Donnerstag, 10. Januar 2019

The Gas Station (Variationen) [= S / W 5.2]



[Willy Piehler (1900 - 1971)]









5.2 Arena



Die Wärme, hieß es dort, hatte Alois von seiner Mutter geerbt, sie war schnell begeistert und weinte leicht, den Formensinn von seinem Vater, dem gewandten Spengler, der in seiner Freizeit mit Weißblech und Lötkolben hantierte und schöne, genau berechnete Tuschzeichnungen dazu anfertigte. Ein Waschkessel und eine Sitzbadewanne waren Zeugnisse seines Fleißes und Könnens. Besonders bewunderte Alois das schöne kannelierte Blechgehäuse, das der Vater, bevor Alois einen Blick in die Welt warf, für Alois' Großvater gebosselt hatte. Es sollte die Spieldose aufnehmen, die der alte Schlander über der Schulter hängen hatte, als er bettelnd von Dorf zu Dorf gezogen war. Ihre messingne, mit kleinen Stahlstiften besetzte Walze machte, wenn er sie an den Zinken eines Stahlkammes vorbeidrehte, die Musik, welche die Zuhörenden dazu bewegen sollte, ihm ein paar Pfennige in die Mütze zu werfen. Auf diese Weise erhielt sich der hilflose Alte am Leben, bevor seine Töchter – die jüngere von beiden war Alois' Mutter – aus der Schule entlassen waren und ihren Vater unterstützen konnten. Die Ursache seines Elends war die Dreschmaschine, an welcher der Dorftagelöhner im Ökonomiehof des Graf Pappenheimschen Schlosses arbeitete, das zu Häupten von Möhren liegt, einem Ort in der Nähe von Treuchtlingen, wo die Altmühl vorbeifließt, ehe sie die Donau erreicht. Die Dreschmaschine zerfetzte dem Tagelöhner die Hand, und der herbeigerufene Arzt amputierte sie, ohne dass es vielleicht nötig gewesen wäre. Als jemand eines Tages im Garten die Hand fand – man hatte sie in eine Zigarrenkiste gesteckt und vergraben – und sie dem Alten zeigte, weinte er bitterlich. Er war nun ganz ein Krüppel, denn er war als junger Mensch von einer Tenne gestürzt, hatte den Fuß gebrochen und war nie mehr damit zurecht gekommen.

Die feingliedrigen Hände, welche teilweise abgesplitterter dunkelroter Nagellack zierte und die auf der oberen Kante der WC-Kabine deutlich in voller Länge zu erkennen waren, gehörten bar jeden Zweifels zu einer Frau, die gelebt, geliebt und gearbeitet hatte. Indessen bewunderte Rohlfs ihre Schönheit sowie ihren reizenden Wuchs. Die Länge der Finger musste diejenige seiner eigenen um nahezu ein Viertel überschreiten. Es waren Hände, deren Welkwerden Zeichen geheimer Schmerzen oder Leidenschaften verrieten. Andererseits erkannte er vergangenen Reichtum und gegenwärtigen Mangel in der noch immer festen und ruhigen Umklammerung der Türkante. "Cînta mai departe, trubadurule! Ar fi bine sa te împaci cu ideea că eşti un fel de vrăbioi închircit!" "Eine Art verkümmerter Spatz!", wiederholte Rohlfs verlegen die letzten Worte der sonoren Frauenstimme im dunklen Alt-Bereich.

Das passierte ihm immer! Sie musste doch einsehen, dass er nun wirklich gerade unpässlich war. Außerdem hatte ja nicht er gesungen, es musste einer der Rumänen oben aus dem Lokal gewesen sein. Und dann gerade dieses Lied! Er hatte es einmal auf einem Rastplatz von Fernfahrern gelernt. Takt hatte sie immerhin, denn nun hörte man sie den Wasserhahn fest aufdrehen und nach dem Rauschen das typische Quietschen eines Lederwischtuches. Auch über den Spiegel fuhr sie wohl, denn das Quietschen wurde noch einmal lauter. Jedenfalls begann sie das Lied zu summen, das der Rumäne gesungen hatte. "Und warum kommen Sie nicht einfach raus wie ein großer Junge? Ist doch weiter nichts dabei."

"Ich werde versuchen mich mit der Idee anzufreunden, Lucy!" "Lucia!", entgegnete die Frau. Rohlfs versuchte an Haltung zu gewinnen und griff nach dem groben Toilettenpapier zu seiner Rechten um sein Gesäß damit abzutrocknen. In seiner linken Hand balancierte er gleichzeitig das Notizbuch, von dem er unter keinen Umständen lassen wollte.

War auch Alois ein anderer? Nein, er war derselbe geblieben; nur die Umwelt hatte sich verändert. Es wäre wohl besser gewesen, man hätte ihn in seiner schlichten Welt belassen. Jedes Tier braucht die ihm zukommende, eigene Welt; man kann es nicht in eine ihm fremde versetzen, ohne dass es verkümmert und eingeht.

Eine Ungeschicklichkeit musste dazu geführt haben, dass mehrere Seiten des Buchs nass geworden waren und die Tinte vor seinen Augen zu gerinnen begann. "Halten Sie bitte rasch das Buch unter den Warmlufthändetrockner für mich! Rasch, Lucia! Rasch!", rief Rohlfs der Frau beinahe vorwurfsvoll zu, als habe sie das Malheur zu verantworten, während er das aufgeschlagene Buch wie ein rebellierender Häftling immer wieder gegen die Unterkante der Kabinentür schlug. Da Lucias Hilfe jedoch ausblieb, öffnete Rohlfs die Kabinentür und streckte mit heruntergelassener Hose verstohlen den Kopf in Richtung des Waschraums, wo ihm lediglich die ihm bekannte Rufnummer ins Auge stach, die sie mit Lippenstift auf dem breiten Spiegel hinterlassen haben musste. Reflexartig versuchte er zumindest seine Blöße unter der Hose zu bedecken und bewegte sich ohne zu zögern teils laufend, teils rutschend in Richtung des Warmlufthändetrockners um sogleich den elektronischen Infrarot-Näherungsschalter auszulösen. Als er seine rechte Hand zur Hilfe nahm um die durchweichten Seiten zu trocknen, entblößte sich sein Gesäß allerdings erneut, was er nur durch Spreizen der Beine ein wenig zu verhindern wusste. Sein Blick wanderte noch einmal auf den Spiegel, in dem er genau sehen konnte, wie sich drei Bundeswehrsoldaten in voller Tarnung sehr langsam vom Pissoirbereich aus auf ihn zubewegten. Wie konnte ihm ihre Anwesenheit bisher nur entgangen sein?

Das Gespräch der Soldaten war mit einem Mal verstummt. Rohlfs hätte erklären wollen, wenn er nicht genau gewusst hätte, wie vergeblich es war. Der Blick eines der Burschen auf seinen emporgereckten Po - das war der Moment gewesen, in dem alle verstummten - dann zu dem, der neben ihm zur Tür hereinkam, wortlos drückten sie sich an ihm vorbei in den Nebenraum wo sich die Toiletten befanden. Was nutzte es, dass Rohlfs blitzschnell die Hosen hoch hatte, wenn auch nur vorne mit der Hand gehalten, ein Stoffbündel, die Beine jetzt zu hoch, seine Knöchel entblößend, während er hinten fühlte, wie sich der Stoff nässte; wenigstens würde diese Peinlichkeit sein Sakko überdecken. Die Jungen hatten im Übrigen ihr Gespräch wieder aufgenommen, redeten auch nicht etwa über ihn. Hätte wenigstens jemand gelacht, oder eine unpassende Bemerkung gemacht, Rohlfs hätte versuchen können sich zu verteidigen. Jedenfalls musste er diesen Ort verlassen, bevor die Soldaten zum Waschbecken kamen. Ob er auch sein Notizbuch hatte? Ja, es stach dick und schwer an seinem Platz.

"Der Angeklagte hat am 27. April 2002 in der Herrentoilette einer Tankstellencafeteria unhygienisch gehandelt und darüber hinaus sich des Vorzeigens seiner Blöße in einem minder schweren Fall schuldig gemacht", ließ er die Richterin aus den Akten vortragen. Beim Hinausgehen schweifte sein Blick zur halb offen stehenden Tür des Waschraums der Damentoilette, wo er auf der Platte des Waschtisches ein Tablett mit zwei mäßig dampfenden Bechern Kaffee sah. Unvermittelt begann sein Herz zu klopfen. Es konnte ja nicht sein, und doch war und blieb Reich verschwunden! Darum zog Rohlfs auch gar nicht die Möglichkeit in Betracht, er könnte ihm etwa auf der Treppe entgegenkommen. Übrigens meldete sich auch der metallische Geschmack, was eher ein gutes Zeichen war.

Reflexartig griff Rohlfs nach seiner Jackentasche. Wie groß mochte der Schaden an seinem Notizbuch wohl sein? Rohlfs steuerte eine der Sitzgruppen an, wo er sich in eine Ecke kauerte. Er blickte in die Runde um teils enttäuscht, teils erleichtert festzustellen, dass die Rumänen ihre Plätze inzwischen verlassen hatten. Andererseits parkte der blaue Kleinlaster, der ihnen gehören musste, noch immer an derselben Stelle, so dass es auch jetzt noch nicht vollkommen ausgeschlossen war, die von ihm in Betracht gezogene Mitfahrgelegenheit zu finden. Ob sie bereits in ihrem Fahrzeug saßen oder sich vor der langen Reise noch ein wenig die Beine vertraten?

Die Verkäuferin schien ihre kleine wohlverdiente Pause offensichtlich der Berechnung des Tagesumsatzes zu widmen. Vielleicht sollte sie in Kürze von der Nachtschicht abgelöst werden. Ihm schenkte sie - zumindest bisher - keine Beachtung. Tatsächlich war er in diesem Moment allein mit ihr in der Cafeteria der Tankstelle, auch wenn es gewiss nicht mehr lange dauern konnte, bis die Soldaten des 117. Infanterieregiments in ihren bunten Röcken - so hatte Rohlfs sich die Notiz in seinem Buch festgehalten - hier oben aufmarschieren würden. Er hätte auch gerne das Wort "aufmarschieren" in die Notiz aufgenommen. Das geschah ihm oft, dass ein besonders unentbehrliches Wort sich nicht in den Rahmen seiner Notizen fügen wollte. Er las es dann jeweils, ohne dass es da gestanden hätte. Eigentlich hatte er auch noch nie ein solches Wort oder eine Bezeichnung je vergessen, und doch wäre es ihm lieber gewesen, das Wort wäre eben auch aufgeschrieben, es war jedenfalls eine Schwäche seines Systems. So las und sprach er also in Gedanken weiter: "Da flammt ein blitzendes Verheeren", und er blickte auf, ob die Burschen nicht gerade kämen, während er ihnen diese Worte entgegenschleuderte. Auf ihn wollten sie etwa herabblicken mit ihren Helmbüschen, auf ihn, der dem Amt für Verteidigungslasten widerstanden hatte, indem er ihm bewusst seine Dienste verweigerte. Was wussten diese Jungen von seiner einstigen Loyalität dem Amt gegenüber, bis es um Saeed ging, den sie schlugen und mit eiskaltem Wasser übergossen. Dienst, es war Dienst, wenn die acht Stunden des einen vorüber waren, begann die Schicht des nächsten. Eine andere Abteilung, sie ihrerseits waren zuständig für saubere Kleidung und Kost, für Prügel und Schande die anderen. Ausweisung, vorsichtshalber, hatte man Rohlfs gesagt, denn nachzuweisen war Saeed nichts. Wie auch, da wäre eher Rohlfs etwas nachzuweisen gewesen! Saeed war weg. Man müsste doch Schreie gehört haben? Am Anfang, alle schrien schließlich, wenn auch nicht gleich, wohl aus Scham, insbesondere, wenn es jemand aus dem Amt war, was häufiger vorkam, als man denken würde. Aber das hatte man dann bald im Griff. Die Leute hätten auch protestiert, nicht wegen der Sache an sich, die Maßnahmen waren wohl nötig, aber doch eine Zumutung. Saeeds wegen wäre es umso weniger zu Protesten gekommen, im Gegenteil, es war nur normal, wenn einer es darauf anlegte, sich falschem Verdacht auszusetzen! Darüber hatten sie wie oft gescherzt, und Rohlfs fühlte den bitteren Sarkasmus Saeeds wohl und fragte sich insgeheim, warum er das machte. Bei der Einfalt der sie umgebenden Belegschaft war abzusehen, dass es Saeed eines Tages treffen würde. Rohlfs meinte, er lege es in gewisser Weise regelrecht darauf an. Irgendetwas wollte er damit beweisen. Auch ihm, ärgerlicherweise! Hatte er nicht sogar gegenüber der Familie Stellung bezogen, Saeed mitgebracht, hochmütig, wie er war, der mit allen aneckte? Aber das war nicht genug, womit Saeed ja eigentlich Recht hatte. Dann die Sache mit der Freiheitsstatue im Garten. Sie war keine Verhöhnung der Gartenzwerge, aber dass sie eine semitische Nase hatte, entging irgendwie keinem, und dann natürlich das Krummschwert anstelle der Fackel. Jedenfalls stand die Figur keine zwei Tage, erst war der Arm abgebrochen, dann der Kopf. Dass das Ganze ein Scherz gewesen sei, aus einer Laune heraus hatten sie die Figur modelliert, war die Wahrheit. Saeed in seiner finsteren Art hatte allerdings festgestellt: "Zwei Tage gebe ich der Figur." - "Ach was", hatte Rohlfs gemeint, "wer macht sich überhaupt nur die Mühe, höchstens dass vielleicht einmal einer eine Bemerkung loslässt."

Rohlfs war zu feige gewesen nach Saeed zu fragen, also fragte man ihn, ob seine Kündigung etwas mit Saeed zu tun habe? Das sei regelrecht Fahnenflucht! Und er könne gar nicht kündigen, wie er meine, und schon dreimal nicht, wenn es wegen Saeed wäre. Ob er schon einmal darüber nachgedacht hätte, was es bedeutete, wenn Leute wie Saeed es bis ins Amt schafften? Was es bedeutete für Mitarbeiter in seiner unmittelbaren Umgebung? Natürlich hätten die sich das nicht ausgesucht, aber so sei es nun einmal. Was wussten diese Jungen von seiner einstigen Loyalität dem Amt gegenüber, die er für Saeed aufzugeben bereit war, vielleicht bloß aus dem einen Grund, dass er niemals einen Hehl daraus machte, dass er Marxist sei, denn jeder vernünftige Mensch, so sagte Saaed oft in Anwesenheit all der Generals und Majors gleich welcher Hautfarbe, müsse Marxist sein. In Verkaufsverhandlungen am Telefon hinsichtlich des An- und Verkaufs von Militärfahrzeugen verstand er seine Gegenüber oft mit Wendungen aus dem Konzept zu bringen, welche diese meist als Anlass zur Erheiterung auffassten. "Hope you won't drown in the icy water of egotistical calculation, man!"

Saeed erfreute sich nach fünfzehn Jahren treuem Dienst der allergrößten Beliebtheit. Lediglich die Vorzeichen hatten sich seit 1979 von einem Tag auf den anderen geändert. Mit einem Mal lachte man nicht mehr über seine Aperçus und man stellte ihm von höchster Stelle schier unaufhörlich unbequeme Fragen etwa bezüglich des Datums seiner ersten Ausreise aus dem Iran am 19. August 1953, die unbeantwortet blieben. Stattdessen hetzte man ihm diese Kerle auf den Hals. B-Film-Agenten. Saeed würde ihm zu essen geben und ihm saubere Kleidung zur Verfügung stellen. Wer sonst in diesem Land mochte noch so viel Anstand besitzen? Bestimmt hatte man ihn inzwischen ausgewiesen oder aber er hatte sich bereits in ein anderes Land abgesetzt.

Seinen Vorfahren zum Trotz wollte Rohlfs von neuem aufbegehren. Bestrafen wollte man ihn für seine vermeintliche Fahnenflucht eines Fremden wegen, der von einem Tag auf den anderen nicht mehr dazugehörte, weil sein Name die Verantwortlichen plötzlich in Panik versetzte. "You're no longer one of us, sucker! Know what I mean!", hörte man selbst den schwarzen Sergeant der US-Armee sagen, der sonst am lautesten über Saeeds geistreiche Bemerkungen gelacht hatte.

Überall lauerte man nun auch ihm, Rohlfs, auf, bis hinein in die Verdrahtung seines Telefons. Einmal schaltete sich sogar ein Beamter in irgendeine politische Polemik in die Leitung ein. "Hierüber würde ich an Ihrer Stelle keine Witze machen, Rohlfs!" Wie viele Jahre waren inzwischen vergangen? Zwanzig? Dreiundzwanzig? Spielte dies überhaupt eine Rolle? Wie ahnungslos waren seine Ahnen hinsichtlich der unbegrenzten Möglichkeiten der Kontrolle! Einmal noch wollte er ihnen sein Gesäß zeigen. "Mooning!", wollte er ihnen zurufen, wenn sie, der Stolz des Vaterlandes, ihm Arm in Arm mit Reich auf der Treppe entgegenkämen. "You're no longer one of us, sucker! Know what I mean!"

Der Vater verglich das Krachen der Stiefel mit dem Stampfen einer Maschine. Eines Tages aber erblickte Alois etwas, was ihm in seinen kindlich naiven Kopf nicht hinein wollte. Da wurden Soldaten von einem Unteroffizier, der sie wütend anschrie, über den Kasernenhof hin und her gejagt. Hatten die etwas verbrochen?

Alois ging zur Mutter in die Küche hinaus. Als er nach einer guten Stunde ins Zimmer zurückkam und ans Fenster trat, rannten die Männer immer noch, von dem Unteroffizier angetrieben, hin und her. Sie hörten auch nicht auf, als einer auf den Boden stürzte und wie tot vom Platz getragen wurde. Alois fragte sich, für was das gut sei. Er wusste keine Antwort.

Einige Zeilen waren durch das Malheur, so viel stand fest, derart in Mitleidenschaft gezogen worden, dass die Erinnerung an jene Zeit für immer verwischt blieb. Das Original existierte längst nicht mehr und sein Verfasser hatte sich nach seinem Kenntnisstand schon in den fünfziger Jahren ins Ausland abgesetzt.

Was Alois sein Leben lang fehlen würde, war, was man "Heimat" nennt. Hieran würden auch die Jungen nichts ändern können.

"Steigt nur ein in eure tiefliegenden Schlitten und lasst die Bässe vibrieren, denn das Recht ist auf Eurer Seite", rief Rohlfs in Richtung des Verkaufstresens, der erneut von Kunden umlagert war, obwohl es Rohlfs in dem kurzen Zeitraum der Lektüre nicht aufgefallen war, dass der Raum nicht mehr ihm allein gehörte. Hatte man ihn etwa hören können? Niemand verzog auch nur eine Miene.

Es hatte wieder zu regnen begonnen und ein wahrer Orkan tobte über den Platz. Die Leuchtreklame der Benzinmarke schwankte an ihrem Mast, der seinerseits in ein gefährliches Vibrieren geraten war. Es konnte eigentlich nicht viel fehlen, bis die Halterungen in Stücke zersprangen. Die Leute tankten trotzdem wie besessen, nicht eine Zapfsäule, an der nicht ein Auto den Zapfhahn im Tankstutzen stecken hatte. Natürlich hörte man das typische Geräusch der Pumpen nicht. Dafür knatterten die Fahnen, die ebenfalls das Emblem der Marke trugen wie wild und es flatterten die Hosenbeine der Kunden mit ihnen um die Wette. Eine Wasserkanne, die nicht ausreichend gefüllt war, wirbelte davon und schlug gegen die Flanke eines Autos gegenüber. Dort blieb sie liegen, als könnte sie kein Wässerchen trüben, während ja der Sturm weiter rauschte, nur dass dort direkt neben dem Wagen offenbar Windstille herrschte, jedenfalls für den Augenblick. Niemand machte sich irgendeine Mühe mit der Kanne. Erst einmal lag sie da, mal sehen, was weiter geschehen würde.

Der Regen war noch heftiger geworden und wehte an den Rändern der Bedachung bis an die abgestellten Fahrzeuge heran, als wollte er sich von nichts aufhalten lassen. Wer eine Tür auf der Seite öffnen musste, von der der Wind kam, den sprühte er mitleidslos an. Es konnte auch sein, dass eine Ladung Wasser von der Dachkante abriss, damit man gehörig nass wurde.

Einen Regenmantel sollte man bei dem Wetter eigentlich tragen, was die Autofahrer natürlich nicht taten, da sie ihren vorwiegenden Aufenthalt im Auto ja nur unterbrachen um nach dem Tanken und einem kurzen Aufenthalt an der Kasse, vielleicht noch im Shop und in der Cafeteria, die ihrerseits natürlich klimatisiert zu sein hatten, wieder das Innere ihrer Autos aufzusuchen.

In Tankstellenshops wurden geradezu ausschließlich solche Waren angeboten, wie Rohlfs sie niemals konsumierte. Darin war diese wunderbare Warenwelt völlig solchen Orten gleich geblieben, wie er sie seit Kindertagen kannte, wo man für sein Taschengeld die kleinen Dinge kaufte, die man nicht brauchte, und für die man sein weniges Geld ausgab, das für etwas, das man wirklich gerne gehabt hätte, ja nie zusammenkommen würde. Genossen also die Leute all das Überflüssige, das von diesen Verkaufsregalen prangte, so wie es die Kinder taten, deren Barschaft an das, was die Welt der Erwachsenen darstellte, nicht heranreichte? Verhielt es sich mit den Bedürfnissen der kleinen Leute so, dass sie sozusagen umgekehrt wirkliche Sehnsüchte abbildeten, deren Verwirklichung allerdings völlig außerhalb jeder Reichweite lag?

Reich war indessen wie ein Fußgänger gekleidet gewesen, mit einem hellen Popelinemantel, zu dem auch ein Hut gepasst hätte, aber er hatte einen Schirm dabei gehabt. Hieß das, dass er mit dem Bus gekommen war, oder setzte ein Kollege ihn irgendwo in der Nähe ab? Derselbe Kollege vielleicht, der im Wagen gewartet hatte und mit dem der Doktor jetzt verschwunden war.

Rohlfs wollte auf jeden Fall wegen des extremen Wetters noch einmal in seinem Notizbuch nachsehen. Richtig, 24. April 1998: orkanartiger Wind, schwankende Reklametafeln; und dann noch genauer: umherwirbelnde Plastikkanne. Die Zeichen waren eindeutig zusammen. Früher hatte das Rohlfs in Panik versetzt. Aber er war über die Jahre klüger geworden. Gerade die Gleichgültigkeit der Leute, die sich ahnungslos in Sicherheit wiegten, machte ihn heute ruhig. Er war ja gewarnt, das wenigstens. Letztlich würde man nichts tun können, aber es war doch etwas ganz anderes, wenn man wenigstens nicht mittat, wenn man innerlich Stellung bezog, wenn man natürlich zu schwach war, aber doch alles klaren Auges sah!

Er liebte wohl seine Mutter und hasste den Vater, den er als Konkurrenten betrachtete. Hass und Angst bemächtigten sich seiner, wenn der Vater den Schlüssel im Türschloss umdrehte. Er hatte einen Ödipuskomplex, wie ihm der Prediger klar machte, der Sigmund Freud studierte und die von ihm gewiesenen Wege der Therapie an Alois auszuprobieren trachtete. Er empfing ihn jede Woche einmal in der Villa im Stadtpark, in der er den oberen Stock bewohnte, ließ sich sein neuestes Gedicht vorlesen und über seine Träume berichten, um sie zu deuten und so des Jungen geheimste Nöte auszuforschen. Indem er so sein Unbewusstes bewusst zu machen suchte, wollte er seine Heilung herbeiführen.

Alois litt, wie er während der Religionsstunden beobachtete, an "absencen", kurzen Bewusstlosigkeiten, die zehn- bis zwanzigmal in der Stunde auftraten. Diese den Jungen niederdrückenden Störungen versprach der gescheite, ehrlich bemühte Mann durch das Aufdecken und Aussprechen der verborgenen Ursachen von Grund auf zu heilen.

Der Vater, der von den Besuchen des Sohnes bei dem "verstiegenen Mann", dieser Heilweise, besonders aber davon, dass dabei Alois' Verhältnis zu seinen Eltern zur Sprache kam, wenig erbaut war, nahm Anstand daran, dass der Prediger das Band zwischen Eltern und Kind zerschneide und untersagte Alois weitere Besuche. Stattdessen schickte er ihn ins Neubrunnenbad zu Dr. Frey, der die psychoanalytische Behandlung durch handfeste, jedoch nicht minder dunkle Hypnosen ersetzte. Alois musste einige Minuten auf ein silbern funkelndes Kügelchen blicken, das der Arzt vor seinem Gesicht vorbeibewegte; ein andermal strich der würdige, weißhaarige Mann mit der Hand über Stirn und Schläfen und wiederholte: "Ganz ruhig bleiben! An nichts denken! Nichts wollen!" Er wollte den Willen des Patienten ausschalten und ihm den seinen, der, wenn man den Mann nur ansah, Sicherheit und Zuversicht zu garantieren schien, aufzwingen. Aber Alois wollte das nicht, wollte sich keinem Menschen, auch keinem Arzt, unterwerfen. Dr. Frey erkannte schließlich, dass er bei dem Querkopf nichts ausrichten würde und brach die Behandlung ab.

Alois suchte und fand am Ende seine Heimat – in sich selbst. Zwar fühlte er sich manchmal ein wenig einsam unter all den gesprächigen, lachenden und scherzenden Menschen, doch es bedrückte ihn nicht.

Vieles war von hier an tatsächlich unlesbar geworden, doch die Zeichen, verwandelt in verflossene Tinte, lockten ihn dazu in die verschwommene Schrift hineinzuschreiben. Er legte etwas an eine Stelle, wo er es nie mehr finden würde. Er setzte Teile, die ein Ganzes werden sollen, nicht erst in Gedanken zusammen, ehe er es wirklich tat. Dabei war er keineswegs dumm. Rohlfs zeichnete die Lettern des letzten Satzes mit so viel Druck nach, dass das feine Papier zu zerreißen drohte.

"Ich muss Sie darauf hinweisen, dass dies kein Aufenthaltsraum ist!", hörte Rohlfs eine ihm fremde, krächzende Frauenstimme in seiner Reichweite sagen. Wie lieblich hatte Lucias sonore Stimme hingegen geklungen! "Verzeihen Sie, ist das hier schon die Endstation?", hörte er sich irritiert erwidern. Gleichzeitig untersagte er ihr in Gedanken in diesem anmaßenden Ton mit ihm zu reden. Das Gelächter hinter seinem Rücken, das, so nahm er an, zu den Soldaten gehören musste, durchbohrte ihn wie Maschinengewehrsalven. "Lassen Sie nur", rief einer der tapferen Burschen. "Der Kerl stört doch keinen, oder?"

In der Tat machte einer der drei Uniformierten Anstalten sich seinem Platz zu nähern, während die Frau, die niemand anderes als die doch recht korpulente Verkäuferin war, kopfschüttelnd ihren Verkaufstresen aufsuchte. "Komm, setz dich zu uns, Mann!"

Rohlfs konnte den knappen Befehlston in der Stimme des Gefreiten unmöglich ignorieren, zumal dieser bereits drauf und dran war ihn mit einem einzigen schnellen Griff unter den Arm abzuführen.

Zumindest versuchte er sich an den Gesichtsausdruck zu erinnern, mit dem er sich einst im Amt selbst die unangenehmsten Geister augenblicklich vom Leibe hatte halten können. Eine passende Erwiderung wollte ihm mit der gebotenen Geschwindigkeit jedenfalls nicht in den Sinn kommen, sodass er, ehe er sich versah, mit den drei Bundeswehrsoldaten am Tisch saß. "Gehst noch 'nen Becher Kaffee und zwei Dosen Stoff holen, Siggi! Nimm den Zehner mit! Geht auf mich..., aber du fährst! Klar?"

Rohlfs ließ sich seine Fassungslosigkeit nicht anmerken, so hoffte er wenigstens. "You're completely out of focus, man!", äußerte er schließlich und freute sich insgeheim, dass es ihm gelungen war dem Absender des Kommandos eine verblüffte Miene entlockt zu haben. "Wohl 'n Ami, Köhler!", wand sich der Kommandant an seinen Banknachbarn, der die ganze Zeit über konzentriert in den kleinen Aluminiumspalt der Bierdose vor ihm gestarrt hatte und auch jetzt keine Miene verzog. Nach einer ungewöhnlich langen Pause begann sich zuerst der Mund des Mannes zu bewegen, bevor er etwas sagte. "Glaub' ich nich', Haber! Hat 'n ziemlich fettes Deutsch drauf gehabt auf 'm Klo eben, oder?", entfuhr es ihm auf eine derart in die Länge gezogene Weise des Sprechens, welcher darüber hinaus ein seltsames, kaum wahrnehmbares Crescendo innewohnte, das Rohlfs intuitiv mit unverhohlener Gewalt assoziierte, sodass er fortan auf der Hut zu sein beschloss. Köhler zeigte mit einem schwer beringten Mittelfinger kurz auf das Notizbuch, das Rohlfs nun mit beiden Händen fest umklammerte. "Schreibst wohl Gedichte, Meister?", fragte Köhler ihn nun ein wenig belebter, jedoch noch immer nicht allzu rasch. "With yellow pears the land. And full of wild..." "Lass gut sein, Mann! Und dein Name is'?", unterbrach ihn Köhler rüde, als habe er ein Recht auf eine Antwort. "Rosen!", entgegnete Rohlfs so gelassen wie möglich. "Hat 'nen geilen Hintern, die Mandy! Hab' gesehen wie du vorhin drauf geglotzt hast, Alter! Wenn du willst, mach ich was klar für Dich! Weiß, wo die sich nach Feierband rumtreibt! Is' nich' 'mal weit von hier, Mann", mischte sich unvermittelt der Soldat namens Haber in das Wortgefecht ein. Es überraschte Rohlfs, keinerlei Spott in ihren Stimmen gehört zu haben. Ihre Gesichter nahm er ohnehin nur äußerst vage wahr, da er die ganze Zeit über sein rechtes Auge zugekniffen hielt und auf seinem linken Auge aufgrund einer Hornhautkrümmung von Geburt an nahezu blind war. Auf diese Weise konnte er sich ganz auf den Tonfall der Soldaten konzentrieren. "Scheint 'n mordswichtiges Buch zu sein, an dem Du Dich da so festklammerst, Rosen!", ergriff Köhler das Wort erneut, als plötzlich Siggi auftauchte um die Getränke zu servieren. Bevor er sich hinsetzte, wandte er sich grinsend an Köhler, dem allem Anschein nach eine Führungsrolle zukam: "Soll noch 'mal die Aloisnummer aus 'm Klo machen!" Köhler öffnete die Bierdose und nahm einen kräftigen Schluck. "Halt's Maul, Siggi!", herrschte Köhler seinen Kumpanen an. "Und Du, Rosen, hörst jetzt 'mal auf den Amerikaner zu markieren!", richtete er das Wort an ihn um seine Worte sogleich mit einem weiteren langen, gurgelnden Schluck aus der Dose zu besiegeln. "Vielleicht is' er ja doch 'en Ami, Köhler! Sieht nich' so aus, als würd' der 'was verstehen!", riss Siggi von neuem das Wort an sich. Rohlfs war fest entschlossen, nicht nachzugeben. Eher wollte er es ertragen niedergeschlagen zu werden, als sein kleines Possenspiel aufzugeben, zumal er wusste, dass sein amerikanisches Englisch makellos war. Wie lange würden sie ihn wohl noch hier behalten? Ob Köhler und seinesgleichen es tatsächlich auf Handgreiflichkeiten anlegten oder ob sie lediglich ein wenig Abwechslung suchten? "Soll noch 'mal den Alois machen! Alois, Rosen! Do the Alois, Rosen! Do it, do it!", feuerte Siggi ihn an, ohne dass er dieses Mal von Köhler unterbrochen wurde. Stattdessen zog Haber wortlos einen weiteren Zehner aus seiner Jackentasche, worauf Siggi ohne Widerrede nochmals zum Verkaufstresen stolzierte. In der Warteschlange glaubte Rohlfs seinen Mitarbeiter Palle zu erkennen, doch wollte er sich momentan nicht zu erkennen geben. Palle sollte indes längst auf der Dienststelle sein und ein Allerweltsgesicht wie das von Palle ließ sich nun einmal leicht verwechseln. Der Mann pfiff Passagen eines Ohrwurms von Frank Sinatra und Rohlfs fiel auf, dass die Verkäuferin errötete. "For fools rush in where angels fear to tread."

Eine gewisse Ähnlichkeit mit Palle war unbezweifelbar. Rohlfs erinnerte sich sogar, dass Palle nie einen Hehl daraus gemacht hatte zu Hause über ein reichhaltiges Repertoire an Schlagermusik zu verfügen. Patrick Lehmann, von allen und auch von sich selber Palle genannt, war derjenige im Office, der zum Laufen brachte, was nicht lief. Er war bekennender Schlagerfan und ein gefürchteter Trinker, was nicht bedeutete, dass er jemals betrunken zum Dienst erschien oder auch nur irgend etwas Alkoholisches während der Arbeitsstunden anrührte. Dafür liefen in seinem Büro stets das Radio, oder, was schlimmer war, ganze CDs eines einzigen Schlagerstars, wenn auch, um den Betrieb nicht zu stören, nur ganz leise. Diese Melodien begleiteten ihn auf Schritt und Tritt. Er konnte zugleich konzentriert zuhören und in ungefähr der Lautstärke, in der auch sein Transistor lief, über die Zunge pfeifen. Da er ein Schönling war, wie Neider fanden, sollte er eigentlich den Frauen gefallen, wovon er allerdings in derart wählerischer Weise Gebrauch machte, dass die begehrteste Mitarbeiterin weit und breit, nach der sich die halbe Abteilung buchstäblich verzehrte, einfach sein Kumpel war, je nachdem. Den Schönen galt Schönheit als normal, sie machten nicht unbedingt Gebrauch davon, was dem Neid der Durchschnittlichen keinen Abbruch tat.

Da man sich mit ihm identifizierte, schockierte Palles zur Schau getragene Gewöhnlichkeit; wie er beispielsweise sein völlig unspektakuläres Auto auf den Parkplatz des Bürogebäudes fuhr, bei schlechtem Wetter zum Bersten gefüllt mit den Klassikern der Hitparade aus den Siebzigern. Wenn die Sonne schien, waren alle Fenster herabgelassen und man hörte, dass Palle selber es war, der mit krähender Stimme sang.

Rohlfs wollte nochmals die Gunst des Moments nutzen um sich die Auswirkungen des Geflechts an Beziehungen, seinen Satelliten, wie Saeed häufig sagte, zu vergegenwärtigen. Palle gab vor Rohlfs zu mögen, denn er hielt ihn, wie er gern betonte, für einen schrägen Vogel oder einfach für completely kinky - und das war aus seinem Munde gewissermaßen das Höchste. Im Amt redete man für gewöhnlich amerikanisches Englisch, so gut man es eben konnte, da man so in Ruhe gelassen wurde, wie Palle glaubte. Außerdem ließ er sich lediglich von Rohlfs gelegentlich einen Einwand oder Kritik gefallen. Im Laufe der Zeit orientierte er sich sogar ein wenig an Rohlfs' abseitigem Interesse für Musik, wie er es ausdrückte. Mit gerade leidenschaftlicher Aufmerksamkeit verfolgte Palle allerdings jede Eintragung in Rohlfs' Notizbuch, von dem er, seit er von seiner Existenz wusste, nicht mehr abließ und bezeichnete ihn fortan meist mit einem kameradschaftlichen Schlag auf die Schulter als seinen Kulturluden. Einmal hatte er ihn vertraulich zur Seite gezogen und ihm zugeflüstert es sei ratsam das Buch an einem sicheren Ort zu hinterlegen und vielleicht sollte er es sogar eher auf einem benachbarten Planeten verscharren.

Es gab eine ganze Reihe von Kollegen, die Rohlfs inzwischen für misstrauenswürdig hielt. Man spürte im Amt, dass sich das Blatt gewendet hatte, nachdem plötzlich allerorts von der Achse des Bösen die Rede war. Selbst seine leibliche Mutter, Sibylle, die unnahbare Richterin, die er Constance zuliebe seit langem mied, da sie Gift für sein Zusammenleben mit ihr ausströmte, kam dafür in Frage seine missliche Lage mitzuverantworten. Gewiss leugnete er seinen eigenen, vielleicht sogar maßgeblichen Anteil an der momentanen Situation nicht, da er sich, so dachte er, schon eher aus dem Staub hätte machen können, doch Sibylles Bedürfnis ihn für seine Parteinahme zu Gunsten Constances zu bestrafen, war sicherlich nicht zu unterschätzen. Zeitweise ermunterte sie durch Erwähnung persönlicher Umstände sogar seine Nachbarschaft, die hasserfüllten Hornauers, dazu seinen Ruf im Amt auf niederträchtige Weise zu schädigen. Das schreckliche Belauer- und Denunziantenwesen der Hornauers war ein geeignetes Instrument ihn für seinen Verrat zu bestrafen.

Seinen Vater, der angeblich aus dem Iran stammte, kannte er nur aus undurchsichtigen Andeutungen seines Großvaters Alois, der ihn bis zu seinem Tode als alleinstehender Witwer großgezogen hatte. So manches Mal schien es ihm jedoch, als setzte sich allmählich ein Bild in seiner Erinnerung zusammen, das auf sonderbare Weise mit den Erlebnissen seines Vater im Einklang stand. Auch gab es jene flüchtigen Begegnungen mit Menschen wie Doris und Eckhard, die ihn gekannt hatten und ihren Teil zur Vervollständigung seiner rätselhaften Herkunft beitrugen. Seine gelegentlichen Reisen in den Iran mit Constance und ihrer Stiefschwester Barbara sowie sein Eintritt ins Amt waren letztlich leise Versuche den Spuren seines Vaters zu folgen. Viel mehr als ein Zerrspiegel dessen, was sich wirklich ereignet haben mochte, blieb ihm indes nicht. Im Amt zumindest herrschte bezüglich seines Vaters vollkommene Verschwiegenheit und Rohlfs hatte über die Jahre gelernt sich den Gegebenheiten des Lebens anzupassen.


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