Samstag, 20. Februar 2021

Z. Z. XIV [»Der Galeerensklave« von Martin Rothhaar]

 


[Charlie Chaplin »Modern Times« (1936)]



Greed has poisoned men’s souls, has barricaded the world with hate, has goose-stepped us into misery and bloodshed. We have developed speed, but we have shut ourselves in. Machinery that gives abundance has left us in want. Our knowledge has made us cynical. Our cleverness, hard and unkind. We think too much and feel too little. More than machinery we need humanity. More than cleverness we need kindness and gentleness. [Charlie Chaplin »The Great Dictator« (1940)]

My faith is in the unknown, in all that we do not understand by reason; I believe that what is beyond our comprehension is a simple fact in other dimensions, and that in the realm of the unknown there is an infinite power for good. [Charlie Chaplin »My Autobiography« (1964)]



Der Galeerensklave


Gierige rotgelbe Finger fraßen sich in die Schwärze der Nacht. Vorboten der Sonne, die bald dem Meer entsteigen und ihre Höllenhitze über das nahe Land kriechen lassen würde. Heiß würde es wieder werden, so heiß, dass der frische Morgentau in wenigen Minuten verdampft wäre.

Er öffnete die Augen. Trotz der Müdigkeit war sein Bewusstsein hellwach und er achtete darauf, sich nicht zu viel zu bewegen. Er hatte lernen müssen, regungslos aufzuwachen. Vielleicht waren die Wachen, die Folterknechte, schon wach, und er wollte nicht ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Langsam streckte er ein wenig die Beine, um die Steifheit loszuwerden. Sein Nebenmann schlief noch. Nicht, dass er ihn sah, denn er traute sich nicht, den Kopf zu bewegen, aber dieser schnarchte, als ob es dafür eine Extraration Verpflegung zu gewinnen gäbe.

Verpflegung - bald, wenn die Sonne aufgegangen war, würden die Wachen jedem ein Stück in sauren Wein getunktes Brot reichen. Das würden sie auch tun, wenn er ruderte. Nicht etwa aus Mitgefühl, sondern damit die Sklaven beim Rudern nicht zusammenbrächen. Dann würden sie beim Anfeuern auch weniger gepeitscht und ab und an mit Meerwasser gekühlt werden. Das Salz riss die schon von der Peitsche geschundene Haut weiter auf und das Blut rann in kleinen Rinnsalen über den gequälten Rücken, aber die Hitze wurde erträglicher.

Bald würde auch der Numidier die Trommel zum Rudertakt schlagen - Bumm --- Bumm --- Bumm. Dann würde er in der Schlacht auf Anweisung des Kapitäns die Schlagzahl erhöhen - Bumm - Bumm - Bumm und schließlich ins Extatische steigern - BUMM-BUMM-BUMM. Dabei würden die Ketten auch wieder die Beine aufscheuern, die dann mit dem Rücken, den Armen, den Schultern und den Händen um die Wette schmerzten.

Ketten! KETTEN? Wieso hatte er eben, wenn auch vorsichtig, die Beine strecken können, wenn er doch an der Ruderbank angekettet war? Er blickte an sich hinab. WO WAREN DIE KETTEN? Wieso fand er keine? Hatte sie jemand gelöst? Und wenn ja, wer?

Langsam erhob er sich ein wenig. Die Galeere lag vor Anker und das Ufer war nicht weit entfernt. Er war geschwächt, aber er konnte immer noch schwimmen! Und die Wachen schliefen noch! Wenn er jetzt zur Bordwand schlich, konnte er leise am Rumpf entlanggleiten, ins Wasser steigen und ans Ufer schwimmen. Nie wieder die Peitsche spüren, nie wieder von Schmerzen und Hoffnungslosigkeit gequält in Agonie verfallen! Dann war er frei..., frei..., FREI!!!

Er hielt inne. Aber wer würde ihm dann in sauren Wein getunktes Brot reichen? Wer würde ihn dann mit einem brummigen Kopfnicken aufmuntern? Wer würde ihn dann mit Meerwasser kühlen?

Und so ruderte er und ließ sich peitschen! Und so ruderte er und ließ sich füttern! Und so ruderte er und ließ sich mit Salzwasser kühlen!

Und er ruderte... und ruderte... und ruderte... [Aus: Martin Rothhaar »Spekulative Existenzphilosohie)« (2020/21)]