Montag, 20. Mai 2024

Z. Z. XLIX [»Letzthin Anderswo IX« (2024)]

 


[»Little Worlds (2024)«, Goedart Palm]




We have no need of other worlds. We need mirrors. We don't know what to do with other worlds. A single world, our own, suffices us; but we can't accept it for what it is. 

[Stanisław Lem »Solaris« (1961)]


How far that little candle throws his beams! So shines a good deed in a weary world. 

[William Shakespeare »The Merchant of Venice« (1605)]




Aber


Religiönchen, Glaubensdingelchen, von den Leuten teils wirklich gemocht, teils mitgeschleppt oder achselbezuckt wie Nikoläuse und Osterhasen in den Regalen Monate vor Weihnachten oder Ostern. So musste es wohl sein, wenn man eine Lebensmittelkette zu organisieren hatte. Nicht dass man daran würde erinnert werden müssen, an Ostern vielleicht, weil es nicht immer auf dasselbe Datum fiel. Wer aber hätte schon einmal Weihnachten vergessen? Auch wenn man es wollte. Das mache einmal jemand seiner Liebsten oder den Kindern klar, dass die Weihnachtsgeschenke ausfallen, weil man Atheist ist! Schließlich glaubten die Kinder auch nicht mehr ans Christkind, an den Osterhasen schon dreimal nicht. Man ist aus der Kirche ausgetreten, nicht aus Geiz wegen der Kirchensteuer. Aber dahinter kann man nicht stehen, dass dieser Bonzenladen Milliarden scheffelt! Da spendete man das Geld lieber für etwas anderes, hat es auch schon ein-, zweimal getan, ist dann aber irgendwie eingeschlafen. Endjahresgeschenke hat man also besorgt, hauptsächlich wegen der Kinder, aber früher sei es doch schöner gewesen. Eigentlich sind sie auch schon groß. Bei ihren eigenen Kindern wollten sie es dann doch nicht so durchziehen. Irgendwie sei das doch zu früh gewesen, und überhaupt. Ein wenig Illusion brauche der Mensch nun einmal, zum Beispiel Weihnachten eben, und so weiter. Ja, auch Verlobung und Heiraten. Aber darüber sei mit einem ja nicht zu reden. Dabei würde Heiraten sich sogar rechnen, das nur nebenbei. Die Kinder werden also heiraten, ihre Kinder taufen lassen, eine Pfarrerin sei das, eine ganz nette. Einen kleinen Regenbogen hätte die als Anstecker am Talar, oder wie das Ding heißt, das sich die Pfarrer anziehen. Kindergarten und Hokuspokus sei nicht richtig. Es seien eben nicht alle Menschen gleich, und schon gar nicht so prosaisch.

Ostern geht's zum Schifahren. Das kann auch mal ausfallen, wegen schlechten Schneeverhältnissen, und geht auch nicht jedes Jahr, weil doch ziemlich teuer. Heilig Abend einfach vorbeigehen zu lassen, schafft dagegen fast keiner. Etwa im Hobbykeller Brettchen hobeln, oder am Oldtimer schrauben, das Radio könnte man jedenfalls nicht laufen lassen, es sei denn, das x-te Mal Last Christmas würde einem selbst bei brütender Hitze im Hochsommer zum einen Ohr herein und zum anderen wieder hinausfahren. Im dunklen Winter lockt Weihnachten doch als eine Art Lichtblick, wenigstens bis es dann so weit ist. Den Katzenjammer danach fängt Sylvester vielleicht ein. Oder dann der Hobbykeller, die Garage mit dem alten Käfer. Zu Oldtimertreffen fährt man eher nicht, das ist wie mit der Kirche. Ganz schön eigentlich, wenn niemand da ist, am liebsten sogar ohne Hinterlassenschaften von Zusammenkünften. Dagegen die Stille dieses großen leeren Raumes!




ungefähr




Die ewige Wiederkehr ist nach Nietzsche das schwerste Gewicht. Dementsprechend ist unser Leben von herrlicher Leichtigkeit, insofern wir es meistern. Die Schwere, mit der wir sie erringen, ist die Kehrseite der Leichtigkeit der Meisterschaft. Sie verwirklicht sich als das, worin wir Einsichten gewonnen haben, nämlich in zuvor unzusammenhängende Erscheinungen, die wir durch Beobachtung und Nachdenken in eine Vorstellung fassen. Diese überprüfen wir in der Absicht möglichster Vorhersehbarkeit von Ereignissen, sei es, dass wir sie wünschen oder sie vermeiden wollen. Würden sich sowohl das Erwünschte als auch das Unerwünschte beliebig wiederholen, ohne dass wir den geringsten Einfluss darauf hätten, es bliebe uns nichts, als ewig den Göttern zu opfern, ob sie nun existierten oder nicht.




so:




Der Straftäter ist Täter dessen, wofür er bestraft wird. Nicht anders als der Rechtschaffene - oder der, der sich dafür hält - erhebt er Anspruch auf das, was ihm zukommt, wenn auch in umgekehrter Perspektive. Strebt der Lohn- oder Gehaltsempfänger nach mehr Geld, so richtet sich das Streben des Straftäters darauf, der Strafe zu entgehen. Der Profit, den er im Auge hat, ist darum doppelt: nämlich der Raub u n d die fällige Strafe, der er entgeht.

Er muss darum heimlich handeln. Eiliges Verreisen - die Polizei nennt es Flucht - darin hat er es zur Meisterschaft gebracht.

Je bedeutender das Vergehen des Verbrechers an den geltenden Werten, desto höher die Strafe, mit der die Rechtschaffenen drohen, desto höher entsprechend der Gewinn, wenn es gelingt zu entkommen.

Würde man demnach dem Täter die Strafe verweigern, entspräche dies gewissermaßen einer Aberkennung des Wertes, den man gewöhnlich dem Gegenstand beimisst, gegen den er sich vergangen hat. Es ist ebenso augenfällig wie logisch, dass gerade Straftäter sich äußerst auffallend mit genau den Gegenständen zieren, die den Rechtschaffenen so teuer sind, und gegen die die Verbrecher ihre Taten verüben. Selten hört man von einem Robin Hood, der das Raubgut statt es für sich zu behalten unter den Armen verteilt. Eher schon kennt man den Paten und Freund der kleinen Leute, der Kinder und der Kirche. Er ist bereits der Fürst, der der Neureiche gerne wäre mit seinem Porsche, der Zahnarzt mit seinem Sportflugzeug. Darum der Hang des Gangsters zum gesitteten Auftritt, zur Villa mit Gärtner, zu Tennis und Golf.

Verbrecher wären die letzten, die das Volk zum Umsturz aufriefen, es sei denn, es gehe lediglich um Tumult, in dessen Chaos sich besser verbergen lässt, was Verbrecher nun einmal zu verbergen haben. Auf den Trümmern einer solchen Revolution allerdings ließe sich auch eine hübsche Diktatur errichten, ein ganzer Staat, statt bloß des kleinen Reiches des Gangsterbosses und Patrons.