[»ποίημα I«, Lorena Kirk-Giannoulis]
Die Zusammenhänge sind deutlich, wenn ich auch nicht weiß, welche Zusammenhänge.
[Aus: Günter Eich »Maulwürfe« (1968)]
Endlich weiß man, was Zeit ist: Solange man auch trödelt, es wird nicht früher.
[Aus: Günter Eich »Maulwürfe« (1968)]
Unstimmigkeiten
(Stimmengewirr)
die Uhr tickt stimmlose Konsonanten
(Autolärm)
ein Brunnen plätschert fontänenschwach
(Hupkonzert)
Windfinger rascheln im Knisterlaub
(quietschende Bremsen)
Lautlos pochende Passantenpulse
(Hundegebell)
Zwei Zaunvoll zartzwitschender Zilpzalpe
(Düsenjägerfauchen)
ein ohrnaher gewisperter Schwurhauch
(Sirenengeheul)
diese gemurmelten Verse.
Meditation
Gespräche,
verstummt,
zu elliptischen
Silbenpartituren;
Blutmantra im Ohrensummen.
Klanglose Vokalisen
die Kargworte;
Einflüsterungen,
Verlautbarungen,
werden gemutet.
Klangwolkenbruch
mit Konsonantenregen;
leicht gespeichelte Lungenluft
mit hoher Zungenschlagzahl
zerhackte Schallwellen
galoppierende Pferde
hyperventilierend
ungelenk verartikuliert –
doch dann detoniert
in buntem Schweigen
in meinem Bauchgefäß
die Stille.
Ad libitum
Jerichos starke Mauern
beginnen schon zu wanken;
die Häuser sind zerfallen,
unisono die Gedanken.
Vitrinen vibrieren;
Fensterscheibe zittert;
Überschallknall;
Kristallglas splittert.
Gehäutete Schutzhülle;
jahresberingte Verdickung;
ausgewrungenes Echo;
schallwarme Verstrickung.
Deine Stimme in meinem Hirn
vergräbt sich in den Windungen:
mein einziges Echolot
in der Tiefe der Empfindungen.
Liedblätter flattern zum Himmel,
vergilben im Briefkastenschlitz;
Titanen mit grollendem Donner
töten mit lautlosem Blitz.
Tacet: verklungen die Seufzer.
Da capo: es fängt schon wieder an.
Meine Asche taugt nicht zum Phönix.
Unwiederholbar ist mein Gesang.
Klangkörper
Ein Klangteppich aus Patchwork.
Stille aus einem Guss.
Innere Stimmen flüstern so leise,
dass ich innehalten muss.
Domestiziert alle Urschreie,
auf Zimmerlautstärke gedimmt;
ein einsamer Schwanengesang,
der im Nebel verschwimmt.
Schweigend schwebt geflockter Schnee.
Der Vulkan brüllt mit rotem Schlot.
Vielstimmig ist das Leben.
Einsilbig ist der Tod.
BORIS GREFF, Jg. 1973, geb. in Saarbrücken, lebt in Merzig/Saar, Studium der Hispanistik und Anglistik, literarische Übersetzungen u. a. für die Andere Bibliothek, Veröffentlichung von Kurzgeschichten und Gedichten in diversen Anthologien (zuletzt in der Zeitschrift „Das Gedicht“ 2021 und 2023, im Experimenta-Magazin 2023 sowie in der Anthologie „Lichtblicke“ Gedichte, die Mut machen, Reclam Verlag 2022). Der erste Gedichtband „Augenblicke und Wimpernschläge“ erschien im September 2021 im Treibgut-Verlag, Berlin. Der zweite Gedichtband „Aus meinen Gedanken gerissen“ erschien im Februar 2023 im Athena Verlag. Der nächste Band „Auf der Sternscheinpromenade“ erscheint Anfang 2024 im Gill-Verlag.