Sonntag, 20. Oktober 2024

Bzw. ۲ ۷۰ [»regen«: fünf Gedichte von Martin Westenberger]

 


[»A Hard Rain's a-Gonna Fall«, Goedart Palm (2017)]




Es regnete vier Jahre, elf Monate und zwei Tage lang.

[Gabriel García Márquez »Hundert Jahre Einsamkeit« (1967)]




[»Pink Rider in the Rain«, Goedart Palm (2021)]




If the rain comes
They run and hide their heads
They might as well be dead
If the rain comes

[The Beatles »Rain« (1966)]






das kurze leben erschien


als überblendeter ozean,

irgendwas mit strand u. ocker,

immerzu die ewigkeit von wasser,

die zärtlichkeit ihres ponys,

nachdem sie ihr jackett abgelegt hatte.


später eine endlose straße,

wüste mit tiefergelegtem leben,

der gitarrist streng gläubig

in seinem sphärengang,

schwarzer meister,

schmuckkrawatte, gitarrenhals zum himmel,

ernst in der mission, später

lächeln zum publikum.


das kurze leben meldete sich als aufruf,

alles schön zu gestalten,

sich in harmonien zu bewegen,

freiheit u. zuversicht zu vertreten,

trotz gegenteiliger andeutungen

- zum ende rosen dem publikum.


der immer-ironiker kurz vor seinem ende,

das leben sei unfassbar schön,

goethe ergänzte aus der fürstengruft,

das leben, wie es auch sei,

es ist gut.


die sängerin hob ihr haar

hinter die schultern,

lächelte,

bedankte sich für den applaus, sagte:

das beste montags-publikum seit

beginn meiner karriere.




die heile welt erschien


als brombeerstrauch u. graugestrüpp,

rund um einen leiterwagen,

nachmittagssonne, hosenmatz,


die erde roch nach grieß mit pilzen,

die sonne nach pfannkuchen,

das himmelblau nach 4711,


spielball stadtrandlage,

schwarzer himmel mit funkelpunkten,

überlandleitungen mit porzellanhaltern,


die fenster der bäckereien, konditoreien

in feines messing gefasst,

frauen tranken kaffee mit hut,


nach der autowäsche sah man alles

im spiegel der radkappen u. stoßstangen,

das ledertuch quietschte beim reiben.


heute, mit engblick, weitblick,

jungblick, altblick

ein klickern beim blickern,


wirklichkeitssinn u. politische dimension

melden sich, mit ihnen sei man schon

zum mond gereist,


das fressen

möchte was fressen,

dann die moral.




[»Rainy Apparition«, Goedart Palm (2016)]




regen kann man unterscheiden


zwischen

feinem landregen,

sichtbar auf dem dach

eines alten vw käfers,

dazu etwas roggenbrot vom vortrag,


hätte eigentlich

vortag

heißen sollen,

aber

vortrag

ist auch okay,


stadtregen

ist praktisch wie

strangers in the night u.

downtown,

man geht spät nachts nochmal raus,

bestimmt nicht mit schirm,


burschen,

die schon lange in der warteschleife für

ganz harte burschen

hängen, versuchen sich bei den

ganz harten burschen

zu profitieren,


hätte eigentlich

profilieren

heißen sollen,

aber

profitieren

ist auch okay,


indem sie,

selbst bei platzregen,

ihren schritt

keinen müh schneller ausführen,

komplett gleiches tempo,


sieh mal an,

die warteschleifen-burschen,

sagt

ein ganz harter bursche

zum anderen

ganz harten burschen,

nicht schlecht,

die warteschleifen-burschen,

gehen keinen müh schneller,

trotz platzregen vom boss.


wie jeder weiß,

ist bei uns

regen

selten geworden,

schlecht für die

warteschleifen-burschen,

sagen die

ganz harten burschen

u.

ihr boss muss lachen.


übrigens leben wir am rande

irgendeiner milchbar,


hätte eigentlich

milchstraße

heißen sollen,

aber

milchbar

ist auch okay.




[»Rainy Dreamscape«, Goedart Palm (2018)]





der persönliche fitnesstrainer


hatte etwas onkelemilhaftes,

also vom nachkrieg,

in der küche die badewanne,

am küchentisch der camembert

mit strolch in strümpfen,

auszeit u. flackerlicht,

klo auf der zwischenetage,

rumfingern am camembert,

nach der kriegsgefangenschaft

frankreich beschwiegen.


der fitnesstrainer,

wenn er was gesagt hatte,

was zart joviales, immer

mit den lidern zwinkerte,

dass die schuppen

von den augen fielen,

in den innenhof,

wo die autos repariert wurden.


eine leicht gebückte linie im

blauen trainingsanzug,

das leptosome versteckt u.

immer freundliche fitnesstipps

aus den zeitschriften

hobby u.

mein zuhause.


die geräte waren modern, er

feingliedriger nachkomme der

goggomobil besitzer,

schattenwurf unter neuen fassaden,

beim fahren immer töfftöfftöff gebrabbelt.


wann man wieder onkeln könne,

bratwurst u. sauerkraut stünden bereit,

aber vorsicht bei den bewegungen,

immer ganz langsam, nicht länger

als eine halbe stunde.


ob denn die ziegel auf

dem oberen stübchen noch

richtig lägen, fragt er

mit schuppenzwinkern,

ihn so zu beschreiben.


was möchtest du noch wissen?




die attrappe war aus pappe


ein vom regen angeweichtes ding,

in der größe eines tortenkartons,

im design sehr ähnlich

der fußgängerzone von bad kreuznach;

aufgeweichtes pflaster,

verblichenes design,

umgefahrene fahrradständer,

zerdrückte fahrräder.


schwergewichtige passierten

die drahtsitzbank mit teenagern,

hinter dem qualm von e-zigaretten

leer stehende häuser,

abgerissene plakate.


bevor der karton zu boden fiel

murmelte es,

da,

der laden mit gesundem essen.