["Friss Deine Feinde", Siegfried Feid (2017)]
Die
Enge des Bewußtseins ist eine soziale Forderung. Alle Tugenden sind
individuell, alle Laster sozial. Was als soziale Tugend gilt, etwa
Liebe, Uneigennützigkeit, Gerechtigkeit, Opfermut sind nur
»erstaunlich« abgeschwächte soziale Laster. [Franz
Kafka, »Nachgelassene
Schriften«
(1920)]
["Apokalyptische Worte", Siegfried Feid (2017)]
Wenn
es möglich gewesen wäre, den Turm von Babel zu erbauen, ohne ihn zu
erklettern, es wäre erlaubt worden. [Franz Kafka, »Nachgelassene
Schriften«
(1917)]
["Kunststoff", Liana Helas (2020)]
Der
Kapitalismus ist ein System von Abhängigkeiten, die von innen nach
außen, von außen nach innen, von oben nach unten und von unten nach
oben gehen. Alles ist abhängig, alles ist gefesselt. Kapitalismus
ist ein Zustand der Welt und der Seele. [Franz Kafka zitiert nach
Gustav Janouch, »Gespräche
mit Kafka. Erinnerungen und Aufzeichnungen«]
4
In
den Gebrauchtwarenladen gegenüber vom Krankenhaus trug ich oft
kistenweise Schallplatten, die sich anfangs noch rasch verkauften;
irgendwann jedoch verweigerte der Antiquar den weiteren Ankauf, da er
meinte, es würden sich keine Käufer mehr für dieses Zeug finden.
Er habe sich inzwischen auf gusseiserne Töpfe und Räucheröfen
spezialisiert. Auch Geschirr und Modelleisenbahnen gingen nach wie
vor sehr gut.
"Wissen
Sie eigentlich, dass es geradezu Heerscharen von Antiquaren in diesem
Land gibt? Jeder ist ja heutzutage ein potentieller Antiquar und es
ist nicht im Geringsten abzusehen, über wie viele Generationen diese
Privatisierung des Expertentums sich hinstrecken wird. Was bleibt den
Erben Lesender, Schreibender, Hörender und Rechnender letztlich auch
anderes übrig als den für sie nutzlosen Nachlass ihrer Vorfahren
schonungslos und respektlos zu verhökern? So ist es andererseits
immer noch besser als würde man die Erbstücke schlichtweg im
nahegelegenen Wertstoffhof entsorgen, nicht wahr? Die Leute sind ja
letztlich Sklaven des Designs und glauben unerschütterlich an die
ihnen eingeredete, gleichsam eingebildete Individualität, an
Wachstum, Innovation und selbstverständlich Fortschritt. Das Design
regiert die Auswahl der Sonnenblenden in ihren geleasten Neuwagen.
Ihre Websites, Tattoos und Klingeltöne. Die Bibliophilie, Herr
Doktor, ist für die breite Masse bereits nichts anderes mehr als
eine verspottenswerte Absonderlichkeit."
Zum
Zeichen der Ergebenheit kaufte ich meinem Antiquitätenhändler ein
unvollständiges japanisches Teeservice mit einem Drachenmotiv und
der Lithophanie einer Geisha ab. Es zeigte auch Guanyin, die Göttin
der Barmherzigkeit, in Gesellschaft von Arhat, dem Erleuchteten. Das
im Tassenboden durchscheinende Gesicht einer Geisha, so ließ ich mir
erklären, sei ein Markenzeichen hochwertigen Porzellans. Vielleicht
würde Veronika sich darüber freuen, dachte ich.
Die
Leute laufen zum Antiquar, und das Geld, das er ihnen zahlt, stellt
die Rechtfertigung dafür dar, dass sie sich solcher Gegenstände
entledigen, die zu erwerben einmal ein Opfer forderte. Das, womit
sich ein Gegenstand schmückte, erhielt sich für einen wesentlich
kürzeren Zeitraum als seine reine Brauchbarkeit. Die Brauchbarkeit
von Dingen erhält sich für einen wesentlich längeren Zeitraum als
das, womit er sich schmückt. Dass man etwas nicht mehr für
schmuckvoll hält, entwertet eigentlich einen Gegenstand. Im
Antiquitätenhandel wird etwas Altes wieder neu dadurch, dass es eine
Weile unserer alltäglichen Wahrnehmung entrückt war. Man brachte ja
Dinge nicht zum Antiquar, weil sie noch brauchbar waren, so dass
ärmere Leute sich damit ausstatten konnten. Arme Leute kauften von
jeher Neues, das allerdings billig. Im Antiquitätenladen kauft ihr
Dinge, die vielleicht einmal nicht nicht billig waren. Das ist der
Unterschied zum Flohmarkt, wo es auch jede Menge Sachen gibt, die
bloß alt sind, sogar kaputt. Natürlich gehen die Meinungen über
den Wert der Dinge auseinander. Veronika war ziemlich treffsicher in
dieser Hinsicht. Unter einigen ziemlich traurigen Vertretern fand sie
die alte Thermoskanne heraus, die unter ihren schönen Händen sich
in das Schmuckstück zurückverwandelte, das es einmal war. Dazu
musste es auch wieder zu einem Gegenstand des täglichen Gebrauchs
werden, so dass man bei ihr in der angenehmen Ruhe einer sonderbaren
Zeitlosigkeit lebte.
Intermezzo
Wenn
ich kameradschaftlicher Nähe überdrüssig wurde, insbesondere von
derjenigen Art, die mich mit irgendwelchen Sentimentalitäten in
einem Maße belästigte, das mir als würdelos erschien, bediente ich
mich zu meiner rein vorsorglichen Entlastung gezielt ausgewählter
Bezeichnungen der sexuellen Umgangssprache des deutschen Volkes, die
ihre Wirkung selten verfehlten, gerade weil meine Gegenüber mich als
einen feinsinnigen und taktvollen Gesprächspartner zu schätzen
wussten. Schwärmte etwa Max von seinen ersten, sanften Berührungen
mit einem von ihm verführten Weibchen, möglicherweise sogar noch am
offenen Kamin, beendete ich seine Träumereien gelegentlich mit
langgezogenen Zischlauten wie "Vsssp, vsssp" oder
etikettierte sie brüsk als "leidliche Dingsdasaftphantasien",
was Max allerdings seinerseits als spitzbübische Torheiten abtat, um
bei nächster Gelegenheit unbenommen andere delikate Details zu
ergänzen.
Gerade
weil Max und ich die Geisteskrankheit des Sammelns teilten und uns im
Grunde über die Notwendigkeit einer schleichend fortzusetzenden
Weltrevolution der Seele einig waren, verstanden wir es bis zu seinem
endgültigen Verschwinden, uns auf meist einfallsreiche Weise
gewissermaßen gegenseitig auf die Palmenwedel des Geistes zu
bringen. Manches Mal ließen wir uns dazu hinreißen, uns
karnevalistische Szenerien vor Augen zu führen, in denen
beispielsweise statt Bonbons Bücher von den Narrenwägen unters Volk
geworfen wurden, das sich, worin der eigentliche Surrealismus
bestand, begeistert über die Beute hermachte, die sie untereinander
tauschten, liebevoll verschenkten oder sorgfältig in Rucksäcken
verstauten. "Mutti, Mutti, schau nur! Die
Geschichte vom Prinzen Genji
in zwei Bänden!" - "Würden Sie wohl ihren Tom
Jones
gegen diese Ausgabe des Koran
tauschen?" - "Meinst du, Liebling, Balzacs Sukkubus
passt noch in den Rucksack?" - "Der Wagen mit der
übergroßen Kanzlerin wirft ausschließlich Reclambändchen!" -
"Der mit dem riesigen Homunculus verteilt Teile des Tristram
Shandy!"
- "Tausche Marx gegen Bukowski, Kant gegen Walser!"
Man
kann alles Mögliche sammeln, jeder fängt einmal klein an damit.
Schnapsgläser, das kennt man, gibt's von überall her, Köln,
Koblenz, Hamburg. Mehr oder weniger sinnig beschriftet oder geformt,
wie zum Beispiel das aus Pisa, schief, wie der Turm eben. Du kannst
Schallplatten sammeln, das wird ab ein paar tausend interessant. Es
ist völlig klar, dass du sie nie wieder hören wirst, ich meine alle
sagen wir zwei-, dreitausend. Darum werden sie in ihrer Tausendschaft
zum Gegenstand, den wiederum du mit deinen Gedanken umschreitest,
gewissermaßen als virtueller Hörer. Oder konkret in dem einen
Stück, das du herausgreifen und durchaus eben auch anhören kannst,
vorspielen kannst als dieses eine, das sehr wohl seinen Augenblick
gehabt hat, wo es auch dieses eine war, das hinzugekommen ist, heute,
an diesem besonderen Tag, wer weiß, wann das war! Ja, selbst der
lässt sich zuweilen herausgreifen aus dem Ganzen, das nun als
Sammlung vor dir steht. Eines Tages hören die Einkäufe auf, die
Sammlung ist einzig Gesammelte, und zuweilen schweigt sie sogar. Ein
Teil musste einmal in einen entlegeneren Teil des Hauses verfrachtet
werden, aus Platzgründen, eigentlich ein beliebiger Teil, gar nicht
einmal die Scheiben, die vorerst zu hören uninteressant geworden
wären. Das ist manchmal bei Umzügen so, dass Sachen in Kisten
verpackt vorerst abgestellt werden, für die kein Platz da ist, oder
für die man keine Zeit hat. Es gibt Leute, die bringen es fertig,
eine solche Kiste ungeöffnet zu entsorgen, sagen wir nach zwei oder
drei Jahren, mit dem vernünftigen Argument, es müssten Sachen sein,
die man nicht brauche, wenn sie jahrelang herumstehen konnten. Es gab
aber auch Leute, die kauften Sachen, die aus dem Gebrauch gekommen
waren, und zwar deshalb, weil sie einmal etwas gekostet haben, jetzt
bekam man sie billig, obwohl sie von ihrem Gebrauchswert kaum etwas
eingebüßt haben, wie beispielsweise Schallplatten, von denen es
gerade wieder Fans dabei ist zu geben. Der einstige Fortschritt der
CD ist keiner mehr, Jugendliche kaufen keine mehr, so wenig wie man
noch fernsieht, es sei denn, man habe es bei dieser Gewohnheit
gelassen, weil es einem auf einen oder zwei Fortschritte nicht mehr
ankam.
In
dieser Hinsicht sind digital adicts lediglich die moderne Variante
des klassischen Fernsehzuschauers, sagen wir in der Form, die man
zuerst aus Amerika kannte, wo der Fernseher nicht brav am Feierabend
lief, sondern zu jeder Tages- und Nachtzeit, während es bei uns
Programme gab, zu denen man sich versammelte, und nach denen man zu
Bett ging. Man blickt gewissermaßen jederzeit auf den Bildschirm,
tätigt schnell diese oder jene digitale Verrichtung, jeder, der
jungen Leuten zuschaut, wie sie mit den Daumen Texte in Sprechblasen
tippen, weiß, was ich meine. Einen solchen Vorgang abschließen und
das Handy wieder an seinen Ort verfrachten geschieht in einem Tempo
und als Reflex des Unterbewusstseins, wie das dem Nachgeborenen für
immer schleierhaft bleibt. Was man allerdings weiß, das ist, dass
dem andere Techniken nachfolgen werden. Handys werden wohl eher nicht
gesammelt werden, noch viel weniger Apps, so wenig, wie man Fernseher
je sammelte. Radiosammlungen, die gibt es noch. Vom Handy gibt es
gewisse Anhäufungen, weil man gewöhnlich nicht weiß, was man mit
seinem alten Teil machen soll, wenn man ein neues gekauft hat. Ich
werde meinen Antiquar fragen, was so die Sachen sind, die die Leute
für nostalgisch und sammelbar halten, wenn er schon bei meinen
Schallplatten seit einiger Zeit abwinkt.
Kürzlich
dachte ich zurück an die gemeinsamen Kinobesuche mit Fellie, von
deren Filtern und Wahrnehmungen ich mich für eine Weile in den Bann
geschlagen fühlte. Fellie roch stets ein wenig unangenehm für
meinen Geschmack, am meisten jedoch störte mich ihre Art sich nach
nahezu jedem Satz mit einem kurzen Auflachen zu kommentieren.
Vermutlich waren es ihre Grammatik und ihre Syntax, vielleicht sogar
ihre Wortwahl, die mich gelegentlich fesselten.
Gregor,
kein
schlechter Film, nur zu kurz. Ich soll-darf-kann dich alles fragen?
Was soll ich denn alles fragen, Frage? Die Fragen klingen so
lächerlich-dumm. Außerdem antwortest du dann nicht bzw. ich
zermartere mir das Hirn, was nun diese kleine Bemerkung alles wieder
zu bedeuten hat-haben könnte oder sollte ich nicht so übertreiben
und da ist weiter nichts – was aber nicht sein kann. Warum erzählt
er mir jedes Mal seine Partygeschichte, leichte Variationen in der
Ausschmückung. Ich kenne sie schon seit 18 Jahren wohl. Erinnerung?
Aber er ist doch höchst lebendig und hat doch wieder Recht, aus der
Vergangenheit lebendig und die Gegenwart ist eine andere. Fragen. Das
beste Hühnerei meines Lebens habe ich in der Türkei gegessen. Was
hat es mit dem Freund in der Fremde auf sich, immer mal erwähnt. Die
Schurken und Gangster, wo sind sie. Die Telefonfirma ist im Roman
verewigt. Die Schwester ist auch immer präsent und ich dachte, weil
sie sich gut verstehen. Im Flieger ging mir auf, wie anders die
Erscheinung war (und doch auch wieder nicht). So wandelbar. Anderes
Viagra? Auf einmal isst er seinen Teller leer. Warum kommt er
überhaupt, peculiar. Das Gefühl, ich kann mich auf ihn verlassen,
wie das, aber eben auch nicht, Gegenwart. Bist du glücklich?
Fellie
Hört sich an, liebe Fellie, wie ein
Schlag mit der Faust in die Matratze … Medikamente lehne ich ab, so
weit wie eben möglich … Sowohl Schurken als auch Gangster tummeln
sich in meinem Geist … Zwischen den Zeilen wird ein wenig Gift
versprüht ... Zu kurz? … It's all too much ... Unter den wunschlos
Unglücklichen bin ich gewiss mit gewaltigem Abstand der
Glücklichste. Der Freund in der Fremde ist nichts anderes als der
Glückliche. Das bin selbstverständlich zum Teil auch ich selbst.
Mehr als Teilen ist nicht drin, damn. Geteilte Erinnerungen.
Glücklich derjenige, der selbst entscheidet, wann er kommt. Die
Tourismusstudentin hätte ich gern verführt. Indiskrete Menschen
sind grundsätzlich Gegenstand meiner tiefsten Verachtung, wozu auch
meine Schwester gehört. Ich ging davon aus, dass dich meine
Vorüberlegungen zu neuen Erzählungen interessieren könnten. Wir
erzählen stets die gleichen Geschichten, variiert in der
Ausschmückung, verfremdet, hochstilisiert, verdichtet und verzerrt
bis hin zur Verlogenheit, darin aber unerschütterlich wahrhaftig. Es
gibt keine dummen Fragen. Jede Frage ist eine Provokation. Wechsle
die Laufrichtung, du bist beinahe schon in der Falle.
G.
Meinen
arglos dahingeworfenen Gedanken, es gebe keine dummen Fragen,
bezeichnete sie zurecht, wie ich fand, als bloße buzzwords,
so drückte sie sich aus, und sie wolle, der Gottesanbeterin gleich,
mich lediglich lecken. Wo also, fragte ich mich, mochten jene Besuche
im Filmtheater, bei Lichte besehen, hinführen? Erfahrungsgemäß
liefen die Bilderstürme wenigstens aufs Händchen halten im Dunkeln
hinaus, auf Vorspiele, die sich jenseits der Handlung auf der
Leinwand abspielten, ganz zu schweigen von den Andeutungen im Bistro
nach der Vorstellung, durch die sich Fellie als Lauerjägerin zu
erkennen gab. Bevor sie mich jedoch vollständig zu verschlingen
vermochte, beschloss ich, mich vorerst vom Kino fernzuhalten, von
Fellie, der Kannibalin, Fellie, der Gottesanbeterin.
Gregor,
Zuletzt
habe ich geträumt und nicht sofort alles vergessen. Ich saß mit
Gregor in einer Art Restaurant, das aussah wie eine alte englische
Bibliothek, hohe Hallen, dunkelbraunes Holz, alles poliert, eher
schummrig aber doch Lichtstreifen durch hohe schmalere Fenster.
Vielleicht war es auch ein Café, Anklänge an Wien, aber hie und da
ein dicker Vorhang. Wir sitzen an der Ecke eines riesigen Tisches, er
ist wirklich riesig, Tennisplatzgröße, oder es sieht nur so aus je
nachdem, von wo man schaut. Gelbe Lampen, es ist nicht wirklich
schummrig. Ein oberartiger Kellner im weißen Kittel bringt auf einem
Tablett jede Menge Gläschen und Tässchen. Wassergläser mit mal
sparkling, mal Leitungswasser, mit Eis, ohne, und kleine
Kaffeetässchen, doppelt so groß Espresso, leckerer türkischartiger
Kaffee, bisschen Kaffeesatz, schmeckt. Gregor ist wie üblich gleich
vertraut mit der Bedienung, hat irgendwie etwas längere Haare, in
denen ich mal wuscheln darf, eine große runde weinrote Brille,
seitlich für die Bügel, aber so rechteckige Blöcke, enorm schick.
Er ist wieder etwas schlanker geworden, aber glücklicherweise nicht
völlig dürr. Und leider habe ich jetzt doch alles wieder vergessen,
was ist da nur passiert. Wie immer riecht er gut, diese Mischung aus
Zigarette und Aftershave, auch wenn die Zigarette ab und an
überhandnimmt und zu streng-bitter ist.
Ich
weiß nicht, welche Adresse nehmen, welche Überschrift, passt alles
nicht, mir fällt keine neue ein. Kürzlich „Badlands“ geschaut,
es war viel von James Dean die Rede. Ich dachte die ganze Zeit: er
ist hübscher, er ist so hübsch, er wird wohl immer hübscher, je
weniger ich ihn sehe und je mehr ich ihn spüre. Immer da. Hat dir
noch keine gesagt, wie wenig es auf den Penis ankommt? Auch wenn sich
selbstverständlich die Welt darum dreht.
F.
F.,
Mit
James Dean verbinde ich einschneidende Lebenserinnerungen: Immer
wieder „Giant“, „East of Eden“ und „Rebel Without a Cause“.
In „East of Eden“ höre ich das Schluchzen des Vaters, meines
Vaters, ergriffen von einem Verlust, den ich, allenfalls zwölf Jahre
alt, nicht begriff; Schluchzen
ist indes bei weitem untertrieben. Seit einiger Zeit bringt mich das,
was man Herzrhythmusstörungen nennt, ins Wanken – eine Diagnose,
nichts weiter; als ob ich nicht seit jeher Rhythmusstörungen
verkörpert und verinnerlicht hätte. Selbstverliebt, verletzt und
verletzlich nahm ich den Vater wahr. Was davon bleibt? Gene?
Veranlagungen?
Das
phallische Kultobjekt. Ein geflügeltes Wort, das ich aus dem
Rumänischen kenne und nicht zu übersetzen wage, lautet: „Fuţi,
nu fuţi, vremea pulii
trece!“ Schäbige Assoziationen zu einem häufig
unheilschwangeren, aber dafür heiß geliebten Spielzeug, das an
sich nicht der Rede wert zu sein bräuchte.
G.
Was
aber, wie man sagt, dem Fass den Boden ausschlug, war Fellies
Überzeugung, ich müsse schreiben, für sie, für Leserinnen und
Leser, die Welt, für die Dichtung, die Literatur, die
Schriftstellerei, die Kunst, die Erkenntnis, die Aufklärung, ja, im
Namen der gebündelten dunklen Energie aller geheiligten Götter des
Olymp und deren vereinzelten Nachfolgern bis in die finsterste
Gegenwart hinein. - Da ist nichts, nicht die geringste Gegebenheit
einer Situation, in der es der Mühe wert wäre, auch nur nach einem
einzigen Wort zu suchen, Fellie, das, selbst im Falle einer
ausgedachten, revolutionären Situation, nicht allerdings in diesem
vulgären politischen Sinne des Wortes, mehr als eine Handvoll
geneigte Interessenten fände, deren Interesse nur fragwürdig sein
kann, sehr fragwürdig, Fellie. Das ist niemals anders gewesen,
Fellie. Selbst Max, der Freund in der Fremde, ist, streng genommen,
nichts weiter als ein Sklave seiner bigotten Auffassung von einem
besseren Menschen, in seinem unermüdlichen Kampf gegen Neuwagen,
versnobte Lebensentwürfe, Kapitalismus und Unbarmherzigkeit.
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