Donnerstag, 10. Juni 2021

Bzw. ۲ ۵ ۱ [»Die Schildkrötenleier« von Joachim Werneburg]

 


[»Sandpicture based on Ancient Greek Cycladic Art«, Lorena Kirk-Giannoulis (2020)]




Eine Reise des Ulise


Die Fahrt beginnt an einem kleinen Teich bei Weimar, wo eine schöne alte Weide steht. Der Wind bläst ein fragiles Blatt bis zum Kap Sounion, unweit von Athen. Nach einem kurzen Freiheitskampf gegen die Perser geht es weiter zum Akropolisfelsen, wo Musik der Säulen erklingt. Später, in Olympia, lernt Ulysses im Stadion, daß es beim Wettrennen auch langsamer zugehen kann. Im Dionysos-Tempel, unterhalb der Athener Akropolis, droht Gefahr, daß eine Schildkröte ihren Panzer verliert, Instrumente werden immer gebraucht. In Delphi feiert die Meise mit ihrem Gesang den Sieg über den pythischen Drachen. Und auf der fränkischen Burg, oberhalb von Mystras, nahe Sparta, wird Helena ins dunkle, faustische Mittelalter entführt. Was den Beifall des Nordwinds nicht findet, er greift sich das Weidenblatt-Gefährt mit dem Insassen und bläst es zurück zu dem Teich bei Weimar. [Vorbemerkung des Autors]








Die Schildkrötenleier

 


Attische Landzunge

 

 

1

 

Winde über dem Teich, dein Blick ruht auf dem gebognen,

Ach, von dem Leid, auf der Welle, dem Blatt einer silbrigen Weide.

           

Barke – sie trägt, die schaukelnde, darauf du dich legtest.

Der mit dem Dreizack ist überall, die schnelleren Lüfte,

 

Sonnenstrahl auf dem Boot, wie eine Mondsichel glänzt es,

Immer zu klein ist der See, und sie verlockten, die Wogen.

 

 

2

 

Nordwind greift geschwungenes Blatt, wie eben du hofftest,

Über die Alpen hinweg, geleitet bis zur Ägäis,

 

Schauder befällt deinen Leib – du mußt auch loslassen können,

Mütterliche, die Erde. Hinauf in den helleren Himmel!

 

Atmet ein Größrer dich ein? Du spürst einen anderen Herzschlag.

Attische Landzunge, die freche, gestreckt nach dem Osten.

 

 

3

 

Säulen, die marmornen, für Poseidon, zu kippen, verlockte

Die Beleidigten, die Perser bedrohen die Küste.

 

Mond entsendet, und nicht nur des Meers, ein silbernes Leuchten,

Steckte das Metall, die Kriegskasse, tief in der Erde.

 

Münzen geprägt, wer eben noch träumt, für den Streit um die Freiheit,

Ewig währt er, behauptet sich in eherner Rüstung.

 

 

4

 

Nicht wie die Rebhühner, die sich im Fenchelkraut ducken,

Wenn sie den fremden Krieger, mit Pfeil und Bogen, entdecken:

 

Solln doch mit lautem Flügelschlage, und knarrenden Rufes,

Schießen gegen den Feind, aus einem Bauch die Granaten!

 

Wer für die Schönheit gekämpft, der hofft im weicheren Marmor

Einst seinen Namen zu lesen, im Tempel, der niemals verwittert.





Auf der Akropolis    

 

 

1

 

Aus dem frühesten Himmel, herabgefallen ein Holzblock,

Untere Stadt, geredet wird von meiner Erscheinung,

 

Gut gekleidete Puppe, und nach den Maßen geschneidert,

Wie sie entbietet mein Leib, so weckt ich die Lust der Athener.

 

Ölbaum, er steht auf hohem Felsen, aus heiterem Himmel

Eine Olive auf deinen Kopf, nun kannst du mich sehen.

 

 

2

 

Helm des Vaters auf meinem Haupt, der Mund ist der eigne,

Blitze, geistreiche, wirft er, von mir der Donner der Sprache.

 

Blankes Metall, du blickst in einen bronzenen Spiegel:

Unbehauener Klotz, noch fehln die Schläge des Meisters.

 

Hiebe treffen den Felsblock – und gelten dem Menschen,

Konsonanten des fernen Olymps, erschaffen den Körper.

 

 

3

 

Zwei ionische Säulen, der Blick folgt ihnen zum Himmel,

Dort begegnen sie sich – und bilden ein Alpha.

 

Eine der Schlanken berührst du, des Tempels, sie säuselt ein Iota,

Sanft gestrichene Saite, Vokale erfüllen die Seele.

 

Giebelfeld, wo die Kentauren die Griechen bekriegen,

Wollen ihnen den größten Schatz, die Buchstaben, rauben.

 

 

4

 

Hatte einst einen schönen Tempel, zerstört von den Eseln,

Raubten das I und das A, nun schrein sie damit im Gebirge.

 

Triton im Giebel – jetzt wohnt er im See, mein leiblicher Vater,

Nahe dem Atlas, und wer mich noch Kopfgeburt nennt, der verleumdet!

 

Fische, die munter sich um die Akropolis tummeln,

Geht nun Attika unter, wie einst Atlantis gesunken?

 


Olympisches Feld    

 

 

1

 

Berg des Zeusvaters, noch in der Nähe des Stadions,

Steht in Flammen, und nicht nur Hasen, auch Füchse entfliehen.

 

Kronos, vom Donnerer längst besiegt, wozu noch das Feuer?

Du bist der Grund – dein Rennen um die billigste Bleibe.

 

Auf den Olivenhain, da wünscht sich der Wirt einen Gasthof,

Welch ein Traum! – da hilft ihm die olympische Lohe.

 

 

2

 

Jagst auf dem Rennwagen durch den Tag, und fährst nur im Kreise.

Immer in Sorge: vielleicht hat jemand gesägt an der Achse.

 

Aber, vom Tempel der Göttin, die Säulen, Zypressen, sie tragen

Längst nicht mehr ihren Giebel, den Stein haben Schnecken gespendet.

 

Langsam kreisen die Planeten, doch du hast es eilig!

Hera bremst auf ein Schneckentempo – dein irdenes Fahrzeug.

 

 

3

 

Alpheus, freundlicher Fluß, er trennte die schnellen Titanen

Dieser Welt, mit seinen Wellen – vom langsamen Walten der Götter.

 

Leicht geschwungene Wiesen, Olympias friedliche Landschaft,

Fackelträger melden den Völkern, es geht auch gemächlich.

 

Steige nun durch die Furt – von dem Gestade der Eile

Auf Arkadiens Geröll zur müßigen Stunde des Mittags!

 

 

4

 

Immer im Widerstreit, die Dauer verleiht zwar der Sänger,

Flüchtige Worte jedoch, zum eifrigen Schlag auf die Leier.

 

Ruhig sein Gemüt, doch bleibt ihm nichts anderes übrig,

Als den Schnellsten auf dem Gespann, den Sieger, zu preisen.

 

Auch dem Chor, der Verse des Dichters vorträgt, ihm selber –

Beiden gewichtiges Gold! – das müssen die leichtesten bringen.





 

Theater des Dionysos   

 

 

1

 

Schildkröte, ach, sie kriecht durch das Gras und wähnt sich ganz sicher,

Weder Achill gelängs, noch der Köchin, ihr näher zu kommen.

 

Kräftig stößt sie mit ihrem Panzer, und könnte vollenden

Seinen Verfall, an den Fuß des Dionysos-Tempels,

 

Dumpfer Ton, der erschallt, wenn sie doch vorsichtig wäre,

Leicht gefiele dies Instrument – dem trunkenen Lauscher!

 

 

2

 

Weidete gern die Schildkröte aus, er liebt dunkle Töne.

Antilopenhaut – damit ergänzt er den Panzer,

 

Darmsaiten klingen anders, nicht mehr das Blöken der Schafe.

Hol eine Bank herbei, dem Fuße bequem, für den Spieler!

 

Langsam schlägt er und schnell, das Kriechtier hat es nicht eilig,

Die Gehörnte, sie rennt, doch beide verklingen im Liede.

 

 

3

 

Schildkröte klimmt, noch immer allein, hinauf bis zur Bühne.

Trifft eine zweite – nur wenig Geräusche für eine Tragödie.

 

Leben unter dem Panzer, das lehrt: bleib hinter der Maske.

Was du auch sagst – viel besser ists, mit Amphibien zu schweigen.

 

Zuschauer schreien auf, ein Tiger über die Plätze!

Alle verjagt, die Mimen sind allein im Theater.

 

 

4

 

Was auch bringen die Dialoge, doch einzig ein Fauchen

Gegeneinander, ein Trachten nach dem Leben des andern.

 

Trinke besser vom Krug, den Dionysos reicht, er befreit von

All den Stricken, die mit vergangenem Frevel verbinden.

 

Gib dich willig dem Rausche hin, nur so kannst du hoffen,

Daß Apoll du vernimmst, spielt er auf der Schildkrötenleier.



 

Delphische Schlucht   

 

 

1

 

Karstige Berge, die Männer, sie harren, den Reben verpflichtet,

Wände von Rosen und Flammen, um wiederzukehren im Winter.

 

Strahl kastalischen Wassers, schon regt sich der uralte Drache,

Das Gebirge verströmt es – und reinigt befleckte Besucher.

 

Python, die dunkle Wolke, noch immer ist er am Leben,

Tal des Pleistos, darinnen er nistet, nicht jeder erkennt ihn.

 

 

2

 

Pfeile Apollon zielt, und Sonnenstrahlen befreien,

Lorbeerduft liegt in der Luft, die Berge vom Nebel,

 

Treffen in die Schlucht und in die Seele des Menschen.

Tag und Nacht bekämpfen, wie Wachen und Schlafen, einander.

 

Feuer gegen die Drachenwolke, Geblendeter, schaust du

Bis zum Parnaß hinauf – und trittst dabei auf die Kröte.

 

 

3

 

Fels, er ragt empor, wo stets der Drache besiegt wird,

Nabel der Welt, die Schnur zur Mutter, ist lange durchbrochen.

 

Darmsaiten zupft Apoll, die Eingeweide der Tiefe.

Schätze der Erde, geborgte, das mächtige Delphi verteilt sie.

 

Dämpfe steigen von der Straße – des modrigen Drachens,

Würzige leider nicht, die Abgase atmet ein jeder.

 

 

4

 

Stein der Sibylle nicht weit vom Tempel, drauf sitzt nun die Meise,

Singt begeistert ihr Lied von der getretenen Schlange.

 

Fluren aller Länder, herbei die Schafe Apollons,

Die verlangt es nach Licht – und werden dem Hellsten geopfert.

 

Aber seine Musik, sie klingt aus den Tiefen der Seele.

Tritt in das Gotteshaus ein und schau – dein schuldiges Bildnis!

 

 

Das Löwentor   

 

 

1

 

Tritt in das Kuppelgrab, vielleicht ein Bienenkorb ist es,

Immer fliegen sie doch, mit Stacheln, hinein und nach draußen,

 

Oder ein Sternenzelt, Heroen speisen die Lichter.

Sprechen nicht nur griechisch, ists nicht Siegfried, der redet?

 

Eingeladen hat Agamemnon mich, den Gefährten,

Beide sind wir, Gezeichnete, der Arglist erlegen.

 

 

2

 

Saßen einst im gläsernen Berg, war unter uns einer,

Warf den ersten Stein, das hellere Haus ist zersprungen.

 

Tantalus bot ihn auf Tellern dar, den himmlischen Gästen,

Seinen Sohn, wie der Gedanke zergliedert, die Rose,

 

Raubte den Göttern, auch du bist schuldig an einem der Kriege,

Ach, von dem edlen, dem Nektar, vor seinesgleichen zu prahlen.

 

 

3

 

Führer des Heers der Achäer, besiegte das mächtige Troja,

Starb auf eigener Burg, ein Bauer pflügte die Felder,

 

Liegt gefallen am Horizont, Agamemnon, der Riese,

Weißgrau, ein Gebirge, im Tal pflügt der Landmann noch immer.

 

Durch das Löwentor – nicht mehr in goldene Zeiten,

Zwischen den Wächterbergen, des Königs Haus fiel in Trümmer.

 

 

4

 

Wasser in der Wabe, der Honig ist prächtig gegoren.

Wir betrinken uns gern und wollen die Herkunft vergessen.

 

Knoten heilig – zerrissen ist, was lange verbunden.

Lebte noch vor der Flut, mit einem andern Geschlechte,

 

Löwenmenschen standen uns bei, mit Dolchen und Krummholz.

Steinernes Rätsel nun, der Sphinx ist geblieben ein Lächeln.





Die Gärten von Mystras

 

 

1

 

Letzter Palast von Byzanz – auf der lakonischen Höhe,

Drunten Ruinen von Sparta, du kommst deinem Zeitalter näher.

 

Törichtes Tun, im Mittelalter, dem dunklen, zu suchen

Götterbilder, die alten, verbrannt wirst du werden als Ketzer.

 

Bloß ein Scholar, erweckst du auch die Skulptur Aphrodites?

Ach, der Marien-Gesang, er bringt dich ganz aus der Fassung.

 

 

2

 

Steig den Taygetos-Gipfel hinauf, zur Burg der Normannen!

Hörst auf den Ratgeber du, den armen Teufel vom Norden:

 

Wenn die Kirche ihn auch beschimpfte, bezaubernden Marmor,

Gehe nach Sparta und hol sie leibhaftig, die schöne Helene!

 

Oh, sie ist immer noch jung, so blieb die Antike lebendig,

Etwas Magie, schon hat sie Menelaos vergessen!

 

 

3

 

Blühende Hyazinthen, noch in den Gärten von Mystras.

Nordwind gönnt mir die Freude nicht, mit kühleren Lüften

 

Fegt er über die Burg, die Blüten fallen, und Blätter,

Grünlinierte, darauf du deine Noten geschrieben.

 

Scharen osmanischer Krieger, sie nähern sich griechischen Bergen,

Längst ist es an der Zeit, der Insel den Rücken zu kehren.

 

 

4

 

Schwingt sich Boreas zum Palast, auch dich will er rauben,

Trau ihm nicht, der sich auf Schlangenfüßen bewegte,

 

Wurzeln in der Erde, um bei der finstren zu schlafen,

Welch ein Gebirge, wie soll er über die Alpen geleiten!

 

Silberblätter fallen, des Lorbeers nicht mehr, von der Weide,

Bilde ein Schiff davon, um deinen Teich zu befahren!




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