jahre auch journalistisch gearbeitet, für seine
Jungs schrieb er 1888 Kunstmärchen unter dem Titel „Der glückliche
Prinz“ und andere, 1891 schrieb er „Das Bildnis des Dorian Gray“,
seinen einzigen Roman, und mit „Salome“ sein vielleicht
bekanntestes Drama auf Französisch, das zuerst vom Zensor abgelehnt
wurde, dann 1894 in Paris mit Sarah Bernhardt uraufgeführt wurde und
von Richard Strauss in eine Oper überführt wurde.
Ab
1892 schrieb Wilde eher boulevardeske Gesellschaftskomödien, 1892
„Lady Wintermere’s Fan“, 1893 „A Woman of no Importance“,
1895 „An Ideal Husband“ und „The Importance of Being Earnest“.
Und
1895, auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Lebens-Schöpfens,
kam es zur Verleumdungsklage gegen den Vater von Bosie, Lord Douglas,
den Marquis von Queensberry, der dann in der Folge in eine Anklage
gegen Wilde wegen Unzucht umgewandelt wurde. 1895 wurde Wilde im
dritten Gerichtsverfahren zu 2 Jahren Zuchthaus mit Zwangsarbeit
verurteilt. Danach schrieb er mit der Ballade vom Zuchthaus in
Reading mit 109 Strophen sein letztes Werk, das 1898 unter einem
Pseudonym erschien, 1897 floh er erst in die Normandie, dann mit
Bosie nochmal nach Italien und die längste Zeit nach Paris, wo er
stark dem Alkohol zugetan, unter dem Namen Sebastian Melmoth 1900
verstarb.
Nach
seinem Tode wurde mit De Profundis noch ein Nachlass-Werk mit
Tagebuch-Aufzeichnungen und Briefen aus dem Zuchthaus in Reading dank
seinem Testamentsvollstrecker Robert Ross publiziert, das Wilde als
tragischen und brillanten l‘homme de lettre ausweist.
Oscar
Wilde war sicher ein Gesamtkunstwerk, das größer war als sein
literarisches Werk, der Salonlöwe und Alleinunterhalter als Vorbote
des Medienzeitalters hat sicherlich sein Leben über sein Schreiben
gestellt und bezahlte für seinen hedonistischen, homosexuellen und
bisexuellen Lebensstil, so schwärmte er einerseits für Knaben und
verliebte sich andererseits in Frauen, wider alle Konventionen, einen
sehr hohen Preis – ohne jemals seinen Humor zu verlieren, Wilde
entgegnete so einem Zöllner auf seiner ersten Vortragsreisen durch
die U.S.A.: „Ich habe nichts zu verzollen – außer meinem Genie.“
Am
Ende formulierte Wilde so: „Ich sterbe wie ich gelebt habe: über
meine Verhältnisse“ und auf seinem Totenbett im Pariser Exil:
„Meine Tapete und ich fechten gerade ein Duell auf Leben und Tod
aus. Einer von uns muss verschwinden.“
Wolfgang
Koeppen analysierte Wilde als „Schmerzensmann der Hybris und
Provokation in einer Gesellschaft vernünftiger Heuchler“.
Letztlich
war es bei Oscar Wilde aber gerade das große Leid, das seinen
brillanten Humor aus den Widersprüchen des Lebens erschuf, deshalb
wird man Wilde auch nicht gerecht, wenn man ihn in der Literatur über
ihn gerne zu einem Vorläufer der heutigen Erlebnis - und
Event-Kultur reduziert – denn selbst wenn er die Gegenwart und den
Augenblick romantisch feiern konnte und Gefallen an diversen
Konsumbefriedigungen fand, ist er doch das genaue Gegenteil eines
Yuppies und hätte sich von der Mittelmäßigkeit des postmodernen
Zeitgeistes im Spagat zwischen vermeintlich gesunder Ernährung,
Konsumismus, Unterhaltungsindustrieamüsement, anämischer
Vernünftelei und kosmetischer Chirurgie angewidert gefühlt : sein
Ideal des makellosen Körpers ist eher bildungsbürgerlich griechisch
geprägt, sein Wohnzimmer war der Salon, wo er sein Ich in
ausgewählter Gesellschaft geistreich schärfen konnte :„Mit der
Gesellschaft zu leben – welche Qual ! Aber außerhalb der
Gesellschaft leben – welche Katastrophe.“
Und
Geldnot war der große Treiber in Wildes gesellschaftlichem Leben, er
heiratete aus Geldnot, er schrieb Dramen für die Publikumskasse und
den Dorian Gray als Fortsetzungsroman – gutmütig wie er war, wurde
er zudem auch schamlos ausgenutzt, nicht zuletzt von seiner
Lebensliebe Lord Douglas, Bosie, der sein weniges Geld noch auf
Oscars Sterbebett durchbrachte.
Zu
den beiden großen Wendepunkten seines Lebens schrieb Wilde: „Ich
möchte dahin kommen, schlicht und ohne Heuchelei sagen zu können,
dass es in meinem Leben zwei große Wendepunkte gegeben hat: als mein
Vater mich nach Oxford und als die Gesellschaft mich ins Gefängnis
schickte.“
Oscar
Wildes kometenhafter gesellschaftlicher Aufstieg durch seinen
genialen aphoristischen Auftritt sollte durch den Prozess, den er
selbst gegen den Vater seines Freundes Lord Alfred Douglas
angestrengt hatte und der sich letztlich gegen ihn selbst wendete in
der tragischen Katastrophe seines Lebens enden. Nach zwei Jahren im
Zuchthaus, zuletzt in Reading, war er ein gebrochener Mann, der
gefallen nach Frankreich fliehen musste, wo er bereits 1900 mit 46
Jahren verstarb.
London
war ein Tollhaus, als Oscar Wilde verhaftet wurde, so schrieb Frank
Harris: „Wildes Verhaftung gab das Signal für eine Orgie
spießbürgerlicher Gehässigkeit, wie London sie noch nie erlebt
hatte. Das puritanische Bürgertum, das Wilde immer mit Abneigung als
Künstler und intellektuellen Spötter, als bloßen Schmarotzer der
Aristokratie betrachtet hatte, ließ nun seinem Abscheu und seiner
Verachtung freien Lauf, und jeder versuchte, seinen Nachbarn in
Bekundungen des Ekels und des Hasses zu übertrumpfen.“ Wilde
monierte auch prophetisch: „Die Gesellschaft ist bereit, dem
Verbrecher zu verzeihen, dem Träumer nicht.“
Alfred
Kerr schrieb in diesem Kontext richtig: „Seine langsame Hinrichtung
bleibt der letzte greifbare Akt des Mittelalters.“ Wildes Vita
hatte die Grandezza von einer griechischen Tragödie oder einer
italienischen Oper und daraus schöpfte er sein aphoristisches
Lebenswerk: „Ich habe mein ganzes Genie in mein Leben getan; in
mein Werk nur mein Talent.“
Wildes
aphoristischer Punch und seine geschliffenen Pointen fallen immer
wieder als Reaktion auf seine schicksalhaften Verwicklungen ins Auge,
Aphorismen, die einzeln für sich stehen, gibt es aber nur in
Journalen seiner Zeit, nicht als Buchausgabe. Heute gibt es diverse
Anthologien mit Wildes Sentenzen aus seinen Theaterstücken, dem
Dorian Gray und seinen Briefen, man sollte aber immer wieder auf ein
Neues wie ein Perlentaucher ins Gesamtwerk, ins Lebensgesamtkunstwerk
Oscar Wildes, hineinspringen und wird dafür reichlich belohnt.
Richard
Ellmann schrieb in seiner Biographie: „Oscar Wilde gehört nicht zu
den Schriftstellern, die mit dem Wandel des Jahrhunderts ihre
Bedeutung verlieren. Wilde ist einer von uns“ – das stimmt zwar,
was Wildes Aktualität, radikale Offenheit und frische Prosa angeht -
aber es war auch das Wir seiner Zeit, dass dem Paradiesvogel Wilde
gestutzt und schwerer verwundet hat als alle seine Leidenschaften -
insofern war der Dandy Wilde als einsamer Eremit Nietzsche spätestens
im Gefängnis zu Reading so nahe, wie es Thomas Mann formuliert hat,
Oscar Wilde wurde von der Gesellschaft, die er wie die Luft zum Atmen
brauchte, vernichtet, das Wir Ellmanns ist deshalb eine Hochstapelei
– dieses Metier aber beherrschte Oscar Wilde als kompletter
Aphoristiker deutlich besser. Komplett, weil er alle Register der
Gattung beherrschte und hierbei spielen seine nüchternen und
präzisen Briefe als authentisches Korrektiv zu seinem aphoristischen
Auftritt, seinem theatralischen Rollenspiel als Künstler in einer
argwöhnischen Gesellschaft und seiner geschliffenen Kunstprosa eine
entscheidende Rolle.
Abschließend
eine Auswahl von Oscar Wildes Aphorismen - vom lebenden Bonmot, vom
fleischgewordenen Aphorismus, vom glänzenden Redner und
scharfsinnigen Spötter, der immer wieder neue Perspektiven
eröffnete, der als Meister der Selbstinszenierung virtuos seine
Originalität feierte und die Welt auf den Kopf stellte, weil er sie
als blendender Connaisseur erkannte: „Wir sind alle in der Gosse,
aber manche von uns sehen die Sterne“ :
Ich
mag keine Prinzipien, ich bevorzuge Vorurteile.
Ich
reise nie ohne Tagebuch. Man sollte immer etwas Aufregendes zu lesen
bei sich haben.
Manche
Männer, von denen man denkt, sie seien schon lange tot, sind bloß
verheiratet.
Arbeit
ist der Fluch der trinkenden Klassen.
Gute
Ratschläge gebe ich immer weiter. Es ist das Einzige, was man damit
anfangen kann.
Das
Stück war ein großer Erfolg. Nur das Publikum ist durchgefallen.
Ich
bin durchaus nicht zynisch, ich habe nur Erfahrung – das ist so
ziemlich dasselbe.
Der
einzige Weg, eine Versuchung loszuwerden, ist, ihr nachzugeben.
Sich
selbst zu überraschen ist, was das Leben lebenswert macht.
Großzügigkeit
ist das Wesen der Freundschaft.
Die
Zigarette ist das vollendete Urbild des Genusses. Sie ist köstlich
und lässt uns unbefriedigt.
Weiblichkeit
ist die Eigenschaft, die ich an Frauen am meisten schätze.