["Naht", Michelle Schneider (2019)]
Now
deep in ocean sunk the lamp of light,
And drew behind the cloudy vale of night.
And drew behind the cloudy vale of night.
[Homer]
Auch
nichts
ist
ein Wort,
das
nicht
nichts
ist.
["Gedanken Los 9", Jutta
Riedel-Henck (2007)]
Narben
Auf
dem Speicher seines Gebäudes lagerte er all jene Kronleuchter,
Stühle, Regale und ungeöffneten Kisten aus fremden und eigenen
Beständen, die er jederzeit wieder nutzbar zu machen verstand. Mit
überlegenem Verstand waren all jene Dinge, die er schlicht als
unzählig einstufte, vor dem Einbruch der Jahreszeiten und dem ihnen
wesentlichen Wandel des Klimas zu bewahren. So galt es den
Schornstein zu isolieren, die Ziegel gegebenenfalls zu erneuern, die
Regenrinnen zu reinigen, Laub und Moos zu entfernen, kurz, das
Gebäude abzudichten.
Sobald
es die Witterung des Frühjahrs erlaubte, schärfte sich sein Blick
für die unzähligen Dinge auf dem Speicher; auch der Raum wirkte
jetzt weiter und offener. Besonders der Anordnung in einem äußerlich
gut erhaltenen Puppenhäuschen aus unbehandeltem Holz galt seine
Aufmerksamkeit an einem solchen Tag. In einem einzigen, liebevoll
hergerichteten Zimmer, dem Schlafgemach, war die Zeit buchstäblich
stehen- und liegengeblieben. Während die Ordnung der Dinge in allen
anderen Räumen nicht mehr nachvollziehbar war, hatte man mit
sorgfältig aufgetragenem Leim eine Szenerie in jenem Zimmer
eingefroren, als habe man das Einst und Jetzt auf ewig miteinander
verbinden wollen.
Die
hochgereckten, hölzernen Ärmchen der Hausherrin in der
Eingangstüre, deren Beflissenheit durch ein Kopftuch, einen
winzigen, kleinkarierten Stofffetzen, unterstrichen wurde, zeigten
dem Betrachter eine Empörung, die dem Mädchen, das man unter einer
bauschigen Federdecke eingeleimt hatte, unmöglich entgehen konnte.
Das stumme Entsetzen der Hausherrin stand der herrischen Puppe
vermittels weniger Einkerbungen ins Gesicht geschrieben. Von dem
Mädchen ragten nur die entblößten Füße und das lange, glatte,
brünette Haar unter der Decke heraus; ihr Gesicht presste es in ein
winziges Kissen. Oberhalb des linken Knöchels des Mädchens fiel dem
Betrachter eine besonders tiefe Einkerbung auf; eine Narbe
vielleicht. Um das Bett herum waren wellige, teils zerknitterte, kaum
lesbar beschriftete Zettelchen befestigt worden, deren Unordnung
möglicherweise Anlass für die Aufregung sein mochten. Auch aus der
oberen Schublade einer schlichten Kommode, dem einzigen weiteren
Möbelstück, das in dem Häuschen noch enthalten war, quollen
derartige Zettelchen in großer Menge hervor. Entziffern ließen sich
vereinzelt Vorsilben, unter denen be- und vor- überwogen.
Gewiss
war das Inventar des Häuschens nach einem oder sogar mehreren
Umzügen heillos umhergeworfen worden; manches mochte auch
verlorengegangen sein oder sich in einer der vielen Kisten befinden.
Zugegebenermaßen hatte er aber auch den Blick für weitere
Einzelheiten in dem Gebäude verloren, da ihn der Anblick des
sonderbaren Geschehens allzu sehr in seinen Bann zog. Nur mühsam
widerstand er der Versuchung, in das Geschehen einzugreifen, indem er
etwa das Haar des Mädchens streifte oder einen Blick auf das in dem
Kissen verborgene Gesicht zu werfen versuchte. Er widerstand selbst
der Verlockung, die Narbe des Mädchens sanft zu berühren, mit ihr
in Verbindung zu treten, was er indessen erst bemerkte, als er seinen
Zeigefinger auf halbem Wege zurückzog; ein zarter Geruch von kostbarem
Nardenöl blieb dennoch lange an ihm haften. [Liana
Helas]
["Narr", Michelle Schneider (2019)]
Nasen
Was
eigentlich erlaubten sich unsere Eltern, ihre Existenz in uns eine
mehr oder weniger glückliche oder traurige Fortsetzung finden zu
lassen? Giacomo hatte italienische Eltern, einen Gastarbeitervater,
was ihn als Angehörigen der unteren Schichten auswies. Unweigerlich
hatte er es einmal besser gehabt, nachdem es schlechter schwerlich
hatte werden können, als in der kalabrischen Heimat seiner Vorväter.
Schlecht war es auch Giacomos Mutter nicht ergangen, obwohl man ihr
nichts Gutes prophezeite, sich mit einem Italiener einzulassen. Wie
schlecht man die Italiener einst behandelte, daran wollte sich
niemand mehr erinnern, gut integriert wie sie inzwischen seien, sah
man einmal davon ab, dass es die Mafia und so weiter jedenfalls
vorher hier in Deutschland nicht gegeben hatte. Auch in anderen
Ländern sollte es Mafias geben, Dinge, von denen man nichts wusste,
die Mauer hatte sehr wohl ihre zwei Seiten gehabt!
Sozialer
Deklassiertheit war Giacomo sich nicht bewusst, er sah sich durchaus
als Durchschnittsmensch, auch mit dem Ausdruck italienische
Wurzeln
konnte er nichts anfangen. Der war erfunden worden für Leute, deren
Probleme seine nicht waren.
Eine
gewaltige Nase erbte man von seinen Eltern, in Giacomos Fall
gnädigerweise vom Vater, selber männlicher Erbe sollte es so
schlimm damit nicht sein, zumal Giacomo von etwas größerer Statur
war als seine südländischen Vorfahren. Auf Familienfotos aus der
alten Heimat stach der Vater großnasig einsam heraus, Mutmaßungen
über eine Verfehlung der Großmutter wurden allerdings nie offen
geäußert.
An
sich sollte Giacomo es mit seiner furchtbar großen Nase so schwer
nicht gehabt haben, auch nicht, als sein Haar, das allerdings schon
sehr früh, schütter zu werden begann. Mit einem italienischen Namen
wurde man auch nicht gefragt, was neuerdings verpönt war, woher man
eigentlich
sei. Mehr oder weniger war das ohnehin allen klar und interessierte
auch keinen. Eine übergroße Nase wurde einfach bemerkt, und das
Gegenüber stand vor der Aufgabe, wie es den Schock, den das Monstrum
ihm verursachte, am geschicktesten verbergen sollte. Giacomo
erinnerte sich an ein einziges Mal, wo ein leicht angetrunkenes
Exemplar einem unbezwingbaren Lachanfall erlag. Auch kleine Kinder
wollten ihrer Mama im Vorbeigehen unbedingt die riesige Nase zeigen
und mussten streng ungewendeten Blickes weitergezogen werden.
Wie
alle Gehandicapten hatte Giacomo die größten Probleme mit
Leidensgenossen, in diesem Fall mit einer Leidensgenossin, deren
Großnasigkeit furchtbaren Ausmaßes ihn überfiel mit der Wucht
eines Anschlages. Diese war nämlich als Saaltochter südländischen
Typs, wie man auch von hinten an der vielleicht echten Schwärze
ihres üppigen Haares sehen konnte, Giacomo deshalb aufgefallen, weil
sie, südländisch klein, pummelig und wie in diesem Falle leider
typisch, unvorteilhaft gekleidet, so durchaus vornübergebeugt mit
ihrem kleinen Kaffeetablett durch die Halle dieser nachmittäglichen
Unterhaltungsveranstaltung einer Senioreneinrichtung geschritten war.
Halb wollte Giacomo sie bedauern angesichts der Ungeschicktheit, mit
der sie sich präsentierte, andererseits, warum zog sie sich auch so
dämlich an, mit hautengen Lederhosen über den üblichen
Serviererinnentretern in weißen Söckchen! Da wandte sie sich
unvermittelt zu Giacomo um, der den Grund für ihr ganzes
erbärmliches Gebeugtsein wie einen gewaltigen Schlag darin erkannte,
dass diese Leidensschwester in ihrem Gesicht, grell geschminkt unter
übertriebener Frisur, eine ebensolche Nase trug wie er, einen
furchtbaren Riecher, der den Kopf eines Menschen nach unten zog, fast
auf die Höhe seines eigenen Gesichts, der er ja saß. Man hatte also
ihm, um ihn zu foppen, unter allen Saaltöchtern diese geschickt, an
seinen Tisch um ihn nach seinem Kaffeewunsch zu fragen! Und
keineswegs beschämt, sondern mit dem Anflug des Triumphes, blickte
sie ihn beinahe von unten, wenngleich stehend, aber eben krumm unter
der Last der furchtbaren Nase an. Einen Kaffee bestätigte sie die
Bestellung, die er, empört über diese Begegnung, nicht hatte
aussprechen können, und sah mit einem raschen Blick zu der von
Giacomo mitgebrachten Blondine, die die Szene in der Weise der
unwiderlegbaren Intuition erfasste, was Giacomo, selber hellsichtig,
wie man in solchen Augenblicken ist, nicht entging.
Natürlich
sprach man nicht über die Angelegenheit. [B. Karl Decker]
["Nachtlied", Michelle Schneider (2019)]
N
wie Narkose (Für A. und J.)
Wann
immer das Flimmern vor Eveys Auge nachließ, fiel sie in einen ihr
angenehmen Zustand der Erstarrung. Hinter ihrem Auge, genau genommen
dem linken, flimmerten die Bilder weiter, Billionen von Bildern,
blutige Bilder aus Nachrichten, Nachrichten des Tages, ihre Nächte
als Prostituierte, den thermonuklearen Konflikt, verheißungsvollen
Nachrichten aus einer nahen Vorvergangenheit, Nachrichten aus einer
vielversprechenden Zeit versprochener Liebe und verdichteter
Nachfragen. Lebhaft hatte ihr einst ein Fremder nachträglich
anvertraut, die Ohnmacht der Dunkelheit lasse ihn unüberwindbar
zurück.
In
das Flimmern hinter ihrem Auge mischten sich Bilder von der
Pulververschwörung des legendären Sprengstoffexperten, dessen Mut
und Entschlossenheit, nicht dessen Konfession, sie sich in Momenten
der Erstarrung vor Augen führte, mit den profitablen Visionen der
Wachowskis wider eine zensierte Medienwelt, einen autokratischen
Staat und für einen blutrünstigen Romantiker nach dem altbewährten
Muster des Rächers der Enterbten. Die Sprengung der »Houses
of Parliament«
- und all der anderen Häuser ebenso - blieb bis auf weiteres eine
unterhaltsame Vision, für die man auf roten Teppichen und
Sektempfängen Auszeichnungen
entgegenlächelte. Für mindestens eine weitere Generation befriedete
das kostspielige Theater das befangene Unbehagen einander gleichender Verbrauchter, die sich frei wähnten, der illusionären Dimension eines verpixelten Strukturwandels zu folgen.
In
ihrer zunehmenden Erstarrung wand sie sich nochmals in den
Stromebenen ihrer verblassenden Erinnerung, von wo aus ihr erneut der
fremde Kavalier seine trunkenen Schwüre zurief, deren sehnsüchtige
Nachricht vom Rauschen der Wogen nach und nach übertönt wurde.In ihrer Erstarrung gab es keinen Raum mehr für Schwüre und Beschützer, keinen Schutz mehr vor den Geschwüren und Geschwülsten, die einzig und allein die Umstände zwischen den Zeiten zu verantworten hatten. Die Erstarrung, dachte sie, als sie das Flimmern schließlich kaum noch wahrnahm, es allenfalls noch als vergangene Erregung erinnerte, würde sie fast bis zur Unantastbarkeit vor jeder nächsten Nachricht festigen.
Endlich sah sie sich erneut an der Spitze eines Krähenschwarms, der als Ganzes ein auf dem Kopf stehendes V bildete. [Liana Helas]
["Nimbus", Michelle Schneider (2019)]
Wenn
sich in einem Aufsatz Wortwiederholungen befinden und man bemerkt bei
dem Versuch, sie zu korrigieren, dass sie so angemessen sind und dass
dies den Aufsatz verderben würde, so ist das ein Kennzeichen dafür,
dass man sie stehen lassen muss, und es ist Sache der Missgunst, die
blind ist, nicht zu bemerken, dass solche Wiederholungen an dieser
Stelle nicht falsch sind; denn es gibt keine allgemeingültige Regel.
[Blaise Pascal (1623 -1662)]
Nuance
Das
kolumnistische Manifest ruft die Kolumnisten auf den Plan, und zwar
nicht sich, sondern ihre Stimme zu erheben. Am besten gleich
mehrstimmig, weshalb damit zu rechnen ist, dass jedes Wort vor allem
noch etwas anderes meint. Fehler und Missverständnisse liegen völlig
auf der Linie der Absichten des Kolumnisten. Die Grammatik muss ihren
Mechanismus hergeben für die Kapriolen des kolumnistischen
Eigensinnes, Stammform hin oder her: reifen, rief, gerufen;
schreiben, schrieb, verschroben. Stehende Wendungen werden zu
fließenden: Einigkeit und Recht und Eigentum; am Anfang war der Ort,
das Örtchen? Wörtlich natürlich Wort, wortwörtlich, tattätlich,
tagtäglich, auf Heller und Pfennig, tatsächlich. Blüh im Glanze
dieses Glückes, blühen, blomm, geblommen; bleuen, bleute, geblüht.
Soweit
einige technische Hinweise. Nun zum Thema. Der Flüchtling nämlich,
insbesondere der touristische, überweise milliardenschwer deutsches
Eigentum ins Ausland, nach Syrien beispielsweise weniger, weil's da
keinen mehr gibt, der's empfangen könnte, dann eben in den Libanon.
Nicht auszudenken, der in den Libanon Geflüchtete, gelt, nehmen,
nahm, genehmigt, nähme, nicht wahr? Das darf doch nicht wahr sein!
Ruhig, ruhig bleiben, nähme das Geld, gelt? Und führe damit, was?
Ist nicht wahr! Ja, wieso denn nicht! Ruhig, Herrgottnochmal, nähme
das Geld, gelt, und führe damit, ich weiß, dass du's schon weißt,
wohin der beispielsweise fahren könnte. Herrje, und nun ist
Parteitag in Augsburg, und alle Reden sind schon geschrieben, und die
Kolumnen der linksfeministischen Lügenpresse liest man ja nicht! Das
wäre eine Rede geworden! Verbieten muss man es! Sozialhilfe muss in
Deutschland ausgegeben werden. Schluss mit Sozialbetrug! Der
Sozialempfänger als Eigentümer ist verpflichtet und hat eine solche
gegenüber der Bevölkerung, in die er sich mit seinem Sozialgeld zu
integrieren hat.
Der
Kolumnist auf seiner Säule blickt aus kolumnistischer Höhe in die
Tiefe schwarzer Herzen, in die tiefste Spalte härtesten Felses, und
sieht und sah, gesehen; gescheit, geschah, geschehen. [B. Karl
Decker]
Als
Sterbliche ängstigt uns alles;
doch
alles begehren wir,
als
ob wir unsterblich wären.
[François
VI. Duc de La Rochefoucauld (1613 - 1680)]
["Nexus", Michelle Schneider (2019)]
MOUTH:
… out … into this world … this world … tiny
little
thing … before its time … in a godfor - … what?
… girl?
… yes … tiny little girl … into this … out into
this
… before her time … godforsaken hole called …
called ... no matter ... ["Not
I", Samuel Beckett (1973)]
Nicht dich
Du
lässt mich hängen, falls dir das nicht bewusst ist! Liebe war für
mich, sich einem Menschen blind anzuvertrauen. Ich habe mir dazu,
ehrlich gesagt, nicht dich, aber den Augenblick ausgesucht, in dem
ich das tun wollte. "Wann, wenn nicht jetzt?" war einer der
Sprüche, die mir bisher nur spaßeshalber durch den Kopf
gingen, gewissermaßen zur Rechtfertigung, beispielsweise, wenn ich
mir etwas kaufte, was man sich eigentlich nicht so recht erlauben
konnte. "Jazz oder nie" stand auf dem Plakat an der Tür
des Musikgeschäfts, die Gitarre habe ich noch, es ist dann doch bei
den paar Klampfenakkorden geblieben, die ich schon immer konnte.
Theoretisch konnte es jeder beliebige Augenblick sein, das worauf es
ankam, das war sich zu entscheiden. Du stehst also auf dem
Dreimeterbrett deines Lebens, du kannst noch ein wenig so tun, als
wolltest du die schöne Aussicht genießen, aber raufgeklettert bist
du, um zu springen. Ob dir jemand dabei zuschaut, ist eigentlich
egal. Natürlich bist du immer dein eigener Zuschauer, was die Sache
eindeutig schlimmer macht, wer ist schon ein echt guter Kumpel sich
selber gegenüber? In dem Sinne kann ich sagen, es war der Zeitpunkt
gekommen, den entscheidenden Schritt zu tun, nicht weil er sich
konsequenterweise aus so und so vielen Voraussetzungen ergab, sondern
weil entschieden werden musste.
Du
kamst diese Drehtür heraus, jemand anderes hätte sich vielleicht
eine Zahlenvorgabe gemacht, zum Beispiel dreizehn als kleine
Auflehnung gegen den Aberglauben. Dann wärst du die dreizehnte
Person gewesen, die aus der Drehtür gekommen wäre. Aber bei wem
hätte man da angefangen zu zählen? Ich stand also mit klopfendem
Herzen da, weil ich entscheiden musste, auf wen meine Wahl fallen
würde. Ich weiß nicht mehr, ob ich geschummelt habe, fände das
aber normal. Hauptsächlich habe ich nicht geschummelt, also noch
einmal tief Luft geholt, die nächste Person würde es sein, klar,
falls es eine Frau wäre. Es kam dann auch prompt ein Mann, aber dann
direkt danach, das warst du.
Worin
die Botschaft steckte, die erste, die du mir sandtest, schwer zu
sagen: Im Grunde genommen, dass du nicht der Mann warst, der vor dir
durch die Drehtür gegangen ist. Du hast ihn gesehen, ebenso wie ich,
musstest ihn sehen, und wenn es aus dem Grund war, ihm nicht auf die
Hacken zu treten. Diese Türen drehen sich immer zu langsam. Sie
sollen die Leute ausspucken, einen nach dem anderen, passend zu der
Fließbandware, die sie drinnen gekauft oder bloß angeschaut haben.
Kein Türenöffnen und Schließen, womöglich mit einer alten
Ladenglocke, man kennt das, wie umständlich diese Türen zu
handhaben waren; das Glas darin schepperte, unbegreiflich für den
Mann vom Laden, was die Leute mit Türen für Schwierigkeiten haben
konnten. Aber dann war man drinnen im Laden, so leicht konnte man,
ohne etwas gekauft zu haben, nicht mehr davon. Darum die Drehtüren,
es ist ein Kommen und Gehen, du hättest dich also nicht mit einer
klemmenden, scheppernden Ladentür bei mir bemerkbar gemacht, wäre
ich der Kaufmann gewesen, oder dass wir uns höflich oder wortlos die
Klinke in die Hand gegeben hätten. Dein Signal an mich war ein ganz
und gar heutiges, nämlich dass du im Strom des Alltäglichen aus
dieser Tür flossest, nach dem Mann, der statt deiner nicht in Frage
kam.
Ich
wusste nun, was ich wissen musste, beendete noch an demselben Tag
meine Beziehung zu Ulrike. Ob eine andere im Spiel sei? Ja. - Wie
lange das schon so gehe? Es sei sozusagen der allererste Moment für
dieses Geständnis. Wie ich mir sicher sein könne? Was, ich hätte
die betreffende Person noch nicht einmal kennengelernt? Das sei ja
wohl vollkommen bescheuert, und in dem Falle sei sie es, die die
Beziehung beende. Was für ein Idiot sie sei mit jemandem wie mir ...
und so weiter.
Da
ich bei Ulrike wohnte, war die Sache sozusagen im Handumdrehen
erledigt. Ich hasse dramatische Szenen, drehte mich auch nicht weiter
um, als, dramatisch, was ich, wie gesagt, hasse, mir noch eine eilig
vollgestopfte Plastiktüte mit schmutziger Wäsche mit einem Tritt,
ich weiß nicht, die Treppe nachgepurzelt kam. Der Griff riss auch
gleich aus, man steht immer ziemlich blöd da, wenn einem die
Einkaufstüte reißt, weshalb ich das Bündel kurzerhand beim Eingang
in die Mülltonne stopfte und jetzt sozusagen alles hinter mir
gelassen hatte. Mir war leicht zu Mute, zumal ich dachte, dass du dir
damit ganz schön was aufgeladen hast. Aber du wusstest davon nichts
und erfährst es ja eigentlich erst in diesem Augenblick,
vorausgesetzt, dass du zu unseren wenigen Lesern gehörst, die ich
mir mit meinem Freund weltweit teile. Es muss schön sein, aus einem
Stück Literatur zu erfahren, dass man geliebt wird und dass ein
anderer Mensch, noch dazu der Autor dieser Zeilen, sein Schicksal in
deine Hände gelegt hat. Aber bleiben wir bei deinen Signalen.
Es
hätte keinen Sinn ergeben, dir sozusagen ein weiteres Mal an
derselben Stelle aufzulauern. Mag sein, dass du tatsächlich täglich,
oder von mir aus montäglich, dienstäglich oder sonst an einem Tag
zu einer bestimmten Zeit aus dieser Drehtür kommst. Ich hatte ja auf
ein weiteres Zeichen deinerseits zu warten. Obdachlos, wie ich jetzt
war, konnte es die Münze sein, die du mir in den Plastikbecher
warfst, den ich in der Fußgängerzone vor mir hingestellt hatte. Die
Leute gaben mir fast nichts, nach ein paar Tagen sah man noch nicht
abgerissen genug aus, ein Dreitagebart gehörte schon seit geraumer
Zeit gewissermaßen zum guten Ton, kaum ein Minister, der nicht
dreitagebärtig ins Fernsehen kam, Habeck zum Beispiel, aber auch
schon manche CDUler.
Nachrichten von wirklicher Bedeutung wurden nicht in x-beliebigem Format gesendet, das war mir von jeher klar. Oft kamen Boten ins Spiel, man wusste das, trotzdem dauerte es ein paar Tage, bis ich darauf kam, dass Elvira mir von dir geschickt worden war. Sie saß in der Fußgängerzone mir gegenüber und der Bogen, den die Passanten um mich machten, führte unfehlbar an ihr und ihrem Kässchen vorbei, ungleich professioneller auch dieses als mein armseliger Wegwerfbecher. Es war ein hübsches kleines Körbchen, und weil Ostern war, saß ein kleines Schokoladenosterhäschen darin. Bettlerin zu sein, das sah man heutzutage mit Realitätssinn. Da gab es Leute, die hatten mal studiert, dann irgendein persönliches Drama, Stelle verloren, Partner verloren, Wohnung verloren. Du konntest schneller auf der Straße landen, als du kucken kannst. Die Leute wussten das, konnten natürlich nichts daran ändern und warfen Elvira was in ihr Körbchen, wohlgemerkt in ihres. In meinem lagen die paar Münzen, die ich selber reingetan hatte; wie man wusste, wenn es ganz leer war, stellte das sozusagen eine Hemmschwelle für die Passanten dar. Es blieb aber auch so, gestern den ganzen Tag. Elvira dagegen machte jetzt schon um Mittag Schicht. Beim Weggehen ließ sie mir eine halbe Handvoll Münzen in mein Becherchen rieseln. Das Zettelchen hatte ich erst gar nicht bemerkt. "Ich heiß' übrigens Elvira", sagte sie im Gehen, "und du machst es eigentlich gar nicht mal so übel. Der Zettel is' nich' von mir, nicht dass du denkst."
Jetzt sah ich auch dein Zettelchen, verdammt ... also doch noch! - Man musste schon Nerven haben. [B. Karl Decker]
Nachrichten von wirklicher Bedeutung wurden nicht in x-beliebigem Format gesendet, das war mir von jeher klar. Oft kamen Boten ins Spiel, man wusste das, trotzdem dauerte es ein paar Tage, bis ich darauf kam, dass Elvira mir von dir geschickt worden war. Sie saß in der Fußgängerzone mir gegenüber und der Bogen, den die Passanten um mich machten, führte unfehlbar an ihr und ihrem Kässchen vorbei, ungleich professioneller auch dieses als mein armseliger Wegwerfbecher. Es war ein hübsches kleines Körbchen, und weil Ostern war, saß ein kleines Schokoladenosterhäschen darin. Bettlerin zu sein, das sah man heutzutage mit Realitätssinn. Da gab es Leute, die hatten mal studiert, dann irgendein persönliches Drama, Stelle verloren, Partner verloren, Wohnung verloren. Du konntest schneller auf der Straße landen, als du kucken kannst. Die Leute wussten das, konnten natürlich nichts daran ändern und warfen Elvira was in ihr Körbchen, wohlgemerkt in ihres. In meinem lagen die paar Münzen, die ich selber reingetan hatte; wie man wusste, wenn es ganz leer war, stellte das sozusagen eine Hemmschwelle für die Passanten dar. Es blieb aber auch so, gestern den ganzen Tag. Elvira dagegen machte jetzt schon um Mittag Schicht. Beim Weggehen ließ sie mir eine halbe Handvoll Münzen in mein Becherchen rieseln. Das Zettelchen hatte ich erst gar nicht bemerkt. "Ich heiß' übrigens Elvira", sagte sie im Gehen, "und du machst es eigentlich gar nicht mal so übel. Der Zettel is' nich' von mir, nicht dass du denkst."
Jetzt sah ich auch dein Zettelchen, verdammt ... also doch noch! - Man musste schon Nerven haben. [B. Karl Decker]
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen