[Herbert James Draper, "Ulysses and the Sirens" (1909)]
Versuch
über den »Helden«
Glory!
Glory! Hallelujah!
Glory!
Glory! Hallelujah!
Glory!
Glory! Hallelujah!
His truth is marching on.
His truth is marching on.
[Julia
Ward Howe / Roy Ringwald / William Steffe]
We
don't need another hero,
We don't need to know the way home
All we want is life beyond the Thunderdome
We don't need to know the way home
All we want is life beyond the Thunderdome
[Graham
Hamilton Lyle / Terry Britten]
Dass
Mithra nicht Mensch geworden war wie der Gekreuzigte, hat ihn wohl
von vornherein dem jüdischen Heiland unterlegen sein lassen.
Vielleicht – so könnte man einen Augenblick, den Blick auf gewisse
mythologische Analogien gerichtet, denken – hätte der griechische
Herakles, der ja ebenfalls der Sohn eines Gottes und eines
Menschweibes war, der als Knecht diente und die niedrigsten Arbeiten
verrichtete und der sich, wie der Gekreuzigte, selbst opferte um
darauf zu seinem Vater im Himmel zurückzukehren, eine solche Rolle
übernehmen können. Wurde er doch nicht nur als Heros gefeiert,
sondern in manchen Gegenden Griechenlands als Gott verehrt! Aber
Herakles stand nicht im Brennpunkt der antiken Welt, wo Morgen- und
Abendland sich berührten, sondern am Rande, irgendwo in Attika oder
Böotien. Er erlebte nicht mehr die hohe Zeit der Jahrhunderte vor
und nach Beginn unserer Ära, da, zur Zeit Alexanders des Großen und
im Römerreich, die Religionen, die Kulturen, das Denken aus ihren
Grenzen traten, ineinanderflossen, sich befruchteten, wie es der
Gekreuzigte erlebte. Er war zu früh, er verkam irgendwo am Wegrand
der Weltgeschichte. Sie ergriff ihn nicht, indem sie ihn zum Weltgott
erhob, seinen lokalen Kult zur Weltreligion erweiterte.
Übrigens
wäre seine ethische Substanz, trotz seiner ungeheuerlichen
Selbstopferung, wohl zu gering für diese Rolle gewesen; er war ja
weder für die Menschen noch für eine Idee gestorben, sondern um die
Qualen zu beenden, die ihm das von seinem Weibe geschenkte,
vergiftete Nesselhemd bereitete.
[Willy Piehler]
Der
Klang des Heldenbegriffs reicht, spitzt man die Ohren, weit zurück
in die Wiege der Zivilisationen und ihrer Kulturen. Die Natur
zeichnet sich indessen nicht durch eine willentliche Verherrlichung
ihrer zahllosen Schöpfungen aus. Bis hin zur Erschöpfung geht
hingegen eine ihrer sonderbarsten Erscheinungsformen über sich
selbst hinaus. Im Fabelhaften flackert noch die Teilhabe des
selbsternannten Menschen an seiner Herkunft aus dem Reich der Natur
auf und die Ähnlichkeiten mit anderen Erscheinungsformen der
lebensspendenden Natur stechen sofort ins Auge: Als mörderisches
Raubtier ähnelt er seinen Artverwandten, den sogenannten Tieren; aus
bloßem Drang zur Benennung durch ihn selbst so bezeichnet, reißt,
lyncht, verschlingt und triumphiert er über seine Beute aus der
Vielzahl des jeweils Unterlegenen. Überlegenheit signalisiert das
Brüllen des Löwen, den er achtet, dessen Macht sich ihm eingebrannt
hat, so wie das Reh den Menschen instinktiv zu meiden versteht. Das
Brüllen des Siegers über den Besiegten imitiert jedes Wesen, das
seine Überlegenheit zu demonstrieren weiß.
Bisweilen
verschwindet das Monstrum Mensch aus dem Blickfeld, stets aber
erweckt die Selbstbehauptungsmaschine Mensch ein langanhaltendes
Schaudern, wenn sie, in welcher Form auch immer, zur Tat schreitet.
Seine Verwandtschaft mit dem Affen zeigt sich, wenn das besagte Wesen
die Fassung verliert, die Zähne fletscht, sich fortpflanzt oder über
einen Nebenbuhler herfällt. Dann wiederum erregt es Aufmerksamkeit
durch seine Nachahmung kreischender Vögel. Im despektierlichen
Ausdruck des Weiberhelden steckt mehr als ein Fünkchen Wahrheit.
Sind
es nicht glückselige Zeiten, in denen der Heros wie ein
blutrünstiges Relikt aus den finstersten Zeiten der Geschichte
wirken muss? Kaum, möchte man glauben, gäbe es eine Ära, in der
ein sagenumwobener Heros weniger zu suchen hätte als in unserer
unterkühlten, digitalen Epoche, die allenfalls Geschäftsleuten im
Bankwesen oder der IT-Branche sowie Athletinnen und Athleten zu
unermesslichem Ruhm verhilft.
Siegfried,
der legendäre Drachentöter, blieb ähnlich wie die allermeisten
seiner Vor- und Nachfahren, vor allem durch sein Scheitern in der
Erinnerung der Nachgeborenen. Im Gegensatz zu namhaften Ahnen wie
Herakles und Odysseus, dem Namenlosen, übertrieb es der nordische
Held mit seinem Falschspiel insbesondere dem anderen Geschlecht
gegenüber. Sein Versuch die tapfere Brünhild zu übertölpeln wird
ihm schließlich zum tödlichen Verhängnis, sodass die Verachtung
des weiblichen Stolzes sein Schicksal gewissermaßen besiegelt und
ihn als Weiberhelden disqualifiziert. Der listenreiche Odysseus
hingegen lässt sich weder bezirzen noch beeindrucken oder betören.
Den zumindest in der Fassung Homers zwei ebenfalls namenlosen Sirenen
lassen sich bis zum heutigen Tag ohne weiteres zauberhaft klingende
Namen andichten; ob Ligeia oder Lady Gaga, man darf vermuten, dass es
sich um äußerst verführerische Nervensägen gehandelt haben muss,
die seit jeher um die volle Aufmerksamkeit der Konsumhelden buhlen.
Entscheidend aber ist, dass der Namenlose dem Rat der Kirke folgte
und nur so weiteren Irrungen zu widerstehen wusste, um letztlich das
Familienglück in der ersehnten Heimat zu wählen, wo das
wiedervereinte Paar seitdem mit eher rührseligen Nachrichten von
sich reden macht. „Paar rettet Eichhorn-Baby – und zieht es
groß“, lautete erst kürzlich eine Schlagzeile. Penny, so heißt
es, habe ihren Pantoffelhelden nach und nach derart verzärtelt, dass
man Ulis legendären Ruhm inzwischen nahezu vergessen hatte. Immerhin
ist Penny geschäftstüchtig genug, um immer wieder Kapital aus den
phantastischen Geschichten ihres Gatten zu schlagen. Sowohl der
Dichter aus Dublin, dessen Version den realen Verhältnissen
vermutlich am nächsten kommt, als auch die namhaften Produzenten des
italienischen Monumentalfilms »Ulisse«
beteiligten Penny, was zugegebenermaßen kaum bekannt ist,
stillschweigend an ihrem Umsatz. Die Darstellung des Protagonisten
erinnert im Übrigen eher an die eines Cowboyhelden, was allerdings
auch dem überwiegenden Einsatz des Leinwandhelden im Genre des
Western geschuldet ist.
Bemerkenswert
ist in diesem Zusammenhang vielleicht noch die Tatsache, dass es der
treuen Ehefrau aus Sparta aus unerfindlichen Gründen beinahe gelang,
einen Sonderling aus Prag für eine beträchtliche Zeit zum Schweigen
zu bringen, da dieser mit dem Gedanken spielte, die List ihres Helden
hinsichtlich seiner Begegnung mit den Sirenen als „unzulängliche,
ja kindliche Mittel“ zu entlarven. Erst jetzt beginne sie
allmählich, so wird gesagt, nach mehr als einem Jahrhundert, sich
auch mit dieser Version zu versöhnen, zumal sich die Sirenen
unterdessen nahezu vollständig ins Showbusiness zurückgezogen
haben.
Die
Superhelden der jüngeren Vergangenheit, die Fiktionen von Cervantes
bis Stan Lee, brachten gerade noch übertrieben komische Figuren
hervor, die in ihrem vergeblichen Kampf gegen Maschinen bestenfalls
ein Schmunzeln hinterlassen. Erst im Gegenentwurf zum tragischen
Helden tritt das Lächerliche des Gesamtkonzepts in seiner ganzen
Tragweite hervor und es gilt erneut, das Wachs im rechten Augenblick
aus den Ohren zu entfernen, um jenen Gehör zu verschaffen, die sich
ihrer Taten nie rühmten. Als Gegenentwurf zum ruhmreichen Helden
eignet sich spätestens seit Franz Kafkas Miniaturen vornehmlich ein
Mann namens Sancho Pansa, der sich lediglich durch seine unscheinbare
Eigenschaft als Genosse auszuzeichnen scheint. »Die
Wahrheit über Sancho Pansa«
(1917) wird in zwei Sätzen inmitten des tobenden Weltkrieges
evident. Der Antiheld tritt als ein „freier Mann“ ins Zentrum des
Geschehens und versteht es, jede Form rühmlicher Taten dem „Teufel“
zuzuschreiben. Sancho Pansas Haltung gegenüber den Verrücktheiten
des Helden ist die eines gleichmütigen Beobachters, dem es
schelmenhaft gelingt, durch Literatur, in seinem Fall „Ritter- und
Räuberromane“, den Tatendrang des Teufels, so nennt er seinen
Meister, dergestalt zu entwaffnen, dass dieser wenigstens keinen
ernstlichen Schaden anzurichten vermag. Die freie Stelle des
schelmischen Helden bleibt, wenn nicht aus logischen, so jedenfalls
aus zeitbezogenen Gründen vorerst vakant. [Liana Helas]
gespiegelt: https://systemcrash.wordpress.com/2018/11/23/versuch-ueber-den-helden/
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