Donnerstag, 27. Februar 2020

Bzw. ۲ ۳ ۶ [Moaning - метаморфозы 3 (для Франц Кафка)]




["Bandsäge", Siegfried Feid (2019)]



Die Erfindung des Teufels. Wenn wir vom Teufel besessen sind, dann kann es nicht einer sein, denn sonst lebten wir, wenigstens auf der Erde, ruhig, wie mit Gott, einheitlich, ohne Widerspruch, ohne Überlegung, unseres Hintermannes immer gewiß. Sein Gesicht würde uns nicht erschrecken, denn als Teuflische wären wir bei einiger Empfindlichkeit für diesen Anblick klug genug, lieber eine Hand zu opfern, mit der wir sein Gesicht bedeckt hielten. Wenn uns nur ein einziger Teufel hätte, mit ruhigem ungestörtem Überblick über unser ganzes Wesen und mit augenblicklicher Verfügungsfreiheit, dann hätte er auch genügend Kraft, uns ein ganzes menschliches Leben lang so hoch über dem Geist Gottes in uns zu halten und noch zu schwingen, daß wir auch keinen Schimmer von ihm zu sehen bekämen, also auch von dort nicht beruhigt zu würden. Nur die Menge der Teufel kann unser irdisches Unglück ausmachen. Warum rotten sie einander nicht aus bis auf einen oder warum unterordnen sie sich nicht einem großen Teufel? Beides wäre im Sinne des teuflischen Prinzips, uns möglichst vollkommen zu betrügen. Was nützt denn, solange die Einheitlichkeit fehlt, die peinliche Sorgfalt, die sämtliche Teufel für uns haben? Es ist nur selbstverständlich, daß den Teufeln an dem Ausfallen eines Menschenhaares mehr gelegen sein muß als Gott, denn dem Teufel geht das Haar wirklich verloren, Gott nicht. Nur kommen wir dadurch, solange die vielen Teufel in uns sind, noch immer zu keinem Wohlbefinden. [Franz Kafka, »Tagebücher« (1912)]




["Neue Schuhe", Siegfried Feid (2019)]



Es ist gut denkbar, daß die Herrlichkeit des Lebens um jeden und immer in ihrer ganzen Fülle bereitliegt, aber verhängt, in der Tiefe, unsichtbar, sehr weit. Aber sie liegt dort, nicht feindselig, nicht widerwillig, nicht taub. Ruft man sie mit dem richtigen Wort, beim richtigen Namen, dann kommt sie. Das ist das Wesen der Zauberei, die nicht schafft, sondern ruft. [Franz Kafka, »Tagebücher« (1921)]







3


Veronika wankte aus dem Badezimmer zurück zum Bett. Kein Geruch, obwohl sie sofort nach dem Duschen wieder schwitzte. Oder war der Geruch so komplementär, dass sie ihn nicht bemerkte? Mit all ihrer Patina beugte sie sich den in mühsamer Sorgfalt entstandenen Laubsägearbeiten entgegen, ließ sich sehr viel Zeit, berührte die Verzierungen sanft und zart. Veronika verweilte, unbekümmert ihrer Nacktheit vor Rahmen und Regalen, vor Tuschezeichnungen und Siebdrucken von Freunden aus Jugendtagen.
In Momenten des Innehaltens tauchte unvermittelt das gewitzte, kantige Gesicht des Malermeisters Max auf. Die mit Kaffeepulver auf welliges Papier getuschten Gefäße, das erdige Himmelsgestirn vor bläulichem Hintergrund beschleunigten die Aufeinanderfolge solcher Momente. Manchmal waren sie einfach nur zugegen; kaum nahm man sie wahr. Dann aber rasten die Erinnerungsbilder in Lichtgeschwindigkeit über zahllose Synapsen, Schaltstellen dessen, was irgendwann einmal erlöschen und Raum für andere Gestirne, andere Formationen von Erscheinungen lassen würde.
Veronikas Innehalten bereitete mir eine Gänsehaut (cutis anserina), ja, erschütterte mich für eine Weile. Derartige Erregungen, wie sie nur sehr selten, etwa beim Erlebnis geistlicher Musik, auftraten, erschreckten mich, machten mich fassungslos. Jemand, eine Fremde, wandte sich den Relikten eines in den Ruhestand versetzten, mal müden, mal erleichterten Jägers und Sammlers zu, dessen aufnehmende Sinnesapparatur ansonsten ausschließlich auf die Mundhöhle und die Spitzen seiner beiden Fühlerpaare verteilt waren. Die Erschütterung wuchs schließlich, als sie mir meinen plötzlich ausgetretenen Schweiß behutsam von der Stirne tupfte.
Ausschließlich dem Malermeister Max verdankte ich die zahllosen Ermutigungen, meine Laubsägearbeiten zu vervollkommnen, weiterhin nächtelang an den Verzierungen etwa der Schallplattenregalsysteme zu arbeiten, an deren obere Ränder ich in akribischer Feinarbeit teils Jahreszahlen, teils kurze, kalligraphisch gestaltete Bezeichnungen hineingeschnitzt hatte, die ich mit schwarzem Lack hervorhob, um flink die gewünschte Tagesstimmung herzustellen, sie zu untermalen, wie Max sagte, oder aber sie augenblicklich einzufangen. So zumindest war dies einmal gewesen.
Unablässig betastete Veronika das Relief des Wortes Reinheit auf einem der schmaleren Regalelemente mit ihrem linken Daumen, als wollte sie das Wort selbst zum Klingen bringen. Endlich hatte sie sich offenbar für ein Exemplar entschieden, das ihre Aufmerksamkeit für mehr als einen Moment gefangen nahm. "Musica Viva Pragensis. Trio pro Housle, Violu a Violoncello", las sie mit gedämpfter Stimme, fast fragend, vom Schallplattencover ab. Erwartete sie eine Erklärung? Statt einer Erwiderung bat ich sie, die Schallplatte in das Regal mit der Aufschrift 1967 einzuordnen. Ohnehin war es mir nicht mehr möglich, Schallplatten abzuspielen, da mich unerfindliche Gründe davon abhielten, den Riemen des einst hochwertigen Abspielgerätes zu ersetzen.
Gedankenverloren folgte Veronika meiner Aufforderung und setzte ihr Studium meiner für Außenstehende vermutlich nur schwer nachzuvollziehenden Klassifizierungen fort: Getreidespeicher, Puppen und Tenöre, Frauenabteilung, Belustigungen, Überzeugungstreue, Huld, Narrheiten, Ringkämpfe, Tagessorgen, Kopfschütteln, Vielseitigkeit, Hemmung, Bewegungsfreiheit, Ausdrucksweise, Versorgungen, Mond und Menschen.
Quer verteilt über das aus rund drei Dutzend Elementen bestehende Regalsystem befanden sich außerdem die Jahreszahlen von 1957 – 1975. Mehr als dreißig Jahre waren nunmehr vergangen, in denen ich mich zunehmend Verwesungserscheinungen widmete, die Laubsägearbeiten aber auf nahezu sträfliche Weise vernachlässigt hatte. Unter beinahe physischen Qualen war es mir schließlich gelungen, mich von der Geißel des Sammelns zu lösen, mit der wir die Leerstellen unseres Daseins zu füllen vermeinen, manch einer mit Modelleisenbahnen, andere mit Briefmarken oder etwa, wie beispielsweise Lasemann, der ehemalige Nachbar meiner Eltern, mit leeren Deodosen und anderen Aerosolprodukten aus bereits damals immerhin schon fast fünf Jahrzehnten Industriegeschichte.
Immer seltener überkam mich dieses unerklärliche Gefühl von Wehmut, wenn ich die Schattenwesen auf dem Schallplattencover des Prestige Jazz Quartet betrachtete oder von dem Model auf You get more bounce with Curtis Counce träumte und mir leibhaftig vorstellte, wie es mit seinem Stethoskop meinen Brustkorb abhörte oder mich zu kecken Doktorspielen verführte, von denen ich mich hie und da gern belustigen ließ.
In diesem Moment war es Veronika, die jene alte Leidenschaft in mir zum Leben erweckte, was mich jäh an die unsäglich durchtriebene Masche mit der Briefmarkensammlung erinnerte. Wer, fragte ich mich andererseits sofort, würde wohl in hundert Jahren noch diese eigentümliche Art von Erregung empfinden, wenn er den Geiger auf der Pfote King Kongs vor Augen hätte oder einen forschenden Blick auf den graziösen Grashüpfer von Katy Lied würfe beziehungsweise wer würde jemals wieder eine Telefonzelle benutzen?
Was könnte da für eine Geschichte erzählt werden? Vor mir liegt eine, wie ich finde, wenig ansprechende tannengrüne Mappe mit circa zwanzig Blatt beschriftetem Papier, bestehend aus Ergänzungen, Einfügungen und Korrekturen, die mich momentan eher abschreckt. Wenn man Eier abschreckt, sollten diese innerhalb von zwei Tagen verbraucht werden. Ich fürchte, dass ich, im Falle einer weitergehenden Bearbeitung des Manuskripts, zwangsläufig faule Eier produzieren werde, weswegen es, so denke ich, einigen frischen Wind benötigen würde, um dem Gestank von Ammoniak rechtzeitig entgegenzuwirken. Auch hierfür habe ich in weiser Voraussicht bereits einige Essenzen vorbereitet, die den Gestank überdecken, ihn einhüllen mögen mit dem Duft der Jugend, wie ein Alchemist es täte, der angetrieben von der Illusion der Ewigkeit, das Irdische und Vergängliche vergoldet.
Veronika etwa kannte meinen Hang zur Übertreibung, fürchtete ihn anfangs auch. Herumzualbern musste für sie etwas Fröhliches sein. Hinter meiner Methode grundsätzlichen Übertreibens witterte sie Auflehnung, Distanz und Kritik. Bin ich ein Feigling, weil ich die Dinge nicht beim Namen nenne? Im Ernst, ihr hättet also jemals etwas beim Namen genannt! Dann bitte schön, wie heißt das, wenn ein Mädchen am Morgen aus dem Badezimmer kommt und du kennst sie nicht. „Ich bin's, Veronika, jetzt komm, hör auf!“ Eben war es noch ein Spiel, für Veronika eines unserer Spiele, an die sie sich gewöhnt hatte.
Wovor man sich beispielsweise in die Gestalt eines Käfers flüchten mochte, das war die Frage, warum man denn die andere Frau nicht verlasse, da man doch sie liebe, "oder sagtest du nicht heut' Nacht, du liebtest mich, los, heraus mit der Sprache!" Veronika war auf das Bett gesprungen in ihrem weißen Bademantel, mit dem Turban, ebenfalls blütenweiß, duftend nach Frische und strahlend wie dieser herrliche Morgen im April. So kniete sie über mir, ein anderes Handtuch wie einen Knebel um meinen Hals schlingend, jeder wusste, was diese Art von Folter mit einem machte, Käfer hin oder her, von dem faulen Apfel ganz zu schweigen. Ja, ich liebte sie, warum stellten wir uns die Aufgabe, eine und nur eine Frau zu lieben, was lag daran, selber nur einer und der eine zu sein. Ich würde niemals etwas unternehmen um herauszufinden, ob Veronika mir treu war, was sie schluckte, nur sollte ich mir nicht einbilden, dass sie in dieser Hinsicht mit mir übereinstimmte. Sie heiße so und so, mit mir so und so lange verheiratet, zwei Kinder, erwachsen, wenigstens das, wohnhaft dort und dort, Telefonnummer, "los, wir rufen an! Und hör auf mit dem Gealbere, das ist nicht lustig, woher hast du überhaupt die Idee mit dem Apfel?" Und Fronilein durfte ich sie in solchen Augenblicken auch nicht nennen. "Also das Paradies, Fro..., Veronila, zwei Nackedeis wie wir, die's aber nicht merken..." - "Und ob ich was merke, sei nicht albern, deck das zu, ich merke, dass du mir ausweichst, das merke ich!"
Ich sagte ihr, ich hätte mich doch für sie entschieden, schon oft! Und übrigens würden sie die wahren Gründe, deretwegen ich mich von meiner Frau trennen würde, nicht glücklicher machen, was mich betrifft. Das war nun eine verzweifelte Sache, denn ich wollte ihr diese Gründe eigentlich nicht nennen. Wie schnell lagen die in buchstäblich jeder Beziehung vor! Und dann war die Sache im Grunde entschieden. Es ging nicht darum, Gründe zu haben, das Kind lag im Brunnen, wenn sie ausgesprochen wurden. Die Worte waren die Währung, mit der solche Angelegenheiten beglichen wurden. Nichts schlimmer als eine Frau, die auf die Frage "liebst du mich noch?" nicht mit einer konventionellen Antwort zufrieden war: Aber natürlich, das weißt du doch, Schatz!
Veronika hatte so viel Humor, den Satz mit mir im Chor zu sprechen. Sie wusste um das Heikle der L-Frage. Wenn sie gerade etwas besonders Hässliches getan hatte, fragte sie in der Rolle des hässlich gewordenen Eheweibes etwa Schwäbisch: "Liebscht mi no?", o Wollsocken der Putzfrauen in aller Welt, in denen ein Paar Männerbeine aus einer Kittelschürze herausstaken!
Männer, liebt das Hässliche an euren Frauen! Es ist eure einzige Chance. Das Schöne ist nicht schön, normalerweise nicht. Sollte eurer Frau etwas Schönes in voller Absicht gelungen sein, beschwört es nicht, lebt in diesem heiligen Moment!
Das ist so ein Gedanke, für den ich mich ungefähr einhundert Millionen Mal rechtfertigen musste. Also noch einmal: Eure Frau ist konventioneller Weise schön, wenn sie sich ein wenig Mühe gibt. Es ist übrigens fast sicher, dass sie dabei, sich schön zu machen, etwas völlig anderes im Blick hatte, als das, was ihr schön fandet.
Also durfte man Veronika bewundern, jedenfalls hin und wieder, sogar sagen warum und wofür. Eis, sage ich euch, dünnes, sehr dünnes Eis, politically, falls ihr wisst, was ich meine. Eine Frau zu bewundern bleibt bis auf Weiteres inkorrekt. Die Fassade mit dem Gomringer-Gedicht musste in dem einen Fall überpinselt werden, damit sie aus Protest dagegen noch so circa 500 Mal neu entstand, dann natürlich tatsächlich als eine schmierige Rehabilitation der Brüderles und Busengrabscher der Nation. Straßen und Blumen ging noch, Straßen und Frauen, das musste alarmieren. Glotz nicht, alter Sack! Herrgott, ein Blumenkind, oder sagen wir Blumenkinderenkelkind, eine Art Punk aus dem Kaufhaus. Also nochmal: Straßen und Blumen und Frauen. Verdammt, es musste der Plural sein! Du hattest nicht der Einen ewige Treue vertraglich zugesichert. Auch irgendwie schief, ich fragte Veronika. Warum das also eigentlich nicht gehe. Sie kannte das alte Gomringergedicht, so etwas lernte man heute in der Schule, konkrete Poesie. "Ist nicht die Tochter von dem Gomringer heute der eigentliche Star?" - "Du meinst wegen Bachmann-Preisträgerin?" - "Das weniger, mehr so, weil sie eine Poetry-Slammerin ist." Ich kannte diese Art Veronikas mich darauf zu stoßen, dass ich sozusagen alt war. Nicht so alt wie der alte Gomringer, dem es nur um die Begründung der konkreten Poesie ging, aber eben so alt, in dem was Nora, die Tochter, konkret poetisch machte, besonders den viel gelobten Vortrag, so ausgesprochen töchterlich zu finden. Der Alte war gehakt, weil 1950 und so, da durfte er als Latino irgendwas Zurückgebliebenes über Frauen flöten, zum Beispiel die Sache mit dem Bewunderer in der letzten Zeile. Die meisten Leute hatten das Wort im Urlaub schon mal gesehen, es hieß Aussichtspunkt. Es ging wohl um irgendwelches machistisches Gespanne in dem Gedicht. Von Südländern war in der Hinsicht sowieso nichts anderes zu erwarten. "Ja, und wie findest du nun, dass sie den Text überpinseln?" - "Tja, ehrlich gesagt, finde ich Männer auch schön, auch dass Männer Männer schön finden können, geht sowieso in Ordnung. Dass sie sie schön finden müssten, bevor sie auch mal eine Frau schön finden dürfen, ist so eine Art Quotenregelung. Du weißt, dass ich für Quote bin, so lange die Welt so ungerecht ist, wie sie ist. Also gebt euch einen Ruck, Jungs, vor allem sucht nach der Lyrik von heute. Das macht Nora ja auch, übrigens weiß ich, was dir an ihrem Vortrag nicht gefällt, die Gedichte sind aber gar nicht mal so schlecht."
Darum also mein Spähen nach dem Apfel, den man nach sich hat schmeißen lassen, und der einem im Rücken faulte, zynische Persiflage des Paradiesdramas. Hatte einst Eva uns noch den Apfel gereicht, falsch zwar, weil mit unserer Unterwerfung wenigstens unter Lüge und Betrug rechnend, so war es doch ein süßes Obst, gegen den Willen des Vaters genossen, der uns im Stand der Unschuld gefangen halten wollte. Nackt waren wir, doch unsere Blöße war bedeutungslos. Welche Nacktheit aber war das, die sich ihrer bewusst wurde! O süßer Duft der Verheißung! Was drohte, wenn nicht die Rückverwandlung in den Stand der Unschuld und des Gehorsams!
Warum ich so bindungslos sei, wollte Veronika einmal wissen; weil die Bindungskonformen die Bedingungen der Bindung ignorierten. "Könntest du das noch einmal als Klartext formulieren?", etwas, was ich hasste und wo es galt, sich aus der Affäre zu ziehen, um dem Teufelskreis von Spannung und klärendem Gespräch zu entkommen.
Konventionelle Bindungen konsumierte man wie alles, was zur Verfügung stand oder nicht, aß man nicht auch Brot, ohne je eines gebacken zu haben? Familie, Herrje, man war auch noch darin aufgewachsen, war das jüngere oder ältere von Geschwistern, hatte den Eltern gehorcht. Nun stand man da vor dem ganzen Haufen von Betrug und Hass, den man nicht haben durfte. Oder alles war gut gegangen, was es immerhin auch geben sollte, man konnte getrost das Brot essen ohne es backen zu können. Die Milch der Schwester auch nur anzurühren, was sich in meinem Fall grundsätzlich ausschloss, mochte man den ganz Unschuldigen durchgehen lassen. Das Aroma eines faulenden Obstes war aber ganz unverkennbar. 


Intermezzo


Lieber Max, notwendigerweise übertreibe ich es je nach Antriebskraft mit allem, was mir Elohim mitgegeben hat. Die Übertreibung ist seit jeher meine Lebensdevise, wobei ich nicht mehr genau weiß, seit wann ich mir diese wertvolle Tugend auf mein Banner tagtäglicher Belustigungen geschrieben habe. Es gab sogar Zeiten, in denen die radikale Untertreibung nichts anderes darstellte als eine Übertreibung, in denen beide Haltungen sozusagen ineinanderfielen. Dass Barney Kessel die "Pet Sounds" begleitet hat, wusste ich nicht. Vermutlich hat man ihm ein ordentliches Taschengeld dafür angeboten. God Only Knows war für eine Weile ein Interimsbrenner auf meinem Abspielgerät. Im Anschluss an "Weiß wie Lilien" oder "Ziehn die Schafe" (1926) klingen die "Pet Sounds" (1966) besonders bizarr. Sonnengebräunte kalifornische Studenten planschen sich das Bewusstsein über Agent Orange aus ihren schwitzenden Poren. Was wohl geschehen wäre, wenn die Soldaten bei ihren Bombardements, beziehungsweise grundsätzlich, keine Popmusik, sondern ausschließlich Zwölftonmusik in den Ohren gehabt hätten? Pop kam (und kommt) dem Haschisch gleich, das man den türkischen Soldaten vor der Schlacht einverleibte, um den Blutrausch zu ästhetisieren. Nothing is real and nothing to get hung about. In meiner Zeit als Kellner in der Uferschenke war ich, wie du weißt, gelegentlich auch als Discjockey tätig. Wenn ich ein Stück von Anton Webern in übertriebener Lautstärke, strategisch gezielt, zwischen das beliebige "Easy Listening" pflanzte, gab es stets Szenenapplaus. Es muss so etwas wie eine Begeisterung über den Abgrund des Entsetzens geben, sofern die Dosis erträglich ist und diese dich nicht wirklich juckt.
Gregor



Donnerstag, 20. Februar 2020

Bzw. ۲ ۳ ۵ [Sanity - метаморфозы 2 (для Франц Кафка)]



["The Tyranny of Money", Julian T D Gärtner (2010)]


»Ach Gott,« dachte er, »was für einen anstrengenden Beruf habe ich gewählt! Tag aus, Tag ein auf der Reise. Die geschäftlichen Aufregungen sind viel größer, als im eigentlichen Geschäft zu Hause, und außerdem ist mir noch diese Plage des Reisens auferlegt, die Sorgen um die Zuganschlüsse, das unregelmäßige, schlechte Essen, ein immer wechselnder, nie andauernder, nie herzlich werdender menschlicher Verkehr. Der Teufel soll das alles holen!« [Franz Kafka, »Die Verwandlung« (1912)]



["Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache", Friedrich Kluge]


Wunderbare, gänzlich widerspruchsvolle Vorstellung, daß einer, der zum Beispiel um drei Uhr in der Nacht gestorben ist, gleich darauf, etwa in der Morgendämmerung, in ein höheres Leben eingeht. Welche Unvereinbarkeit liegt zwischen dem sichtbar Menschlichen und allem andern! Wie folgt aus einem Geheimnis immer ein größeres! Im ersten Augenblick geht dem menschlichen Rechner der Atem aus. Eigentlich müßte man sich fürchten, aus dem Haus zu treten. [Franz Kafka, »Tagebücher« (1913)]



["Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache", Friedrich Kluge]


Die Eltern, die Dankbarkeit von ihren Kindern erwarten (es gibt sogar solche, die sie fordern), sind wie Wucherer, sie riskieren gern das Kapital, wenn sie nur die Zinsen bekommen. [Franz Kafka, »Tagebücher« (1914)]





2


Lieber Gregor, ich möchte dich auf die erste kleine Geschichte des Mönchs Brahm aufmerksam machen, die er in seinem Buch Die Kuh, die weinte an den Anfang gestellt hat. Solltest du sie bereits gelesen haben, so muss ich dich fragen, willst Du wirklich diese schöne Mauer mit dem stabilen Fundament einreißen, nur weil zwei Steine im Verbund aus der Reihe getanzt sind, weil sie beim Vermauern sich schräg gelagert haben und das Gesamtbild stören, aber 998 Steine einwandfrei vermauert sind? Diese Mauer wird sich nie mehr so mauern lassen wie sie einmal war. Willst du, dass dein Herz so belastet wird? Bitte höre nicht auf Stimmen, die dich zum Abriss ermuntern.
Gestern zeigte uns dein Vater die typischen blauen Flecken auf seinem Körper, die vermutlich eine Leukämie andeuten! Er sieht sehr schlecht und krank aus. Deine Mutter ist von Schmerzen gezeichnet. Was hat sie denn in Deinen Augen verbrochen?
Gregor, wer sonst als dein Onkel Georg schreibt dir das. Nosce te ipsum. Im Verzeihen liegt die Kraft!
Herzliche Grüße,
Georg

Lieber Georg, bitte glaube mir, dass es mir fern liegt irgendeine symbolische Mauer zum Einstürzen zu bringen. Seit etwa sechzig Tagen beschäftigt mich das Szenario, dessen Augen- und Ohrenzeuge ich geworden bin, und ich hülle mich nur deswegen in Schweigen, weil ich kein Öl ins Feuer gießen möchte. Deine Schwester hat mir zwei Mal geschrieben, einmal an Ottlas Adresse, was ich für ausgesprochen unangemessen halte. In dem ersten Schreiben ist von der Hoffnung die Rede, dass ich mit all dem klar käme, von "Einigung", "Vergessen" und von all dem, was meine Eltern für mich getan hätten. Erstmals lese ich nunmehr das große Wort "Verzeihen", das ich zugegebenermaßen bisher vermisst habe.
Tatsächlich habe ich bereits einen langen Brief verfasst, doch kreisen meine Gedanken immer wieder um die unausweichliche Erkenntnis, dass man mich mit den Steinen aus dieser "schöne[n] Mauer" bewirft - und das seit vielen, vielen Jahren. Die Worte des Mönchs sind aus anderen Beobachtungen hervorgegangen. Psychologisch gelingt es der Mutter "einwandfrei" die Vorzeichen zu verkehren: "Ihr", also meine Schwester und ich, "habt eurem Vater das Neujahrsfest ruiniert!" "Du", also ich, "kennst ja solche Wutanfälle von dir selbst", schreibt meine Mutter. Also ist es mit wenigen Wendungen klar, dass die Last nun meinerseits zu schultern ist. Mir wird nun die besondere Bürde auferlegt, die Harmonie wiederherzustellen, die es, ich erinnere mich nicht mehr genau seit wann, längst nicht mehr gab. Waren es die Lügen meiner Mutter, von denen ich schon in einem meiner letzten Briefe schrieb? War es der Hass meines Vaters auf seine eigenen Eltern, auf seine Schwiegermutter, der Dissonanzen in mir heranzüchtete? War es die Enttäuschung des Vaters über die Tatsache, dass ich seinen Erwartungen nicht entsprach? Waren es die Grobschlächtigkeiten meiner Schwester, etwa ihre Gesten und ihr Verhalten zum Zeitpunkt der Ankunft Minzes in Deutschland vor rund zwanzig Jahren? War es die Art meiner Mutter uns, also ihren Kindern, meiner Frau, ihrer Mutter sowie ihrem Mann, immer wieder feine Verletzungen zuzufügen, die sie dann meist im Handumdrehen zu vertuschen und zu ihren Gunsten auszulegen in der Lage war? Ist es das unerträgliche Auftreten meiner Schwester mir gegenüber, das in seiner Impertinenz und Respektlosigkeit seinesgleichen sucht? Ist es ein Verhältnis von Gläubigern und Schuldnern, sind es diese Mechanismen der Schuldzuweisung, die mein Herz seit Kindertagen belasten? Die Dankbarkeit für einen Zehnmarkschein zu Ostern wird zur moralischen Pflichtübung? "Weißt du eigentlich", fragten mich meine Eltern bei einem meiner letzten Besuche im vergangenen Jahr, "dass du uns sehr viel mehr gekostet hast als deine Schwester?" In mir wächst nun, wie ein Karzinom, das Bewusstsein der Kostspieligkeit heran. Die wunderbare Liebe der Erzeuger in Form eines Kostenrechnungssystems? Der Frage, was unsere Eltern alles für uns getan haben, würde dementsprechend durchaus auch der Aspekt zugehören, was sie ihren Kindern angetan haben. Wann ist es dem Vogel denn gestattet, das Nest, das für uns Menschen schön gemauert ist, zu verlassen, um eine eigene Familie zu haben? Mir liegt es sehr fern, das Gemäuer, dem inzwischen gewiss aber bereits viele hundert Steine fehlen, einzureißen - ich will mich abwenden von dieser zerrütteten Festung und zumindest versuchen meinen Kindern das Beste zu geben. Hierfür brauche ich die vollste Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und ein großes Herz. Ich möchte nicht, dass sie in einer Umgebung aufwachsen, in der man mit einer verhaltensgestörten Tante und ihren Kindern dergestalt konfrontiert wird, mit ansehen zu müssen, wie diese Person ihren Vater auf unverschämte Weise attackiert. Ich möchte nicht, dass meine Kinder hören, wie ihr Opa seinem Sohn den Mund verbietet und ihn sogar unverhohlen aus seinem Reich verbannt. Ich möchte nicht, dass sich die Oma zum elften Geburtstag ihrer Enkelin Ottla mit einem appellativen Schreiben an sie wendet, in dem die Bitte um "Vergessen" zu einem kategorischen Imperativ wird. Ich möchte nicht, dass Minze weiterhin in Panik gerät, wenn sie an all die vielen feinen Verletzungen zurückdenkt, die ich nur in wenigen Andeutungen zu skizzieren versucht habe. Meine Mutter trat uns allen stets als treue Gattin und Anwältin ihres Mannes gegenüber, was ich anerkenne und mitunter bewundere. Schlimmstenfalls kann ein solches Verhalten aber gewissermaßen zu einem Verbrechen geraten, sobald die eigenen Kinder involviert sind. Leider war dies allzu oft der Fall, was ich ihr gern verzeihen möchte, solange man mich indessen nicht fortwährend nötigt, mich zu einigen, zu vergessen oder grenzenlose Dankbarkeit für ökonomische Transaktionen aufzubringen. (Selbst das ominöse Erbe war wiederholt Gegenstand emotionaler Erpressungsversuche!) Wie nur kann hier etwas aufkeimen, was man gemeinhin L-i-e-b-e nennt?
"Liebe Frau Mutter", schon bei der Anrede entsteht Widerwille, wie von Liebe reden?, wie das sehr Verehrte zum Ausdruck bringen?, gewiss, an Respekt mangelt es nicht, Rückschau, so genau, wie es unser Erinnerungsapparat eben gestattet, Rückschau auf Kontrollverluste, Wut, Zorn, Verachtung, Ekel, die großen Melodramen der Weltliteratur, die ganze uralte Irrenanstalt eben, den Kampf um ein wenig Wahrhaftigkeit und Würde, Shakespeares famous last words, das Bewusstsein, dass jedes Wort ein weiteres hervorruft, dass die Zeit, der Redensart zum Trotz, keine Wunden heilt, so dass sie vernarben, dass Verdrängung zur Wiederkehr des Verdrängten führt, dass Harmonie nicht durch Beschwichtigungen und Heucheleien herbeizuführen ist, dass Einigung, Nachgiebigkeit und Versöhnung bloß weitere Verlogenheiten nach sich ziehen.
Die Wutausbrüche und Kontrollverluste, ja, die sind mir sehr vertraut, als Tatsache, dass die Umwelt sich unseren Geboten widersetzt, sie ignoriert. Das väterliche Gebot gleicht seit Jahrtausenden dem des Mannes Moses, der seine Gesetzestafeln der unzüchtigen Masse entgegenhält: "Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt." Die Wutausbrüche, ja, auch der spontane Zorn wider die mangelhafte Wirklichkeit, haben etwas Befreiendes, wie beispielsweise ein Orgasmus. Indessen bedarf auch der Zorn einer gewissen Kontrolle, denn der ungezügelte Zorn mag zu nicht wiedergutzumachenden Verbrechen führen. Die Scham darüber ist hingegen ein rein psychologisches Abfallprodukt.
Was aber für eine Einigung? Es kommen entgegengesetzte Faktoren wie Stolz und Konsequenz ins Spiel. Ist die Familie eine unveränderliche Gegebenheit, die hinzunehmen ist, ohne hinterfragt werden zu dürfen? Die Familie ist ganz offensichtlich gleichermaßen ein ökonomischer Faktor, durch den Wachstum gefördert wird. In welchem Ausmaß wird die Fähigkeit eines liebenden Umgangs mit der Umgebung unterstützt und entfaltet? Wie definiert sich ein dergestaltetes Liebesverhältnis? Welche Rolle spielt das Kalkül, das Aufrechnen von Investitionen? Can't buy me love erkannten die Beatles bereits ein Jahr vor meiner Geburt. "Was haben wir nicht alles für euch getan?", ruft die fürsorgliche Stimme der Mutter in die gähnende Leere der Kindheit hinein und erwartet unverhohlen die Rendite der Investition, Liebe auf der Basis eines Verhältnisses von Gläubigern und Schuldnern. In der Steuererklärung unterscheidet der väterliche Staat zwischen Kind Eins und Kind Zwei. Der vom Steuerzahler und der Steuerzahlerin in Kind Eins investierte Kostenaufwand überwiegt den des nachgeborenen Kindes, woraus sich eine höhere Leistungspflicht von Kind Eins ableiten lässt. "Für das Erlöschen eines Schuldverhältnisses genügt es nicht, dass der Schuldner alles zur Erbringung der Leistung Erforderliche getan hat. Der Schuldner schuldet nämlich nicht nur eine Leistungshandlung, sondern darüber hinaus auch einen Leistungserfolg. Seine Verbindlichkeit erlischt erst, wenn ein Leistungserfolg eingetreten ist. Dazu muss die richtige Leistung am richtigen Ort zur vereinbarten Zeit vollständig erbracht worden sein." Ist dies also der Boden, auf dem Dankbarkeit und Liebe gedeihen sollen? Meine Verweigerung von Versöhnung beruht auf Respekt gegenüber dem gesprochenen und geschriebenen Wort.
Gregor


Intermezzo




Die Kinder waren inzwischen längst aus dem Haus, Minze hingegen hatte die Verbrechen der Mutter nicht länger ausgehalten; sie tauchte unter. So war das nun einmal.
Es mochte sein, dass hier, jenseits von Schall und Rauch, meine Überwindung von allem, was mit Benennungen und Namen zusammenhing, begonnen beziehungsweise ihren Zenit bereits überschritten hatte. Es mochte andererseits auch sein, dass die Dinge ihren Anfang schon im Eisprung hatten, ohne dass ich hiervon ein genaueres Bild entwerfen könnte. Entwerfe dir selbst ein Bild! Siehst du, was da alles in Bewegung gerät? Siehst du das Abbild des Ganzen? Da brechen Millionen von Urteilen wie Lava aus der mütterlichen Erde: Lava, Magma, geknetete Masse, Intrusionen, Erosionen gekneteter Urteile, Fragmente, Bruchstellen, glitzernd und funkelnd. There's no insection without pain. Eisprung und Einigung, Vereinigung der Verurteilten mit ein paar verdrehten Buchstaben und verspielten Silben.



Lieber Gregor, deinen Brief haben wir mehrmals gelesen und sind ratlos. Was Du schreibst, ist sicher begründet, nur:  es gibt  nicht nur die dunklen, schwarzen Seiten im Leben. Jeder hat sie. Du blickst nur in diese eine Richtung und siehst nur Negatives. Es ist nicht richtig, wenn du die Liebe deiner Eltern anzweifelst. Schade, dass Du Dich ihrer vielen Zeichen der Liebe nicht erinnern kannst oder willst. Deshalb wünschen wir dir von Herzen, dass Du Dich auch einmal an die positiven, liebevollen Zuwendungen erinnern kannst.
Du hattest zugesagt, mit Deiner Familie zur Geburtstagsfeier zu kommen. Deine Zusage bleibt doch bestehen? Deine Eltern und Grete mit Familie werden kommen.
Liebe Grüße
Georg und Klara

  Ratlos seid ihr also, ihr lieben Leute. Es ist mir ein Rätsel, wie man so viel Gewicht auf die Worte eines Mönchs legen, Goethe, Heine, Thomas Mann und all die anderen alten Knaben gelesen und noch immer keinen tieferen Sinn für das geschriebene Wort zu haben scheint. Das Positive ist ohne sein Gegenteil eben bloß die halbe Wahrheit. Das Negative ist indessen nicht mit Hass, Verachtung und Abneigung zu verwechseln. Vielmehr gilt es das Bild zu vervollständigen. Es ist mir ein Rätsel, mit welcher Selbstverständlichkeit das große Wort L-i-e-b-e als Mittel für Vertuschung, Verharmlosung, Verweichlichung und Verunsicherung verwendet wird. L-i-e-b-e! Wir haben das Wort so lange verwendet, dass es nach Erläuterung förmlich schreit und winselt. In meinem Brief an die teure Frau Mama schrieb ich hinreichend und ausführlich über meine Liebe und Wertschätzung der Großmutter gegenüber, die mich gütig, streng und verantwortungsbewusst großzog. In meinem Herzen hat sie derart viel Liebe hinterlassen, dass ich sie meinen Nächsten, den Kindern, meiner Frau, den Schülerinnen und Schülern, ja den Huren gegenüber bedingungslos und respektvoll angedeihen lasse. Mein Herz ist voller von Erinnerungen an Spiele mit Gleichaltrigen, mit Cousins und Cousinen, an Samstagnachmittage in den frühen 70er Jahren mit der Mutter, als sie singend das Mittagessen zubereitete, an Worte Papas, worin die größte Aufgabe des Vaters bestehe, nämlich darin seinem Sohn ein Freund zu sein. Das sind tatsächlich, wie man sagt, schöne Erinnerungen und es gibt deren viele. Ein Idiot müsste ich sein, wenn ich darum die dunklen Seiten und Abgründe beschönigen wollte. Es ist schon recht flach zu behaupten, das Gegenteil von Liebe sei etwa Hass. Liebe verlangt nach Auseinandersetzung; ohne schärfste Kritik geraten wir auf das gefährliche Niveau der Eindimensionalität. Scheuklappenliebe, ja, die findet man überall, etwa im sogenannten Dreigroschenroman des Lebens geprügelter Ehefrauen, die sich in seelischer Verwahrlosung ihrem Prügler unterworfen haben. "Wir wollten doch immer nur sein Bestes!" - bekanntlich ein weit verbreiteter Satz aus dem Munde der Altvorderen. Mit einem solchen Standpunkt lassen sich auf raffinierteste Weise die niederträchtigsten Demütigungen rechtfertigen. Gewiss liebte der berühmte General Schreber voller Stolz seinen Sohn, als er ihm ein Korsett anfertigen ließ, damit er rasch lernte, was Haltung und Männlichkeit sei. Die Hippies beschworen die Liebe, wie schon vor ihnen andere Romantiker, um den Scheußlichkeiten der Welt den Rücken zuzukehren. Dafür wunderbare Märchen, Tristan und die Isolde, die Holde, Hymnen an die Nacht, Blaue Blume, Opium, Cannabis und Kammermusik. Manch einer nahm sich sogar, vor lauter Liebe, das Leben oder verschwand in einer Irrenanstalt. Eure Ratlosigkeit, ihr lieben Leute, beruht vermutlich auf der Huldigung solcher schönen Künste, auf eurer verinnerlichten Romantik, die zwar vor einem hübschen Capriccio von Bach auf die Abreise des geliebten Bruders, Beethovens "Wut über den verlorenen Groschen" oder Schumanns Liederkreis, opus 24, dahinschmelzen, keinen S-i-n-n aber sehen in Anton von Weberns Ausdruckskunst, den Dissonanzen, der Rebellion, dem Aufbegehren, dem Rock 'n' Roll, dem Beat, "Helter Skelter", "Free Jazz", Arnold Schönbergs oder Brechts Kampf mit "Furcht und Elend des Dritten Reiches" und so weiter und so fort. Rasch wollte man sich all dessen entledigen, der negativen Kunst, Kafka, des Judentums, all dessen, was fremd ist oder gar nach Knoblauch riecht. Und da wollen wir eine "offene Gesellschaft" sein und der Welt nun endlich unser wahres Gesicht zeigen?
Die Verlegenheit, in die wir stürzen, wenn wir an das erinnert werden, was wir gern vergessen würden, brächte die Liebe, als Liebe zur Wahrheit gedacht, erst, um es pathetisch auszudrücken, zu wahrem Glanze. Die Wahrheit ist das Ganze, ihr lieben Leute. Dass wir uns alle lieb haben, ist selbstverständlich die grundlegende Voraussetzung für die Tatsache, dass wir einander überhaupt Aufmerksamkeit schenken und den einen oder anderen Brief mehrmals lesen und immer wieder nachfragen nach diesem oder jenem. Wir wollen einander doch verstehen, nicht wahr?, einander als ebenbürtige Wesen begegnen. Das Alter schützt vor Torheiten nicht, heißt es. Ruhen wir uns als Eltern unseren Kindern gegenüber auf dem Standpunkt aus, wir seien als Erstgeborene grundsätzlich in der Poleposition, haben wir die Liebe der Kinder an und für sich schon aufs Spiel gesetzt, schlimmstenfalls verloren und gewiss nicht verdient. Respekt, ihr Lieben, verdient man sich. Das Verbrechen liegt nach meinem Dafürhalten in der kategorischen Aufforderung zum Vergessen. So wie es gewissermaßen im Großen lange Zeit noch eine zutiefst ethische Verpflichtung sein wird, das deutsche Volk mit den Schandtaten zu konfrontieren, die es noch in eurer Kindheit begangen hat, ist es gewissermaßen im Kleinen notwendig, die Stirnlampe auf die Grausamkeiten zu richten, die in den unzähligen kleinen bürgerlichen Familien tagtäglich begangen worden sind und begangen werden. Verlogenheit lässt sich vorübergehend im Alkoholismus, im Drogenkonsum, im Beischlaf verdrängen, aber die Verzweiflung bahnt sich ihren Weg. Liebevolle Zuwendungen sind mitunter eine zweischneidige Angelegenheit, ihr Lieben.
Woher nur nehmt ihr eure positive moralische Selbsteinschätzung? Gibt es da keinerlei Skrupel? Keinerlei Skepsis? Habt ihr eure Töchter stets mit Respekt behandelt? Habe ich nicht schon in meinem ersten Brief in diesem Rahmen darauf hingewiesen, dass ich die positiven Dinge, etwa in Bezug auf meinen Vater, trotz seiner Kontrollverluste bewahren möchte? Meine Schwester fragte mich vor geraumer Zeit einmal, weswegen ich auf der Beerdigung Esthers nicht geweint hätte? Ob ich sie denn gar nicht geliebt hätte! Wie kann eine damals schon erwachsene Frau nur eine derart taktlose und törichte Frage stellen?, dachte ich. Würde nur manch einer aus diesem Ensemble, das sich Familie nennt, gelegentlich einmal innehalten und seine Urteilskraft ein wenig in Frage stellen! Es scheint mir ratsam, um auf das Thema der Ratlosigkeit zurückzukommen, den Nachgeborenen mit etwas mehr Achtung zu begegnen. Unter gar keinen Umständen scheint es mir allerdings derzeit ratsam, deiner Geburtstagsfeier, lieber Georg, in dieser Besetzung beizuwohnen. Es ist mir zur Zeit im tiefsten Sinne des Wortes peinlich, meiner Schwester zu begegnen, ja, ihr aus dem Weg gehen zu müssen. Es lässt sich aus meiner Sicht nicht ausschließen, dass es zu weiteren Szenen kommt, die schon in der Vergangenheit keine Seltenheit waren. Auch Schwager Hermann, der Haudegen, war stets gut für heikle Situationen. Meinen Vater halte ich für unberechenbar. Solchen Szenarien fühle ich mich beim besten Willen nicht gewachsen und räume in guter Absicht gern das Feld.

  Gregor


Intermezzo


Korrespondenzen und nie abgeschickte Briefe nadelte ich mir vor geraumer Zeit an die verwinkelten Wände des alten Hauses, in dem ich von Zeit zu Zeit, meist tagsüber, begeisterte Damen beherbergte, die mich am Morgen danach meist wohlwollend beäugten. Woher sollten sie auch wissen, ja, zumindest ahnen, dass sowohl die Milch als auch die harschen Töne aus der Geige lediglich der Wut über den verlorenen Gregor galten? Die fremden Frauen schienen mein insektenartiges Wesen zu begehren. Wie sonst sollte ich mir ihre bloße Anwesenheit erklären? Veronika wenigstens verlor sich geradezu in den Facetten meiner Augen, rieb sich an meiner Rücken- und Bauchplatte, verausgabte sich an meinen Mundwerkzeugen und verinnerlichte die Unzahl von Spermatophoren nach einem aufwendigen Vorspiel. Wann immer ich die Fühler einer fremden Frau in den Griff bekam, ritt ich oft stundenlang, meist tagsüber, wie ein gerippter Totenfreund, auf. So war das nun einmal.


 Lieber Gregor, ich habe soeben mit Klara telefoniert. Bin also informiert über euren Briefverkehr. Es tut mir leid, dass ich die ganze Zeit nicht an dich geschrieben habe. Papa hatte mich gebeten, eine Entschuldigung von ihm an dich zu schreiben. Er bedauert es sehr, dass er bei eurem Besuch am Neujahrsfest so ausgeflippt ist. Er hatte sich so auf unser Zusammensein an diesem Fest gefreut, aber ihr, Grete und du, habt das alles übersehen. Das müsste man doch entschuldigen können! Mich hat natürlich auch die Aussage Minzes, sie wolle "mit dieser Familie nie mehr etwas zu tun haben" sehr erschreckt und beleidigt.
Du sollst Dich geärgert haben, dass ich auf Ottlas Geburtstagskarte auf den Streit hingewiesen habe. Warum? Das Kind war so verschreckt, dass ich unbedingt darauf eingehen musste. Mit 11 Jahren sollte man doch verstehen, was da passiert ist. Ich war bereits mit 10 Jahren auf mich gestellt und lebte in Alsfeld bei völlig fremden, nationalsozialistisch eingestellten Leuten. Das wünsche ich niemandem! Wir sind beide ziemlich am Boden. Ich kann vor Schmerzen kaum laufen und muss dauernd zum Orthopäden. Ab Morgen gehe ich zu einer Spritzenkur in den rechten Oberschenkel, da die Schmiere dort völlig weg ist und sich eventuell wieder bilden soll.
Papa ist bis auf die Knochen abgemagert, verträgt nichts, was ich koche, und geht natürlich zu keinem Arzt. Er hat überall am Körper dunkelblaue Flecken! Viele Grüße an alle und nochmals "Entschuldigung" an dich.

 Mama

 Teure Frau Mama, haltet doch bitte Minze aus diesem Schlamassel heraus, die doch, Gott sei Dank, überhaupt nicht bei dem Szenario zugegen war. Wenn jemand vor Jahrzehnten, gleich wer, deine Kinder vor die Türe gesetzt hätte, wärst du doch hoffentlich wütend geworden, oder? Schluss damit. Das Gezerre macht einen doch irre, Georgs buddhistische Weisheiten, die Botschafterrolle seiner Gattin ihrer inzwischen besten Freundin gegenüber - das ist doch grotesk! Der Herr und Meister hat uns vor die Türe gesetzt, damit komme ich schon klar; dass ich ein Fest zerstört hätte, sehe ich nicht. Im Gegenteil bewahrte ich doch die ganze Zeit über die Fassung. Ist es so verdammt schwer, einzusehen, dass mir die kleine Schwester schlicht und einfach unsympathisch ist? Das muss man doch kapieren! In der Tat verstehen meine Töchter, Millie und Ottla, glücklicherweise alles und brauchen keine weiteren Erklärungen - und schon gar keine Aufforderungen zum Vergessen! Habe ich hier als Vater vielleicht ein Wörtchen mitzureden? Wenn du selbst deinen Vater nicht an der Seite gehabt hättest, gleich, ob allein in Alsfeld oder sonstwo, der Nationalsozialismus hätte dich gewiss noch fester in seinen Fängen gehabt. Zufälle, eben! Teils glückliche, teils weniger glückliche!
Was mir nicht gefällt - und da ist so einiges! - ist die Tatsache, dass mein Vater, Herr und Gebieter, meint, er müsse mir den Mund verbieten, wenn ich den gebeutelten kleinen, verhaltensgestörten Sam anspreche. Ja, hoppla, bin ich nicht selbst seit rund zwanzig Jahren als Erzieher tätig? Das arme Kind! Aber, bitteschön! Sehr bewusst tollte ich hie und da mit dem Bengel herum. Hier manifestierte sich meine familiäre Zuneigung als Erzieher! Bereits mehrere Male schon fuhr mir die gewichtige Schwester über den Mund mit irgendwelchen Besserwissereien. Darf man dem also nichts entgegensetzen, dem geschundenen Vater zuliebe? "Komm, gib der Grete einen Kuss!", hörte man da schon in vergangenen Zeiten. Ja, warum denn eigentlich? Das ist entwürdigend.
Man m-u-s-s doch einsehen, dass Liebe keine Leistung ist, der man sich in der Rolle eines Schuldners zu beugen hätte, oder? Im Übrigen neigt deine Tochter zu Impertinenz, spielt sich vorwurfsvoll wie eine Vorgesetzte auf, ist enorm grobschlächtig und selbstbezogen. Jedes Mal latente und extrem infantile Vorhaltungen, wie sehr ich sie als Kind schon kränkte. Ja, so ist das eben, Kinder können grausam sein. Das sollte die Kindergärtnerin doch gerafft haben. Nun aber alles schnell wieder vergessen, tabula rasa, und Harmonie inszenieren. In Tante Gretes Abwesenheit, redet ihr eigener Vater an und für sich immer sehr herablassend über sein Herzchen. Oh, ja! Ihre Buben sind (noch) Unschuldslämmer; sehe ich allerdings, was dem älteren Kerlchen bereits alles a-n-g-e-t-a-n wurde, wundert's sicher keinen, wenn er spätestens mit etwa fünfzehn oder sechzehn Jahren drogensüchtig ist und seine Aggressionen mit Übergeschwindigkeit im Straßenverkehr abreagiert oder Sexualverbrechen begeht. Armes Ferkelchen! Aber Grete wird's ja wissen; noch kann sie ihm bescheuerte Lernspiele vor die Nase halten, ihm beibringen, wie man gerade am Tisch sitzt, ihm Kinderschokolade vorenthalten, wenn um ihn herum alle anderen naschen. Und dann mit dem Mann in die Ehetherapie! Verhaltens- und insbesondere vollkommen kommunikationsgestört. Nee, meine teure Frau Mama, damit komme ich nicht klar! Und dann erklärt Grete mir, Produkt millionenfacher Klugscheißereien, was ein Zitat ist, ich zitiere wie Espenlaub, oder streichelt mir gütig über den Kopf, weil ich die Liebe doch noch lernen müsse. What the fuck is going on here? In Liebesdingen bin ich längst hinreichend b-e-z-i-e-h-u-n-g-s-w-e-i-s-e und entscheide zum Glück selbst, wen und wie ich meine Liebe verströmen lasse. Ist das verständlich genug? Wenn ich der verletzten und wuhunden Seele des zurückgebliebenen Mädchens freundlich mitteile, dass ich ihrem Geburtstag kein Ständchen widmete, weil wir einfach keinen Draht zueinander haben und mir Heucheleien zuwider sind, sollte sie mir doch dankbar sein und mich nicht weiterhin mit ihren Dehnübungen, ihrem Geigenspiel und ihrem larmoyanten Gefasel langweilen.
Es tut mir aufrichtig leid, dass ihr in einer solchen Scheißverfassung seid, doch bin ich nun einmal kein Arzt, kein Psychologe und auch kein Hampelmann. Mit verdammten einundfünfzig Jahren darf man auch von den Altvorderen ein wenig mehr Respekt erwarten, finde ich. Und wenn's in der Familie halt mal nicht so läuft, wie man sich das wünscht, muss man halt einfach mal das Maul halten und nicht gleich alles ungeschehen machen wollen, Vergessen und Wiedervereinigung predigen als sei man selbst der Moral höchstes Lichtlein. Im Vergleich zu all den erbärmlichen Familiendramoletten meines Herrn und Erzeugers mit seinem eigenen ehrwürdigen Vater, seinem kleinen drogensüchtigen Bruder, ist mein Zwist mit Grete doch ein Witz, eine Farce. Nichts habe ich vergessen, keine der unzähligen Peinlichkeiten und Heucheleien; weder, dass mein Erzeuger seine Schwiegermutter, die mich letztlich großgezogen hat, umbringen wollte, dass man sich ihrer entledigen musste, dass ich sie innig liebte, ja die Esther, ein Brett von einer Frau, die Kinder hat sie behütet, ausschließlich sie, verantwortungsbewusst, stolz, gütig und streng. Und selbst, wenn man Esther einmal einen Zwanzigmarkschein aus dem Büstenhalter zog, riss sie einem niemals im Nachhinein ein Auge heraus oder verklickerte einem, welches ihrer Kinder wie viel gekostet haben könnte. Damit komme ich übrigens auch nicht klar! Wie kann es nur sein, dass man dem erwachsenen Sohn vorrechnet, was er gekostet hätte? Und welches Kind preiswerter gewesen sei? "Stimmt's denn nicht?", lautet da allenfalls die Entgegnung. Na ja, all das mag verzeihlich sein, denn ganz offensichtlich, so der Barmherzige, wissen sie nicht, was sie tun. Sollten sie es aber eventuell doch ahnen, dann vergebe ihnen Gott, Allah, Elohim oder von mir aus der heilige Bimbam. Ich jedenfalls nicht.

 Gregor

 Lieber Gregor, dein Schreiben habe ich noch nicht beantwortet, weil ich mich kaum bewegen kann und auch Papa krank ist, d. h. rasend an Gewicht verliert. Da er nicht zum Arzt geht, weiß man nicht warum. Wohl Nervensache! Die Geschichte mit euch hat ihn sehr mitgenommen. Auch ich muss sehr aufpassen, was ich sage, damit er nicht ausflippt. Ich selbst muss zweimal in der Woche zum Orthopäden und bekomme Spritzen in den rechten Oberschenkel, was sehr weh tut und letztlich nichts hilft. Die Krankenkasse zahlt das nicht. Aber fertig mit dem Gejammere!
Können wir nicht die ganze Geschichte vergessen und da fortfahren, wo wir vorher waren. Wir beide hatten m. E. doch nie Schwierigkeiten uns zu verstehen. Georg hat sich wohl in Dinge gemischt, die er nicht verstanden hat. Und Grete hat wohl auch nicht die richtigen Antworten gehabt. Was hat das mit uns zu tun?
Liebe Grüße, auch an die Familie
Mama

 Nun, ich beschwere mich keineswegs, teure Frau Mama, ich sortiere lediglich, was geschieht und versuche, mir so gut wie möglich treu zu bleiben. Wie gesagt, verziehen ist von meiner Seite, was dem Herrn Papa entglitt. Dir gegenüber habe ich mich unbefangen geäußert, mal kritisch, mal verständnisvoll. Es bleibt dabei, Vergessen ist das falsche Wort; vielmehr erinnere ich mich sehr intensiv zur Zeit an Erfreuliches und Unerfreuliches. Das mag durch mancherlei ausgelöst worden sein; letztlich auch durch die intensive Arbeit des Schreibens, die sich derzeit stark mit dem Phänomen der Schwester im Allgemeinen und im Besonderen befasst. Mühevoll gelingt einiges, anderes misslingt. Der schulische Endspurt hält die Kinder und mich auf Trab, teils in Schach. Im Namen Ottlas Dank für den Obolus mit ein wenig Verspätung: Gewiss wird sie selbst bald Worte finden. Erst seit vergangenem Freitag bin ich fertig mit meinen Korrekturen. Es geht eben drunter und drüber, wie man sagt, auf und ab. Bei Gelegenheit (vielleicht) mehr. Die Korrespondenz mit Georg war recht deutlich. Es fällt mir indessen mitunter schwer zu begreifen, dass einigermaßen belesene Leute so begriffsstutzig sein können. Selten habe ich klarere Worte verwendet, schonungslose zum Teil. In dem möglicherweise letzten Drittel meines mir verbleibenden Lebens finde ich keine Alternative, mich Erfahrenem zu stellen. Das Schreiben, die fortwährende Verfeinerung, wendet hie und da die Not, die den Ton des Schreibenden ausmacht. Offenbar, so fällt mir auf, sträuben sich die Familienmitglieder, Worte der Kritik auszuhalten oder anzunehmen. Trotzdem freue ich mich über jede Erwiderung, weil mich jede von ihnen zu weiteren Verfeinerungen nötigt. Dein Sätzchen, Grete habe wohl auch nicht die richtigen Antworten gefunden, lässt mich schon ein wenig schmunzeln. Was ich hierzu zu sagen hatte, steht in meinem Schreiben vom 29. Mai. Selbstverständlich finden sich auch dort nur Fragmente eines sehr komplexen Gesamtbildes.
Hinreichend interessant ist, wie gerade in diesem Verhältnis Vergangenes das Verhalten steuert; Vergessen führt zu weiterem Versagen, zu weiterem Vertuschen, zu weiterer Verschleierung und Verschlimmerung. Vermeintliches Vergessen ist das Ereignis, für das der Erfinder der Psychologie das Wort Verdrängung verwendete; vermutlich ein verzweifelter Versuch die Verhältnisse zu verbessern! Vergeblich, vermutlich.

    Gregor

post scriptum. Dein Schreiben ist sehr wohlwollend: Insgesamt vier Mal verwendest du das Wörtchen "wohl", worauf man sich einen Reim machen könnte; ...oder?