Donnerstag, 19. Dezember 2024

Bzw. ۲ ۷ ۱ [»22 Haiku« von Walter Graf]

 


[»Ryūkyūan Dancer and Musicians«, Miyagawa Chōshun (c. 1718)]



Come, see the true

flowers

of this pained world.

[Matsuo Bashō (1644 - 1694)]




[»Seven Haiku«, John Cage (1952)]





Die Lifttür schliesst sich.

Allein mit meinem Schatten

im fahlen Lichtschein.

 

Im Nachbarhaus geht

das Licht in der Küche an.

Nackt am Kühlschrank: Sie!

 

Vor der Tür hockend,

angeschlagene Taube.

Wartet auf den Tod.

 

Durch kahles Geäst

sieht der Winterhimmel nachts

wie verzaubert aus.

 

Den Blick aufs Handy

geheftet, rempeln sie sich

auf der Strasse an.

 





[»Beauty Looking Back«, Hishikawa Moronobu (17th century)]






Noch nichts zu hören.

Beide Ohren zugestopft,

aus dem Schlaf erwacht.

 

Der Reiher am Bach

wartet reglos auf den Fisch,

den sonst keiner sieht.

 

Das Kind, eingesperrt

(«Übermut tut selten gut!»)

in der Fleischkammer.

 

«Gute Nacht, Olga.»

Statt den Kuss zu erwidern,

gähnt sie mich nur an.

 



Leerstehendes Haus.

Nachts dringen Klagelaute

Aus dem Kellerloch.

 

Der Ventilator

bläst meiner Therapeutin

das Haar aus der Stirn.


Allein zuhause.

In den Nachbarswohnungen

die Spätnachrichten.

 



[»Evening Snow on the Heater«, Suzuki Harunobu (18th century)]





Sonnenuntergang.

Das Bellen eines Hundes

vom fernen Gutshof.

 

Im Takt der Nadeln

nickt die Mutter mit dem Kopf

- ganz selbstvergessen.

 

In mondloser Nacht

das Geklapper von Hufen

auf der Landstrasse.

 

Der Nebel zerstäubt

im Lichtschweif der Scheinwerfer,

die ihn durchpflügen.

 

Die Brotrinde knackt

zwischen ihren Milchzähnen.

Ein schöner Morgen.

 



[»Two Kabuki Actors«, Tōshūsai Sharaku (1794)]





Die Kühe schnauben

hinter dem taufeuchten Zaun

im Morgengrauen.

 

Der Glanz der Sonne

auf den Grashalmen, die sich

im Winde wiegen.

 

Sommernachmittag.

Das Surren eines Fliegers

über den Feldern.

 

Der alte Kater,

eingerollt auf dem Sofa:

Wie er seufzt im Schlaf.

 

Der Vogelgesang

geht im Strassenlärm unter

- für geraume Zeit.





[»Portrait of Bashō«, Katsushika Hokusai (late 18th century)]




Days and months are travellers of eternity. So are the years that pass by. Those who steer a boat across the sea, or drive a horse over the earth till they succumb to the weight of years, spend every minute of their lives travelling. There are a great number of ancients, too, who died on the road. I myself have been tempted for a long time by the cloud-moving wind - filled with a strong desire to wander. [Matsuo Bashō »The Narrow Road To The Deep North And Other Travel Sketches« (1702)]